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Mönch im spanischen Kloster gestorben. Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 waren
im Reich die evangelischen Stände und ihre Kirche als gleichberechtigt anerkannt worden.
Immer aber blieb für die unter spanisch-jesuitische Führung gekommene und inTrient gegen-
reformatorisch festgelegte römische Kirche die Kirche der Reformation die Kirche der
Ketzer. So ist auch im Dessauer Altar die Doppeltendenz spürbar: positiv darzustellen, daß
die Evangelischen so wie die Jünger Jesu in echter Gemeinschaft mit dem Herrn der Kirche
stünden, und zum andern mit solchem Bekenntnis den Vorwurf der Traditionslosigkeit zu
überwinden: In der Heiligen Schrift als Norm der Kirche ist das neutestamentliche Abend-
mahl zur immer neuen Realisierung dieser Gemeinschaft Christi eingesetzt.

Auf dem Wittenberger Altar fanden wir schon in ähnlichem Zusammenhang die zeitgenös-
sische Kirche in Luther, Melanchthon, Bugenhagen und den Wittenberger Gemeindegliedern
dargestellt. Auf dem Weimarer Altar stand der alte Cranach selbst neben Luther und dem
Täufer Johannes unter dem Kreuz Christi. Hier auf dem Dessauer Altar hat dieser Gedanke
seine Vollendung gefunden: Alle Reformatoren sitzen mit Christus vereint als die Schar der
Jünger am Abendmahlstisch, vor dem der Stifter des Bildes, Joachim von Anhalt, kniet, wäh-
rend auf der anderen Seite der jüngere Cranach sich als Mundschenk — wie schon in Witten-
berg, in Dessau aber mit dem Cranachschen Siegelring (119) an der Hand — dieser Tisch-
gemeinschaft dienend eingefügt hat. Judas als einziger ist nicht gekennzeichnet, sondern hat
den von den anderen Abendmahlsbildem Cranachs bekannten Typ behalten.

In einem schönen Renaissanceraum findet das Mahl statt. Eine antike Säule stützt die kasset-
tierte Holzdecke, während Holztäfelungen die Wände und Fensternischen umkleiden, alles
in warmem goldbraunem Ton gehalten, der heller und dunkler, auch ins Grau oder Rot
hinein nuanciert ist. Im Hintergrund läßt eine reichgeschmückte Tür den Blick zu der Öff-
nung frei, durch die die Speisen gereicht werden, und die Schar der jüngeren Mitglieder des
fürstlichen Hauses steht dort bereit, beim Mahl zu dienen.

Auch alle Gegenwärtigkeit eines Mahles im damaligen Dessauer Schloß ist doch nur ein Hin-
weis darauf, daß das neutestamentliche Abendmahl immer neu absolute Gegenwart wird nach
den Einsetzungsworten des Herrn. Die Kirche der Jünger und Apostel ist über Raum und
Zeit hinaus Gegenwart hier und jetzt. Daß Cranach dabei nicht eine kultische Abendmahls-
feier der damaligen Kirche darstellte, wie wir dies wohl auch öfters im 16. Jahrhundert und
später finden38, sondern das biblische Geschehen des ersten Mahles, will sicher nur umso stärker
den Grund betonen, der in der Schrift gelegt ist. Christus reicht dem Judas über den Tisch
hin den Bissen; an der gelben Farbe des Gewandes und dem roten Beutel würde jeder auch
ohne diese Geste Christi unter den schwarzgewandeten anderen Jüngern den Judas erkennen.
Georg von Anhalt sitzt als Jünger Johannes an Jesu Seite, die Hände vertraut auf seine Schulter
legend. Er und der Mundschenk ragen durch ihr dunkles purpurrotes Gewand aus der Schar
der anderen hervor, vor allem aber in der Mitte des Tisches und im Mittelpunkt des Gemäldes
vor der tragenden Säule Christus selbst im braunvioletten Gewand (118,120).

Relativ ruhig schließt sich links und rechts die eigenartige reformatorische Jüngerschar an,
wenn die einzelnen auch mehr oder minder die Bewegungen in gemäßigter Form andeuten,
die wir vom Wittenberger Altar und anderen Darstellungen der Verratsanzeige her kennen:
Zwei haben die Hände beteuernd zur Brust erhoben, einer hebt die Hand im Redegestus, ein

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