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Ulk: illustriertes Wochenblatt für Humor und Satire — 30.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.29961#0040

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Seite H * Nr. 5


Februar IsZtN

deber unsere Kraft.

Der Tragödie dritter und letzter Theil.

Dem noi'LUfcken Vicktev Kjöpnfljevne Vjovnfon voi»geaknt uncl naekgeäicktet.

(Die Szene stellt den belebtesten Theil der Leipzigerstratze dar.
Elektrische Straßenbahnwagen donnern vorüber. Dazwischen Droschken,
Motoren, Fahrräder und Lastwagen. Ungeheures Menschengewühl.)

Zeitungsverküufer (schreien): Las Neueste — Allerneueste
— Allerneueste!

Credo (der aus dem 2. Theil bekannte Knabe, jetzt ein eleganter
Herr, Ende der Vierziger, zu seiner Begleiterin): Es freut mich, daß
du pünktlich bist, liebe Spera.

Spera (die aus dem 2. Theil bekannte gleichaltrige Schwester): Ich
wartete sogar schon auf dich. Ach, warten ist ja mein Lebens-
beruf. Mein Haar war einst golden wie Onkel Björnsons Herz,
und jetzt ist es grau wie Ibsens Grübeleien. Und noch immer
ist kein Freier da. Aber Einer muß doch den Anfang
machen.

Zeitungsverkäufer: Extrablatt — das Neueste — Aller-
neueste!

Credo: Welch' ein Lärm! Geben Sie doch her! (Er kauft ein
Extrablatt und liest)!: „Soeben wurde auf dem Friedhof in Könitz
eine Socke gefunden. Ganz Könitz ist in Aufregung. Die Polizei
verfolgt eine neue Spur!"

Spera: Dem Staatsanwalt geht es wie mir. Auch er lebt
in ewiger Hoffnung.

Credo: Sieh da, Schwester, da kommen meine beiden Jungen,
Credit und Debet —

Spera: Wie groß sie geworden sind, seit ich sie das letzte
Mal sah. Guten Tag, Kinder, kennt ihr mich noch?

Credit: Aber gewiß, Tante. Du siehst noch so aus wie
vor zehn Jahren.

Debet: Ja, da hattest du auch schon graue Haare.

Spera (erröthet. Nach einer Pause): Nun werdet ihr bald
große Herren sein. Was wollt ihr denn werden?

Credit (begeistert): Ich gehe zur Marine. Da hat man jetzt
Kredit am meisten nöthig.

Debet (die Augen gen Himmel gerichtet): Und ich will fromm
werden wie Großvater Sang, aber ich werde praktischer sein, und
wenn ich eine Schaar Gläubiger um mich habe, will ich mit
ihrem Gelde eine Hypothekenbank gründen.

Der alte Credo: An diesen Kindern richtet man sich auf.
Ist es nicht wirklich so gekommen, wie Onkel Björnson prophezeit
hat? Die Wunder der Technik machen die Menschheit gut und
glücklich.

Zeitungsverküufer: Extrablatt — Allerneuestes — Aller-
neuestes!

Credo: Was giebt's denn schon wieder? (Er kaust ein Blatt und
liest): „Auf dem Marktplatz in Könitz ist ein Hosenträger gefunden
worden. Die Aufregung in der Stadt ist groß. Die Polizei ver-
folgt eine ganz neue Spur."

Spera: Also doch! Ja, ja, die Menschheit schreitet rasch
vorwärts, — nur nicht hier in der Leipzigerstraße. Das ist ein
Durcheinander, daß man selbst nicht mehr weiß, welche Richtung
man einschlagen soll.

Ein Offizier der Heilsarmee (steigt auf ein mitgebrachtes
Podium, das er mitten in dem Gewühl der Menschen und Wagen auf-
stellt. Die Menge staut sich): Jawohl, mein verehrtes Publikum!
Man weiß nicht mehr, welche Richtung man einschlagen soll.
Die Anarchisten sagen: Am besten, man schlägt gar keine Richtung,
sondern Anderen den Schädel ein. Die Frommen sagen: Nur ein
Wunder kann heute noch einschlagen. Und der Berliner
Kaufmann fragt seinen Kunden: „Darf ich Ihnen was ein-
schlagen?"

Spera (zu Credo): Du, der redet ja so wehrlinisch.

Offizier der Heilsarmee: Ich kenne alle Richtungen,
meine Herrschaften. Denn im 1. Theil von „Ueber unsere Kraft"
war ich orthodoxer Pfarrer und im 2. Theil rother Sozial-
demokrat.

Credo (zu Spera): Natürlich, das ist ja Bratt. Der ist doch
aber am Schluß des 2. Theils verrückt geworden.

Spera: Ich finde nicht, daß er sich verändert hat.

Offizier der Heilsarmee: Ja, meine Herrschaften, ich habe
viel durchgemacht, erst als zweifelnder Pfarrer, dann als ver-
zweifelnder Genosse. „Der arme Bratt", sagten sie damals. Doch
jetzt bin ich ein moderner Uebermensch geworden und nenne mich
Ueberbrattl.

Publikum: Bravo! Bravo!

Offizier der Heilsarmee: Und als solcher beglückeich
die Welt mit meiner neuen Lehre. Zwei Strömungen arbeiten
hier einander entgegen. Die eine Partei drängt mit aller Gewalt
gen Osten, zu Tietz, die andere ebenso heftig nach Westen, zu
Wertheim. In welchem Waarenhaus kauft man die reellsten und
billigsten Ideale? Ich aber sage Ihnen, weder da noch dort,

sondern-(Es ertönt ein entsetzliches Geschrei. An der Kreuzung

der Leipziger- und Mauerstraße sind sieben Straßenbahnwagen aus sieben
verschiedenen Richtungen aufeinander gefahren. Man sieht einen unent-
wirrbaren Knäuel zerschmetterter Wagen und Menschen. Auch Bratt,
jetzt Ueberbrattl, Credo, Spera, Credit und Debet verschwinden in dem
Wirrwarr. Das Getöse der allgemeinen Aufregung dauert ungefähr zwei
Stunden. Dann wird es ruhiger, und man hört das Ausrufen von
Extrablättern.)

Z eituugsverkäufer: Neuestes — Allerneuestes.

Spera (die auf einer Bahre von Samaritern der Unfallstation
durch die Menge getragen wird): Geben Sie her! (Sie kauft ein
Extrablatt und liest): „In Könitz wurde soeben kein weiteres
Kleidungsstück aufgefunden. Die Konitzer Bürgerschaft ist in
größter Anfregnng. Die Polizei verfolgt eine ganz neue Spur."
(Sie faltet das Blatt zusammen und seufzt): Ja, ja! Spiegelt sich nicht
in diesem Könitz unser ganzes Weltsystem? Auch wir Philosophen
tappen wie dort die Polizei nach dem verborgenen Sünder, der
den Weltspektakel in Szene gesetzt hat. Auch wir entdecken ihn
nicht. Es geht über unsere Kraft. — Aber wo ist mein
Bruder, wo meine Neffen, wo Ueberbrattl?

Ein Samariter: Alle umgekommen!

Spera (ebenfalls ihren großen Geist aufgebend): Na, Einer muß
doch den Schluß machen. S. Mg.

Demaskirung.

ehmt ihm die Maske vom Gesicht,
Die Maske mit den güt'gen Blicken,
Die scheinbar Ja zu allem nicken
Und immer lächeln, wenn er spricht —
Nehmt ihm die Maske vom Gesicht.

Die Maske, die so lieb und licht,

Mit ihrem Rinn, dem rundlich weichen,
Mit ihrem Grübchen ohne Gleichen,

Das alle Weiber flugs besticht —
Nehmt ihm die Maske vom Gesicht.

Die Maske laßt ihm länger nicht!

Seht dreist nur hinter das Geflunker:
Auch dieser Herr ist nur ein Junker —
Nehmt ihm die Maske vom Gesicht!

Reißt ihm die Maske vom Gesicht!

F. E.
 
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