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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Siebentes Heft
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Blümner, Rudolf: Die absolute Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0154
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Surren Summen
Brummen Schnurren
Gurren Gnurren
Gurgeln grurgeln
Pstn Pstn
Hsstn Hsstn
Rurren Rurren
Rurren Rurren
Sammeln Sammeln
Sammeln Stammeln
Worte Worte Worte
Wort
Das Wort!
Wenn ich mich bei den Mängeln der Druck-
wiedergabe und der Aufnahme doch zum
Abdruck entschlossen habe, so drängen mich
dazu äussere, zum Teil absonderliche
Gründe.
Meine früheste Ahnung einer absoluten
Dichtung geht auf etwa zwanzig Jahre zu-
rück. Seit dieser Zeit habe ich als Schau-
spieler stets die Möglichkeit einer absoluten,
von der Dichtung unabhängigen Schauspiel-
kunst behauptet und in vielen Schriften zu
beweisen gesucht. Ich habe mich jahre-
lang damit begnügt, den absoluten schau-
spielerischen oder rezitatorischen Vortrag,
sogar in der Verbindung mit dem Wort,
rein theoretisch festzustellen. Ich habe oft
ausgesprochen, dass dem schöpferischen
Schauspieler die Wörter der Dichtung ein
Hindernis sein müssen, während sie für
unsere unschöpferischen Schauspieler das
Hilfsmittel ihrer Klangbildung sind.
Die besten von ihnen verfügen wohl über
eigene Melodien, aber nur auf der Grund-
lage von Wörtern und Sätzen und nur,
wenn diese eine Bedeutung haben.
Unsere Schauspieler spielen eine Bedeutung.
Und man muss sie noch loben, wenn sie
nicht die Bedeutung der Wörter, sondern
des Ganzen spielen. Ohne die Grundlage
dieser Bedeutungen sind sie stumm, un-
schöpferisch. Meine eigenen Bemühungen,
eine selbständige schöpferische Melodie vor-
zutragen, musste in der nicht-expressionis-
tischen Dichtung entweder ganz unterbleiben
oder zu einem Zwiespalt zwischen meiner
rhythmisierten Melodie und den meist un-
rhythmischen, bestenfalls metrischen Sätzen
jener früheren Dichtungen führen. Erst die
expressionistische Dichtung, das ist die be-
grifflich alogische, künstlerisch logische Ver-

bindung der Wörter, ermöglichte durch
ihren Rhythmus eine sprechmelodische
Rhythmisierung, die zu einer Einheit führen
konnte. Aber selbst diese expressionistische
Dichtung (Stramm, Walden, Schreyer,
Behrens, Allwohn, Liebmann, Heynicke)
setzte meiner künstlerischen Freiheit die
Grenzen der gegebenen Wörter, ihrer Kon-
sonanten und Vokale. Es ist nicht nur die
deutsche Sprache, in der alle Wörter ihre
ursprüngliche Bildung und damit ihre
Urkraft verloren haben. Und wie der Maler
Farbformen nach Belieben, also unabhängig
von einer Bedeutung, zur Gestaltung zu-
sammensetzt, der Komponist Töne rhyth-
misch nach vollkommener Freiheit anein-
anderreiht, so stelle ich Konsonanten und
Vokale nach künstlerischen Gesetzen zu-
sammen. Mein erster Versuch einer solchen
Gestaltung liegt schon viele Jahre zurück.
Ich veröffentliche jetzt eine Arbeit, die vor
einem Jahr vollendet wurde, weil mich die
Zeit dazu drängt. Derartiges pflegt selten
ein Einziger zu unternehmen. Und wenn
ich auch nicht so ehrgeizig bin, durchaus
der Erste sein zu wollen, so habe ich doch
keine Ursache, mir später einmal den Vor-
wurf der Nachahmung machen zu lassen.
Mein Bedauern, die Dichtung vor der Auf-
führung veröffentlichen zu müssen, wird
dadurch verringert, dass nicht jeder Leser
die Aufführung erlebt hätte. Und bei den
Unkünstlerischen würde sie mich vor An-
griffen doch nicht schützen. Sie werden
wieder ihr übliches Gezeter erheben und
können nun ihre abgestandenen Witze über
Lallen und Stammeln endlich an den Mann
bringen. Sie haben nur zu bedauern, dass
sie dieses Mal von einem Missbrauch der
deutschen Sprache beim besten Willen nicht
reden können. Ich muss sogar das
Schlimmste befürchten, dass sie mich für
einen Dadaisten halten. Ich will sie für
heute in dem Irrtum lassen. Und da ich
von ihnen überhaupt nichts verlange,
brauchen sie sich auch nicht die Mühe zu
nehmen, den organischen Bau meiner
absoluten Dichtung zu erforschen. Dem
künstlerischen Leser werden meine Ab-
sichten so wenig entgehen wie die Wirkung.
Er wird nicht nur die tieferen Zusammen-
hänge aller Laute und Wortbildungen er-
kennen, sondern auch aus den verwendeten
Geräuschen und Lauten, den daraus gebil-

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