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Ein Hahn erklärt einem Bären, der ihn frägt, warum die Hühner nach
jedem Schluck Wasser den Kopf in die Höhe heben, dafs es aus Dank-
barkeit geschehe, dafs sie der Gottheit für jeden Trank danken. Der
Bär, der ohne Religion aufgezogen wurde, (der Hahn ist gewifs in strenger
Religion aufgewachsen!) lacht darüber und meint, er habe noch nie
einen so dummen Gebrauch gesehen. Jetzt bekommt der Bär eine Lek-
tion aus der Anstandslehre; abgesehen von Schonung religiöser Gefühle,
sollte er doch auf die Gebräuche des Landes, in dem er sich aufhalte,
Rücksicht nehmen:
Why lake such pains to prove you are
A downright, worthiess, senseless bear!
Da verfällt ein Esel, der wahrscheinlich Geschichte der Philosophie
studiert hat, in grofse philosophische Betrachtungen:
Say, great Leueippus, Epicurus,
Ye learn'd Men-Asses, who assure us
Thal every thing was made by ehanee. (Fable 40.)
Wallbeck wollte sichtlich nach dem Muster Lafontaine's, von dem er selbst
sagt: „Under the names and forms of Aminals [he] has describ'd the
modes of human life1)," die Tiere zu Symbolen menschlicher Lebens-
erscheinungen machen, hat aber dabei die Kunst des französischen Meisters
mifsverstanden. Lafontaine stellt uns den Wolf, den Adler, die Ameise
dar, Wallbeck führt uns einen Wolf, einen Adler, eine Ameise vor, Tiere,
welche nicht nach ihrem speziellem Charakter reden und handeln, sondern
so, wie er es haben will. Er hat seine Tiere zu Menschen travestiert,
d. h., ihnen menschliche Eigenschaften beigelegt, die sie entweder generell
oder speciell nicht besitzen. Lafontaine hat den sparsamen Menschen in
der Ameise, den blutgierigen im Wolfe, den starken im Löwen, den
schlauen und listigen im Fuchse dargestellt; er hat seinen Fabelfiguren
Eigenschaften beigelegt, welche sie mit dem Menschen gemeinsam haben;
wenn aber die Ameise im Namen des Common Sense redet, ein Maulwurf,
der in der Finsternis des Erdbodens ein dunkles Dasein führt, einen unglück-
lichen Menschen belauscht, über sein Herzeleid reflektirt und ihn zu un-
beschränktem sinnlichen Lebensgenufs auffordert, eine Amsel über die
Entsittlichung des Grofsstadtlebens philosophiert, ein Pferd in Selbst-
vorwürfen sich ergeht, den Menschen aber wegen desselben Fehlers
tadelt, so verstöfst das schwer gegen die Wahrscheinlichkeit, gegen
die notwendige Harmonie der Kunst mit der Natur. Wenn ein Frosch
sich zu der Gröfse eines Ochsen aufblähen will, so widerspricht das den
intellektuellen und physischen Eigenschaften, die wir diesem Tiere zu-
1) Dedication p. 33 f.
Ein Hahn erklärt einem Bären, der ihn frägt, warum die Hühner nach
jedem Schluck Wasser den Kopf in die Höhe heben, dafs es aus Dank-
barkeit geschehe, dafs sie der Gottheit für jeden Trank danken. Der
Bär, der ohne Religion aufgezogen wurde, (der Hahn ist gewifs in strenger
Religion aufgewachsen!) lacht darüber und meint, er habe noch nie
einen so dummen Gebrauch gesehen. Jetzt bekommt der Bär eine Lek-
tion aus der Anstandslehre; abgesehen von Schonung religiöser Gefühle,
sollte er doch auf die Gebräuche des Landes, in dem er sich aufhalte,
Rücksicht nehmen:
Why lake such pains to prove you are
A downright, worthiess, senseless bear!
Da verfällt ein Esel, der wahrscheinlich Geschichte der Philosophie
studiert hat, in grofse philosophische Betrachtungen:
Say, great Leueippus, Epicurus,
Ye learn'd Men-Asses, who assure us
Thal every thing was made by ehanee. (Fable 40.)
Wallbeck wollte sichtlich nach dem Muster Lafontaine's, von dem er selbst
sagt: „Under the names and forms of Aminals [he] has describ'd the
modes of human life1)," die Tiere zu Symbolen menschlicher Lebens-
erscheinungen machen, hat aber dabei die Kunst des französischen Meisters
mifsverstanden. Lafontaine stellt uns den Wolf, den Adler, die Ameise
dar, Wallbeck führt uns einen Wolf, einen Adler, eine Ameise vor, Tiere,
welche nicht nach ihrem speziellem Charakter reden und handeln, sondern
so, wie er es haben will. Er hat seine Tiere zu Menschen travestiert,
d. h., ihnen menschliche Eigenschaften beigelegt, die sie entweder generell
oder speciell nicht besitzen. Lafontaine hat den sparsamen Menschen in
der Ameise, den blutgierigen im Wolfe, den starken im Löwen, den
schlauen und listigen im Fuchse dargestellt; er hat seinen Fabelfiguren
Eigenschaften beigelegt, welche sie mit dem Menschen gemeinsam haben;
wenn aber die Ameise im Namen des Common Sense redet, ein Maulwurf,
der in der Finsternis des Erdbodens ein dunkles Dasein führt, einen unglück-
lichen Menschen belauscht, über sein Herzeleid reflektirt und ihn zu un-
beschränktem sinnlichen Lebensgenufs auffordert, eine Amsel über die
Entsittlichung des Grofsstadtlebens philosophiert, ein Pferd in Selbst-
vorwürfen sich ergeht, den Menschen aber wegen desselben Fehlers
tadelt, so verstöfst das schwer gegen die Wahrscheinlichkeit, gegen
die notwendige Harmonie der Kunst mit der Natur. Wenn ein Frosch
sich zu der Gröfse eines Ochsen aufblähen will, so widerspricht das den
intellektuellen und physischen Eigenschaften, die wir diesem Tiere zu-
1) Dedication p. 33 f.