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Tietze, Hans
Die Methode der Kunstgeschichte: ein Versuch — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.70845#0346
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328

IV. Kapitel: Kritik.

andere — zu berücksichtigen ist, aber von der Einzelfrage lokaler Bestimmung
weit abführt. Denn er rangiert ähnlich wie etwa ein früher empfangener
fremder Eindruck, und aus einem Werk festzustellen, welche Elemente
seinen Autor gebildet haben — etwa ob er als Deutscher in Italien gelernt
hat —, ist keine Frage bloßer Lokalisierung mehr. Die Bedeutung des natio-
nalen Milieus für die Kunstentwicklung wird bei der Interpretation aus-
führlicher zu erörtern sein; bei der Frage der Bestimmung ist nur vorweg-
zunehmen, daß zwar die ursächliche Verknüpfung der Rassenbedingungen
mit den Kunstäußerungen kaum aufhellbar ist und daß der ethnische Cha-
rakter eines Denkmals, selbst nach den Anhängern der Rassentheorie, mehr
gefühlt als erklärt werden kann1), daß sich aber die Grundzüge nationaler
Kunstübung doch empirisch erfassen und bezeichnen lassen. Deutsche und
italienische Kunst sind zweifellos verschieden und innerhalb dieser mögen
die Charakteristiken, die Morelli auf Grund volkstümlicher Tradition von
den einzelnen Landschaften Oberitaliens gegeben hat, oder die Versuche
einer Analyse des spezifisch Bayrischen durch Riehl zurecht bestehen2).
Aber auch bei der Bestimmung darf nicht daran vergessen werden, daß solche
Charakteristiken eigentlich nur Grenzwerte aufstellen und daß eine indi-
viduelle Sonderart weit aus ihrem nationalen Rahmen herausfallen kann;
daß ferner durch die Freizügigkeit von Kunstwerken und Künstlern, durch
das Hin- und Herspinnen von Einflüssen, durch das Gemisch von Lehren
und Lernen die lokalen Züge bisweilen stark verwischt werden und daß sich
aus diesem Gewebe zu mancher Zeit eine Kunstübung von internationalem
Gepräge ergibt. Daher sind Irrtümer oder Unstimmigkeiten bezüglich der
örtlichen Zuweisung größer und auffallender als in der zeitlichen; das be-
kannte Frauenbild des Staedelschen Instituts wurde für Dürer und für
Bartolomeo Veneto in Anspruch genommen3), oberdeutsche und venezianische
Bilder, besonders Porträts, berühren oft wie Blüten eines Stammes4) und die
Schwierigkeit, manieristische oder klassizistische Werke national zu scheiden,
grenzt manchmal an Unmöglichkeit.
3. Bestimmung des Urhebers eines Denkmals.
Das Verhältnis dieser Kernfrage der Stilkritik zum Gesamtkomplex der
Kunstgeschichte ist ein sehr eigentümliches; ob sie deren letzter Zweck ist

9 Ernst Grosse, Kunstwissenschaftliche Studien, Tübingen 1900, S. 135.

2) Lermolieff, Die Galerie zu Berlin, Leipzig 1893, S. 70. -— Riehl, Internationale und
nationale Züge in der Entwicklung der deutschen Kunst, in Abhandlungen der historischen
Klasse der bayrischen Akademie der Wissenschaften XXIV, 1909, S. 182.

3) H. Thode, Die Jugendgemälde Albrecht Dürers, im Jahrbuch der preußischen
Kunstsammlungen XII, S. 25; Lermolieff, Die Galerien zu Dresden und München, Leipzig
1891, S. 223.

4) Posse, Die Neuerwerbungen des Kaiser Friedrich Museums in Monatshefte für
 
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