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Ulk: illustriertes Wochenblatt für Humor und Satire — 30.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.29961#0017

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11- Januar 1901

Nr. 2 * Seite 5

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AN den Mallen der Ictzlcn Atzung Im N»m Vansk.

^^^ns Anlaß des preußischen Staatsjubiläums haben die
Stadtverordneten von Berlin 5600 Mark zur Verkeilung
einer Festschrift: „200 Jahre preußischer Geschichte" an fleißige
Schüler bewilligt. Die Debatte darüber war sehr erregt. Da die
Zeitungen nur kurz darüber berichteten, geben wir die Verhandlung
hier in aller Ausführlichkeit wieder. Als erster Redner erklärt

Stadtv. Hosfmann (Sozialdemokrat): Meine Partei wird
unter keinen Umständen so viel Geld für ein Buch bewilligen, das
nur dem Byzantinismus Vorschub leistet. Ich kenne den Inhalt
der Festschrift nicht, ich weiß aber, daß sie die Thatsachen fälscht.
Auf jeder Seite des Buches, das ich, wie gesagt, nicht gelesen
habe, wird der Wahrheit ins Gesicht geschlagen. Jedes einzelne
Kapitel, von deren Eintheilung ich keine Ahnung habe, stellt die
historischen Ereignisse auf den Kopf. Ein solches Buch ist keine drei
Pfennige Werth, geschweige denn die 5600 Mark, die man den
ärmsten Proletariern ans der leeren Tasche ziehen will. (Bravo!
bei den Sozialdemokraten.)

Stadtv. Mommsen: M. H.! Ich verstehe nicht, wie
Jemand den Math haben kann, ein Buch zu tadeln, das er nicht
vorher durchstndirt hat. Zumal eine Festschrift. Wir müssen sie
vertheilen, denn sie wird durch ihren gediegenen Inhalt
nur segensreich wirken. Ich nenne den Inhalt gediegen,
obgleich ich noch nicht dazu kam, das Buch zu lesen. Aber der
Name des Verfassers bürgt dafür, daß das Buch vorzüglich sein
muß. Ich kenne den Stil des Verfassers, denn ich habe einmal
eine Postkarte von ihm gelesen, worin er sich bei einem Freunde
für die Einladung zu einem Abendbrot» bedankt. Danach traue
ich ihm den historischen Blick und die volkslhümliche Klarheit,
die für eine solche Festschrift nothwendig sind, zu und stimme für
die Verbreitung seines klassischen Geschichtswerks. (Bravo bei den
Wadenstrnmpflern.)

Stadtv. Stadthagen: Da sieht man wieder, wie die
persönlichen Beziehungen verblenden. Ich kenne den Verfasser
nicht und kenne die Schrift nicht (Bravo bei den Sozialdemokraten) und
habe also doppelte Gründe, Buch und Verfasser öffentlich zu
schmähen. Eine ähnliche Schmiererei wie diese mir gänzlich fremde
Festschrift existirt in der Welt nicht zum zweiten Mals. Der
Verfasser ist ja der allerungeeignetste, den man auswählen konnte,
denn ich weiß von ihm so wenig, daß ich nicht einmal eine An-
griffsfläche finde, um ihn vor der Oeffentlichkeit herabzusehen.
Und zu einem solchen Menschen haben Sie das Zutrauen, daß er
unsere Jugend belehren könnte? Nein, m. H., diesem Werke keine
Verbreitung oder höchstens eine ähnliche, wie sie veralteten
englischen Kursbüchern in den Rotunden zu Theil wird. (Beifall.)

Oberbürgermeister Kirschner: Es ist mir unbegreiflich,
wie man ein Buch, das man nicht gelesen hat, kritischen
kann. (Ironische Heiterkeit auf der Jonrnalisten-Tribüne). Der
Magistrat glaubte, daß Sie die Vorlage sofort annehmen würden,
eben weil Ihnen nichts Näheres bekannt ist. So geschieht es doch
sonst immer. (Ruf: „Haben Sie denn das Buch gelesen?") Es ist
eigentlich unter meiner Würde, darauf zu antworten. Deshalb
erkläre ich, daß Wir, der Magistrat, die Festschrift natürlich genau
geprüft haben, ehe wir die Vorlage beschlossen. Das Buch eignet
sich, dem Umfang und dem Einband nach, wie kein anderes
zur Prämie an fleißige Schüler. Auch das Papier ist vortrefflich,
der Druck läßt nichts zu wünschen übrig. Mehr weiß ich aller-
dings auch nicht, denn zum Lesen fand ich noch keine Zeit. Ich
schließe aber aus der lückenlosen Folge der Seitenzahlen, die ich
von drei städtischen Rechnungsrevisoren prüfen ließ, daß auch alles
andere, was sonst aus den Seiten steht, korrekt und tadellos ist.

Stadtv. Gold sch midt I: Wäre es nicht am praktischsten,
wir vertagten die Debatte bis zur nächsten Sitzung, und nähmen
uns inzwischen die Festschrift vor, um sie erst zu lesen? (Unruhe.)

Stadtv. Dr. Schwalbe: Der Vorschlag des Herrn Vor- ^
redners richtet sich selbst. Wenn Sie das Buch erst gelesen haben, 1

ist es kein Kunststück, darüber zu berathen. Auch ist es ja garnicht
für Sie geschrieben, sondern für Kinder, und die verstehen ja
doch nichts von der ganzen Geschichte. Ueberdies soll das Buch

verschenkt werden, und einem geschenkten Gaul.na. Sie

wissen ja.

(Diesen plausiblen Gründen vermochte kein Redner mehr zu wider-
sprechen. Die Versammlung bewilligte die Vorlage des Magistrats mit
großer Stimmenmehrheit.) S. Mg.

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