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Taut, Bruno
Die Stadtkrone — Jena, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.29957#0075
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wieder auf und glänzt und schimmert in allen Farben und Materialien,
Metallen, edlen Steinen und Glas an allen Stellen des Raumes, wo das Spiel
von Licht und Schatten dazu herausfordert. Nicht glatt und wandhaft ist
dieser Raum» sondern von der Harmonie einer reichen vollendeten Gliede#
rung. Von seinen Emporen erklingt die große Musik akustisch ungestört
eine Musik, die, dem Häuslichen ebenso fern wie die bildende Kunst, nur
dem Höchsten dient.

Vom Licht der Sonne durchströmt thront das Kristallhaus wie ein glitzernder
Diamant über allem, der als Zeichen der höchsten Heiterkeit, des reinsten
Seelenfriedens in der Sonne funkelt. In seinem Raum findet ein einsamer
Wanderer das reine Glück der Baukunst und, auf den Treppen im Raume
zur oberen Plattform emporsteigend, sieht er zu seinen Fiißen seine Stadt
und hinter ihr die Sonne aufi und untergehen, nach der diese Stadt und ihr
Herz so streng gerichtet ist.

»Das Licht will durch das ganze AU und ist lebendigim Kristall«1. Aus der
Unendlichkeit kommend fängt es sich in der höchsten Spitze der Stadt,
bricht sich und Ieuchtet auf in den farbigen Tafeln, Kanten, Flächen und
Wölbungen des Kristallhauses. Dies soll Träger eines kosmischem Emp«
findens werden, einer Religiösität, die nur ehrfürchtig schweigen kann. Es
steht aber nicht isoliert da, sondern wird getragen von Bauten, welche den
edleren Regungen des Volkes dienen, und welche weiterhin in Vorhöfen
wieder von dem ptofaneren Getriebe getrennt sind: wie früher Jahrmarkt
und Kirchweih vor der Kirche, so hier Realistik und Lebensfreude um den
Kristall. Der Glanz, das Leuchten des Reinen, Transzendentalen schimmert
über der Festlichkeit der ungebrochen strahlenden Farben. Und als ein
Farbenmeer breitet sich der Stadtbezirk rings umher aus, zum Zeichen des
Glückes im neuen Leben.

Immer ist das Letzte still und leer. Meister Eckhart sprach: »Ich will Gott
niemals bitten, daß er sich mir hingeben soll; ich will ihn bitten, daß er mich
leer und rein mache. Denn wäre ich leer und rein, so müßte Gott aus seiner
eigenen Natur sich mir hingeben und in mir beschlossen sein.« Der Dom
war das Gefäß aller Seelen, die so beteten. Und es bleibt immer so — leer
und rein — »tot« —, still und ganz und gar abgewandt den Tageszwecken
bleibt für alle Zeiten das Letzte der Architektur. Hier verstummt immer der
Maßstab praktischer Forderungen — ähnlich wie bei dem Münsterturm, der
’ Spruch Scheerbarts am Glashause zu Köln 1914.

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