Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Blümner, Rudolf: Die Parnassier
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0085
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Parnassier
Von Rudolf Blümner
Ein Raum, in dem Tische und Bänke amphii-
theatralisch aufsteigen. In der Mitte ein Ka-
theder. Rechts große Doppeltür. Daneben
ein kleines Schiebefenster. Kleine Tür links
hinten. Ein Diener füllt die Tintenfässer.
Erst da das Publikum Unruhe zeigt, sieht er,
daß der Vorhang schon geöffnet ist. Er er-
schrickt, blickt in die Kulissen, durch das
Schiebefenster und in den Souffleurkasten.
Diener: Wenn ich nur wüßte, warum man
den Vorhang so früh aufgezogen hat.
Kritiker (erste Parkettreihe): Vielleicht sol-
len Sie einen Monolog halten.
Diener: Nein, ich soll die Tintenfässer fül-
len, hat der Minister befohlen.
Kritiker: Um so besser, daraus ergibt sich
eine natürliche Lockerung der Rede.
Diener: Man hat mich ja noch gar picht
inszeniert. Ich bin mehr als Nebenfigur
gedacht.
Souffleuse (im Kasten): Das merkt kein
Aas. Das Stück hat ohnehin keine ver-
nünftige Disposition.
Diener: Das brauchen Sie dem Publikum
nicht auf die Nase zu binden. Es ist sogar
eine ausgezeichnete Disposition, wenn ich
die Tintenfässer fülle.
Kritiker: Aber Sie müssen doch endlich
den Zweck nennen. Seit fünf Minuten
kommt die Handlung nicht vom Fleck.
Diener (singt und tanzt):
Fleck, Speck, Zweck überhaupt
Reihe, Reihe, Reihe, Reihe.
Kritiker: Das sind faule Ausreden. Sie
wollen sich auf den Komiker hinausspielen.
Ich sage Ihnen aber auf den Kopf zu, daß
Sie ein typischer Schuldiener sind.
Souffleuse (streckt den Kopf heraus:
Sehr richtig, Herr Doktor. Eine Grün-
dung, eine Art höhere Schule, was denn
sonst?

Diener (zur Souffleuse): Daß dich das blitz-
blaue Donnerwetter! Glauben Sie ihr nicht.
Sie plaudert aus der Schule. Niemand weiß,
was hinter den Kulissen vorgeht. Was
durchgesickert ist, beruht auf Kombina-
tionen.
Souffleuse: So? Zweitausend Bewer-
bungsschreiben liegen dort. Das ist mit
einem Akt gar nicht zu machen. (Es klopft
an der großen Tür.)
Diener: Es klöpft? So spät? Wer mag
das wohl noch sein?
Souffleuse: Das ist aus einem anderen
Schmöker. ,,So früh“ heißt es.
Diener: Es klopft? So früh? Wer mag
das wohl schon sein? Die Dichter laß
ich jetzt noch nicht herein.
Souffleuse: Also wer hat recht gehabt?
Diener: Geschwätz’ge Zunge! Nun ver-
riet ichs doch!
Kritiker: Warum öffnen Sie denn nicht?
Die Handlung braucht einen Auftrieb. Und
gewöhnen Sie sich die fünffüßigen Jamben
ab, das hält nur auf.
Diener: Ganz recht. Ich geh zu öffnen.
(Schließt auf.) Nun, was gibts? (Fünf
Dienstmänner bringen fünf große Kisten.
Die Kisten tragen je die Aufschrift: Tra-
gödien, Komödien, Lyrik, Epos, Romane.)
Letzter Dienstmann: Einen schönen
Gruß, und hier bringen wir die Exposition
des Stücks.
Diener: Was ist das für geschwollnes
Zeug? Redet, wie euch der Schnabel ge-
wachsen ist.
D i e n s t m a n n: Da müssen Sie sich an
einen der Kollegen vom Drama wenden.
Beim Roman ist das nicht üblich.
Diener (zum 1. und 2. Dienstmann): So
macht mal ’s Maul auf, damit Kolorit hier
reinkommt.
1. Dienst mann: Das san holt so an die
finfhundert Tragedla dahie.
Diener (schlägt die Hände über den Kopf):
Das nennt der Mensch schlesisch! Und Du?
 
Annotationen