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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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9. Heft
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Walden, Herwarth: Einweihung des Zentralinstituts
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0174

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Einweihung
des Zentralinstituts
Erwachsene müssen sich betätigen. Für
diesen Drang sind Kinder geeignete Ob-
jekte. Man kann Menschliches und Un-
menschliches und Allzumenschliches an
ihnen ausprobieren und die müssen sich
fügen, da Macht bekanntlich vor Recht
geht. Erwachsene nennen diese Experi-
mente Erziehung und Unterricht. Diese
Unternehmungen in ein System gebracht
heissen Schulen. Die Überprüfung ihrer
Methoden hat das Zentralinstitut für Er-
ziehung und Unterricht zur Schulaufgabe.
Von Reichswegen. Nun ist in Berlin
das Institut selbst neu hergerichtet. Oder
einfacher gesagt: weiss und grau frisch
gestrichen. Dies gibt Anlass zu einer
Einweihung, bei der sich der zuständige
Minister entschuldigen lässt, wenn er
auch nicht zu Schiff nach Frankreich
gereist ist. Er wird aber durch zahlreiche
Räte sämtlicher Klassen vertreten. An-
erkennenswert hingegen ist die Loyalität
des Zentralinstituts für das Festprogramm.
Verschiedene Schulen führen Spiele auf.
Damit auch die Tradition zu ihrem Rechte
kommt, trägt ein Primaner nichts weniger
als ein Elfentanzlied von dem Altkitsch-
meister Lienhard vor und ein westliches
Lyceum lässt durch seine Schülerinnen
Königliches Opernballett kopieren. Von
den übrigen Darbietungen können die
lehrenden t Erwachsenen und die er-
wachsenen Lehrer lernen. Man muss
Kinder gewähren lassen. Das heisst im
Amtsdeutsch: Gemeinschaftsschule. Es
wird durch die Gemeinschaftsschule
Niederschönhausen ein Tiermaskenspiel
vorgeführt. Die Kinder haben es nach

einer Fabel gedichtet und gestaltet. Ohne
Pathos. Dafür fast mit aktuellem Witz.
Kindlich in der Gestaltung und nicht
kindisch, wie Erwachsene es für Kinder
tun. Diese Arbeiterkinder haben kein
Theater gesehen und sind daher nicht in
der unglücklichen Lage, es nachahmen
zu wollen, wie die Schülerinnen des
Lyceums es tun. Die Kinder bewegen
sich durchaus nicht naturalistisch. Im
Gegenteil ihre Bewegungen entstehen aus
der kindisch starken Vorstellungskraft
des Darzustellenden. Gestaltete Bewegung,
also Kunst, ist das Weihespiel dieses
Abends von Lothar Schreyer, aufgeführt
durch Mitglieder der Loheland-Gruppe.
Lothar Schreyer ist bisher der einzige
deutsche Regisseur, der erkannt hat, dass
auch der Tonfall des Schauspielers, die
Sprechmelodie gestaltet werden muss.
Das Wort ist in der Kunst kein Ver-
ständigungsmittel, sondern ein Kunst-
mittel. Wörter werden gehört, müssen
g e h ör t werden. Was künstlerisch
gehört werden soll, muss künstlerisch
gestaltet werden. Schreyer hat die Fähig-
keit, die Sprechmelodie für die Schau-
spieler zu gestalten und sie so festzulegen,
wie es etwa der Orchesterkomponist für
die einzelnen Instrumente von jeher
getan hat. Durch die Einheit von Ton-
fall und Bewegung entsteht erst ein
Kunstwerk auf der Bühne. Das Weihe-
spiel von Lothar Schreyer ist ein Kunst-
werk. Durch seine Auffassung hat das
Zentralinstitut für Erziehung und Unter-
richt den guten Willen bewiesen, die
Kunst nicht grundsätzlich fernzuhalten.
Was man der Kunstbehörde sonst nicht
gerade nachsagen kann.
Herwarth Walden

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