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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 11
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Walden, Herwarth: Aus der Zeit für die Zeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0176

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Aus der Zeit für die Zeiten
Herwarth Walden
Komiker sind Leute, die alte Witze erzählen
und sich mit dem Publikum duzen. Was
sich heute Kabarett nennt, ist verkommenes
oder unvollkommenes Variete. Im Kabarett
der Komiker spielt Karl Valentin, der der
größte Humorist sein soll. Ein mittelmäßiger
Exzentrik, nicht zu vergleichen mit den vielen
großen Künstlern auf diesem Gebiet des
Varietes. Es gibt eben keine deutschen
Humoristen.
Hingegen ist es in Deutschland recht humo-
ristisch. Man hält hier immer noch Haupt-
mann für einen großen Dichter und Jannings
für einen großen Schauspieler. Dichtungen
frisieren und Frisuren dichten sind zwar
Leistungen, wenn auch keine künstlerischen.
Man erfährt, daß Herr Jannings sich im Film
zu Hollywood als Großfürst verstellt. Der
Großkünstler trägt zu diesem Zweck einen echt
russischen kostbaren Pelz. Charakteristik.
Als obste lebst. Dazu noch Großfürstfrisur.
Man erfährt, daß der Edelmann dank der
russischen Revolution unter Verlust des
Pelzes als schlichter Filmstatist, wenn auch
strenggläubig, stirbt. Kunsttodleisiung für
Jannings: „Sein sterbendes Heldenantlitz
wird mit der alten russischen Fahne bedeckt.“
Das ist, milde gesagt, eine unpassende Ein-
mischung in innere politische Angelegen-
heiten. Deutsch gesagt: antibolschewistische
Propaganda und dreiste Taktlosigkeit. Jeder
Deutsche sein eigener schlechter Politiker.
In der städtischen Oper Wiederhören nach
dreißig Jahren: der Fliegende Holländer.
Die Musik besser als ihr schlechter Ruf.

Nur wäre an der Zeit, etwa den ganzen
ersten Akt zu streichen. Nichts ist schreck-
licher, als wenn sich zwei Herren stunden-
lang über Probleme unterhalten. Die
außerdem keine sind. Es auch durch Singen
nicht werden. Nur keine falsche Ehrfurcht
vor Meisterwerken, wenn man das Meister-
liche eines Werkes zu erhalten wünscht.
Man verbessert schließlich auch Autos.
Sogar gelegentlich Gesetze. Die hat die
Kunst leider auch. Aber viele Künstler
wissen nicht viel davon. Diesen Mangel
an Kenntnis nennt man Intuition. Einfälle
sind eben keine Gebäude.
Nach dreißig Jahren ein Klavierkonzert. Da
sitzt immer noch Herr Lamond am Flügel,
spielt Noten von Beethoven, ohne Beethoven
spielen zu lassen. Die Musikkenner sind
noch immer nicht des trockenen Tones satt.
Deshalb tragen Musikfreundinnen Dutts.
Alle unlesbaren Literaten sind von dem
Minister für Wissenschaft in eine Akademi-
sche Sektion für Dichtkunst zusammenver-
schlossen worden. Zwei bis drei Dichter
haben sich leichtfertig einfangen lassen.
Leicht fertig ist die Literatur mit dem Wort.
Unter Revue versteht man das Ausreden
von Pausen zwischen dem Umziehen von
Tillergirls oder anderen Tanzmädchen. Die
sachliche Komik von Willi Schäffers und die
komische Sachlichkeit seiner Witze sind im
Theater am Kurfürstendamm künstlerische
Erholung. Die Musik von Friedrich Hol-
laender und die Texte von Moriz Seeler
lebendiger als die literarische Lebendigkeit
der Jungepigonen.
Auf dem Presseball tragen die guten Herren
noch immer Orden. Teils unten am Frack,

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