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Thode, Henry; Thode, Henry [Hrsg.]
Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 3,1): Der Künstler und seine Werke: Abth. 1 — Berlin: Grote, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.47068#0033
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Der antike Mythus und der plastische Stil.

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Normen festzustellen, welche, der Vorstellung des typischen
Allgemeinmenschlichen entsprechend, eine deutliche Anschauung
von der Beziehung der Einzelheiten auf die Einheit des Ganzen
ermöglichen.
Mit ihrer Ausprägung verband sich die dritte formale Gesetz-
mäßigkeit, welche sich auf das organische Leben in der Bewegung
bezieht. Den einheitlichen Eindruck einer Bewegung hervorzubringen,
bedarf es, die Wahl natürlicher, unserem Gefühl und unserer An-
schauung vertrauter und daher nachzuempfindender Motive voraus-
gesetzt, einmal der klaren Anordnung, welche den Zusammenhang
in den Bewegungen der einzelnen Glieder bei allen Hauptansichten
zur deutlichen Anschauung bringt, also über die Gesamtbewegung
keinen Zweifel läßt, und andrerseits der Gestaltung des Gesamt-
motives als Ausdruck einer einheitlich im Körper wirkenden Kraft,
welche alle Einzelfunktionen in Einklang setzt.
Vergleicht man nun diese Forderungen rein for-
maler Gesetzmäßigkeit in der plastischen Kunst mit
jenen, welcheder mythische Stoff s eine m We sen n ach
an denKünstler stellt, so ergiebt es sich, daß beide
absolut miteinander übereinstimmen. Denn die formale
Einheitsbildung gestaltet eben jene Schönheit des Reinmenschlichen,
die einzig und allein vollkommener Ausdruck der mythischen Vor-
stellungen ist. In einer höheren Gesetzmäßigkeit, der
Kongruenz von Idee und Form, aber entsteht Das,
was wir im strengsten Sinne Stil nennen. Nur ein ein-
ziges Mal hat die Skulptur ihn erreicht, nur ein einziges Volk war
befähigt, die vollkommene Schönheit des menschlichen Leibes
plastisch zu gestalten, denn nur der Grieche war der Bildner eines
Mythus, der das Ideal des Menschlichen zur Vorstellung brachte.
 
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