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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Berlewi, Henryk: Mechano-Faktur
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0174
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DER STURM/DRITTES VIERTELJAHRHEFT

Um die Wirkung der Faktur zu steigern, benutzte man Materialien, die bisher nicht
als malerisches Hilfsmittel galten, und zwar: Zeitungsausschnitte, Kork, Glas, Sand,
Metall und so weiter. Diese Materialien, die nebeneinander auf dem Bilde in einem
bestimmten Rhythmus geordnet wurden, schufen einen ungewöhnlich variierten Faktur-
Aspekt, der den nur an die Faktur der naturalistischen Malerei gewöhnten Beschauer
vollständig konsternierte.
Das Nebeneinandersetzen mehrerer, ihrer Natur nach ganz verschiedener Materialien
mit verschiedenen fakturellen Eigenschaften und verschiedenerDimensionalität
mußte natürlich den flachen Charakter des Bildes modifizieren, ihn in einen Basrelief
verwandeln. Das half natürlich der Faktur im großen Maße zur Steigerung ihrer
Emotionskraft (größere Kontraste), verwandelte jedoch zugleich die Malerei selbst in
eine neue Art „Skulptomalerei“ (Archipenko).
Die Malerei, die sich Dank der Faktur ihrer ursprünglichen Funktion näherte, verlor
jedoch eine ihrer spezifischen Eigenschaften: ihre Zweidimensionalität.
Erkennt man diese als wesentlich an, so muß man jeden dreidimensionalen (perspek-
tivischen) Illusionismus wie auch jede wirkliche Plastizität als uneigentliche die Natur
der Malerei vergewaltigende Darstellungsweise betrachten. Andererseits aber kann
man die ungeheuren fakturellen Werke nicht negieren, die in den letzten Jahren durch
schwere experimentelle Arbeit erreicht worden sind. Wie soll man hier zu einem
Ausgleich gelangen?
Durch gründliche Analyse der fakturellen Wirkungen verschiedener Materialien (Sand,
Glas, Kork, Zeitung, Holz), habe ich konstatiert, daß diese Wirkungen nicht unmittel-
bar sind, das heißt, diese Materialien wirken auf uns nicht als solche, sondern als
Träger verschiedener faktureller Kombinationen. Die gedruckte Zeitung als s o 1 ch e
besitzt für uns einen gewissen Sinn: wir können sie lesen; als fakturelles Element
dagegen verliert sie vollständig ihren utilitären Sinn, verwandelt sich in einen spe-
zifischen, typographischen Rhythmus, der vom Inhalt der gedruckten Buchstaben völlig
losgelöst ist. So verwandelt sich auch das Glas als Faktur in eine Valeur, die dank
ihrer Glattheit und ihres Glanzes die größte Fähigkeit zur Kontrastierung besitzt;
der Sand in einen körnigen, staubigen, zitternden Timbre; das Holz in ein ent-
sprechendes Holzornament (Maserung). Man kann noch eine Menge ähnlicher Bei-
spiele der fakturellen Transformation beibringen.
Die Materialien verlieren durch ihre fakturelle Funktion die eigentliche Bedeutung,
mit anderen Worten: sie werden dematerialisiert. Also haben nicht die Ma-
terialien als solche eine Bedeutung, sondern ihre Aequivalente. Indem wir ent-
sprechende Aequivalente für die Materialien finden, für Glas, Sand, Holz und andere,

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