Deutungen des Gemäldezyklus
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„Auch die Vorfahren (gleichfalls nicht in der Liturgie) waren
dem Künstler in die Erinnerung gekommen."
Als Schlusspunkt hätte nun der Liturgie zufolge Christus ge-
hört. „Der geläuterte Geschmack, das strengere Denken der ,Zeit-
genossen Julius' II.' verwehrte ihm, Diesen mit der Naivetät mittel-
alterlicher Künstler zu bringen. Da bot sich Jonas dar, als Stell-
vertreter der Auferstehenden und zugleich Symbol der Wiedergeburt
der Menschheit."
„Und es erbarmte sich seines Volkes der Herr," so heisst es
mit Jonas' Worten in der Liturgie. Der typologische Bilderkreis tritt
ein. Als Verherrlichung der Auferstehung wählt für die Eckbilder
Michelangelo die vier Rettungen des Volkes Israel, deren zwei als
rechte Kreuzesbilder gedacht sind. Gesellt werden die in der Liturgie
angeführten Thatsachen: Opfer Abrahams und das Passahlamm.
Ein drittes verbindet sich mit dem Symbolischen und Typolo-
gischen: das Historische. Erschaffung des Lichtes, entsprechend
dem „Es werde Licht" der Liturgie, der Sündenfall und die Sünd-
fluth (Liturgie). Diese Hauptbilder riefen Seitenbilder hervor. End-
lich findet der leise David'sche Sehnsuchtsruf der Liturgie seine
künstlerische Gestaltung in den „Vorfahren", für welche Dantes
Schilderung im vierten Gesang des Inferno bestimmend wird.
Die Gestaltung des dekorativen Aufbaues darf ich kurz mit
Spahns Inhaltsangabe des Kapitels charakterisiren: „Auf den in die
Kapelle Eintretenden wird als erstes eine rein dekorative Wirkung
der Decke erstrebt. Allmähliche Überleitung aus ihr zum Bewusst-
werden des geistigen Gehaltes der einzelnen Bilderreihen; erzielt
durch die Scheinarchitektur einer Tempelhalle, die mit Widderköpfen
(sie deuten, wie der Widder beim Opfer Abrahams, auf das Opfer
Christi hin) als einzigem Ornament und mit Kränzen zur Osterfeier
geschmückt wird. Die Bedeutung dieser Architektur für das Ver-
ständniss des Gemäldes, verglichen mit derjenigen der Jenseits-
konstruktionen Dantes. Ideeller Aufbau des Gemäldes auf den
typologischen Bildergruppen der Wölbung der Querwände: 1. Die
Altarwand. Beziehung des Weltschöpfungs-Triptychons auf Jonas
(Welt- und Ostermorgen). Ausgestaltung der Triptychen; Hin-
ordnung aller anderen Bilderreihen auf die Altarwand, der Pro-
pheten und Sibyllen auf Jonas, der Lünetten auf die Passahnacht
und Abrahams Opfer, der Historien durch Einfügung der Erschaffung
Evas, des Ecce homo-Typus, und der Medaillonbildchen der Königs-
geschichte auf die Himmelfahrt Eliä und das letzte Opfer Daniels.
2. Die Thürwand. Die „Rettungen". Zacharias als Typus des be-
jubelten, die Schmach Noahs als Typus des verschmähten Christus
der Passion, das Lunettenpaar mit den Typen der drei Völker-
familien der Schrift (Semiten, Hamiten, Japhetiten). Ergänzung des
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„Auch die Vorfahren (gleichfalls nicht in der Liturgie) waren
dem Künstler in die Erinnerung gekommen."
Als Schlusspunkt hätte nun der Liturgie zufolge Christus ge-
hört. „Der geläuterte Geschmack, das strengere Denken der ,Zeit-
genossen Julius' II.' verwehrte ihm, Diesen mit der Naivetät mittel-
alterlicher Künstler zu bringen. Da bot sich Jonas dar, als Stell-
vertreter der Auferstehenden und zugleich Symbol der Wiedergeburt
der Menschheit."
„Und es erbarmte sich seines Volkes der Herr," so heisst es
mit Jonas' Worten in der Liturgie. Der typologische Bilderkreis tritt
ein. Als Verherrlichung der Auferstehung wählt für die Eckbilder
Michelangelo die vier Rettungen des Volkes Israel, deren zwei als
rechte Kreuzesbilder gedacht sind. Gesellt werden die in der Liturgie
angeführten Thatsachen: Opfer Abrahams und das Passahlamm.
Ein drittes verbindet sich mit dem Symbolischen und Typolo-
gischen: das Historische. Erschaffung des Lichtes, entsprechend
dem „Es werde Licht" der Liturgie, der Sündenfall und die Sünd-
fluth (Liturgie). Diese Hauptbilder riefen Seitenbilder hervor. End-
lich findet der leise David'sche Sehnsuchtsruf der Liturgie seine
künstlerische Gestaltung in den „Vorfahren", für welche Dantes
Schilderung im vierten Gesang des Inferno bestimmend wird.
Die Gestaltung des dekorativen Aufbaues darf ich kurz mit
Spahns Inhaltsangabe des Kapitels charakterisiren: „Auf den in die
Kapelle Eintretenden wird als erstes eine rein dekorative Wirkung
der Decke erstrebt. Allmähliche Überleitung aus ihr zum Bewusst-
werden des geistigen Gehaltes der einzelnen Bilderreihen; erzielt
durch die Scheinarchitektur einer Tempelhalle, die mit Widderköpfen
(sie deuten, wie der Widder beim Opfer Abrahams, auf das Opfer
Christi hin) als einzigem Ornament und mit Kränzen zur Osterfeier
geschmückt wird. Die Bedeutung dieser Architektur für das Ver-
ständniss des Gemäldes, verglichen mit derjenigen der Jenseits-
konstruktionen Dantes. Ideeller Aufbau des Gemäldes auf den
typologischen Bildergruppen der Wölbung der Querwände: 1. Die
Altarwand. Beziehung des Weltschöpfungs-Triptychons auf Jonas
(Welt- und Ostermorgen). Ausgestaltung der Triptychen; Hin-
ordnung aller anderen Bilderreihen auf die Altarwand, der Pro-
pheten und Sibyllen auf Jonas, der Lünetten auf die Passahnacht
und Abrahams Opfer, der Historien durch Einfügung der Erschaffung
Evas, des Ecce homo-Typus, und der Medaillonbildchen der Königs-
geschichte auf die Himmelfahrt Eliä und das letzte Opfer Daniels.
2. Die Thürwand. Die „Rettungen". Zacharias als Typus des be-
jubelten, die Schmach Noahs als Typus des verschmähten Christus
der Passion, das Lunettenpaar mit den Typen der drei Völker-
familien der Schrift (Semiten, Hamiten, Japhetiten). Ergänzung des
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