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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 10
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Schwitters, Kurt: Stuttgart die Wohnung: Werkbundausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0157

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Stuttgart die Wohnung
W erkbundausstellung
Der Volk wil glauben, and the man of Geist
wil see, will sehen, will reisen om to see.
Dieses Wort von Rosenberg passt auf die Stutt-
garter Ausstellung „Die Wohnung 1927“. Der
Volk, der glauben wil, das sind in diesem Falle
die Laien, die zwar nicht viel von der Architektur
verstehen, aber gern glauben, daß die Ausstellung
der Stadt Stuttgart, ihre Ausstellung, gut ist,
die große Reden halten, etwa „Wenn auch . . .,
so . . .“ Denn keine der vielen offiziellen Reden
ist frei von dem Unterton: „Man kann zwar
darüber reden oder denken, wie man will, . . .
aber . . .“ Sie fühlen es zwar, daß da eine Tat
getan ist, aber sie begreifen es einfach nicht,
warum. Nicht das Resultat der Ausstellung
und der Siedlung überzeugt sie, sondern die
Tatsache, daß the man of Geist gereist gekommen
ist, om to see. Denn zu der Eröffnung sind
sie alle gekommen, die man immer wieder bei
solchen Gelegenheiten trifft. Und Herr Werner
Gräff hatte ja auch eine geradezu aufregende
Propaganda für die Ausstellung unter the men
of Geist entwickelt, die den Volk in aller Herren
Ländern glauben machen sollten.
Aber ich denke, die Behörden in Stuttgart und
Württemberg kommen mir vor, als wären sie
Hühnerglucken, die falsche Eier ausgebrütet
haben, und nun stehen sie am Ufer des Teichs
und sehen mit Stolz und mit Grauen, wie die
Entenküchlein, die sie aber doch für ihre Kinder
ansehen, weit hinaus auf die Wasserfläche
schwimmen, wo sie ihnen nicht folgen können.
Ein schönes Bild, was? Und die Hühnerglucke
ruft und lockt die Wasserkinder, wenn auch
vergeblich. Hier in Stuttgart beim officiellen
Diner aber macht sich die Opposition am Tische
der Behörden Luft, indem der betagte Vertreter
der Universität Tübingen in seiner Eigenschaft
als Heimatschutzmann, wie er sich selbst nennt,
erwähnt, daß doch Stuttgart nicht in Holland

oder Californien läge, deshalb gehörte auch das
flache Dach nicht hierher. Für ihn scheint das
flache Dach bei Häusern das zu sein, was beim
Menschen die Plattfüße sind, denn er nennt es
plattes Dach. Zum Schluß wurde dann der
Herr Schutzmann auch verhindert, noch mehr
Plattheiten über das platte Dach hervorzubringen,
weil doch diese platte Diskussion nicht auf der
Tagesordnung stand, indem die meisten Mitesser
so laut redeten, daß ihn niemand mehr ver-
stehen konnte. Ein besonders frecher Mitesser
mit einem ovalen Gesicht, sagte sogar: „Danach
ist der Mann ja garnicht gefragt“, was allgemeine
Heiterkeit erweckte. Wie officielle Essen eben
so sind. Aber finden Sie es nicht auch selbst-
verständlich, daß so ein alter Professor sich
doch nicht von heute auf morgen an die neue
Zeit gewöhnen kann? Dazu ist doch wohl die
kurze Zeit von 1918 bis 1927 nicht lang genug.
Und wenn da einer an die 60 Jahre hat gut
wandern können und bekommt nun plötzlich
Plattfüße, der kauft sich eben Einlagen. Und
daß dieses eine Einlage war, merkte man daran,
daß alle Nachredner den üblen Eindruck zu
vertuschen suchten. Und das möchte ich hiermit
auch getan haben. Meine Mutter pflegt immer
zu sagen: „Wie die Kinder, sie wollen es garnicht,
und mit einem Male sagen sie eine große, große
Dummheit.“ Ich habe dann mit Herrn Mies
van der Rohe angestoßen, weil der mir so leid
tat, daß er nun keine platten Dächer mehr bauen
darf, aber der hat sich furchtbar schnell damit
abgefunden und hat über das ganze Gesicht
dazu gelacht. Ich habe ihn lange nicht so
lachen sehen.
Das sind übrigens prächtige Leute in Wirtteberg.
So menschlich und nett! Ich lernte persönlich den
Herrn Württembergischen Staatspräsidenten
Bazille kennen, den Schirmherrn der Ausstellung.
Ein wirklich menschlicher und sehr freundlicher
Herr. Das ist übrigens derselbe Bazille, der vor
einigen Jahren in den Bodensee gefallen sein
soll. Und das kam sogar ganz per Zufall. Nach
dem Diner nämlich trafen wir einander in der
Toilette, ganz zufällig. Da geht ja jeder gern
mal hinein. Da hab ich den Herrn Präsidenten

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