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Der Gedanke, bestimmte wissenschaftliche Disziplinen und
wissenschaftliche Denkweisen in die Gestaltungsarbeit ein-
zuverleiben, wurde bereits Ende der zwanziger Jahre
von Hannes Meyer am Bauhaus verwirklicht, nachdem schon
1910 der Architekt Lethaby die Notwendigkeit dieses Schrittes
verfochten hatte: “Wir sind in ein wissenschaftliches
Zeitalter eingetreten, und die alten praktischen Künste, die mit
dem Instinkt arbeiten, gehören einer völlig anderen Epoche an ...
Man muß die wissenschaftliche Seite unserer Studien
schnell hochschrauben und die archäologische schnell zurück-
schrauben ... Ich möchte noch einmal sagen, der Lebensnerv
des Entwerfens liegt in der wissenschaftlichen Methode.“
(Lethaby, W. R., “Architektur als Wagnis“ in 'Anfänge des
Funktionalismus' ed. Julius Posener, Berlin/Frankfurt M./ Wien
1964.) Nach mehr als fünf Jahrzehnten hat dieser Ausspruch
nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Selbst heute noch
bezeichnet er eher eine Utopie als eine Realität.
Der in Ansätzen sich befindende Prozeß der Rationalisierung —
unumgänglich für die Designer, sofern sie nicht riskieren wollen,
zukünftig an die Peripherie gedrängt zu werden — zeitigt bislang
nicht allein ermutigende Folgen. Oftmals läßt sich da mehr
Deformation als Formation, mehr Verbildung als Bildung
feststellen. An amerikanischen Archtitekturfakultäten kursiert die
sarkastische Bemerkung: wer zur Architektur nicht tauge,
gehe in die Planung. (Es werden möglicherweise nicht viele
Jahre vergehen, bis man sich genötigt sieht, diesen
Spruch umzukehren.) Gewiß ist nicht nur Ranküne am Werk, wenn
behauptet wird, daß sich oft gerade diejenigen von der
glitzernden Designmethodoiogie faszinieren lassen, denen
es an — wie gerne gesagt wird — gestalterischen Fähigkeiten
gebricht; sie bedienten sich der Systematik beim Gestalten
weniger, um zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen, denn als
Schirm für ihre unzulänglichen Designideen. Die Aneignung
rationaler Methoden, die Eingliederung wissenschaftlicher
Verfahren und Kenntnisse in den Entwurfsprozeß kann
von vielfältigen, sich widersprechenden Motiven geleitet werden.
Zum einen wirkte und wirkt der Wunsch, wissenschaftliche
Ergebnisse für die Humanisierung der Umwelt nutzbar
zu machen — eine Aufgabe, die bislang sträflich vernachlässigt
worden ist. Zum anderen erfüllte und erfüllt die Hinneigung
zur 'Wissenschaft' eine plakative Funktion im Vorgang
der gesellschaftlichen Konsolidierung des Designers. Anpassung
an herrschende Verhältnisse ist ein zweifelhaftes Verdienst,
selbst wenn es die der 'Wissenschaft' sind, deren konservative
Aufgaben ihren einst kritischen Impuls allzu leicht verdrängen.
Wer auf rationale Entscheidungskriterien pocht und mit
optimalen Designlösungen brilliert, der empfiehlt sich eben
dadurch auch durch Vorweisen handfester Nützlichkeit, wie sie
in einem Industriesystem verlangt wird. Verwissenschaftlichung
des Design kann zweierlei beinhalten: einerseits ein
instrumentelles Interesse und andererseits einen
quietistischen Kotau vor der Wissenschaft — oder vor dem, was
die Gestalter jeweils dafür halten.
Wer sich hingebungsvoll um die Rationalität der Designmethoden
kümmert, gerät unversehens in Gefahr, das Bewußtsein
für die Rationalität der Zwecke des Design verkümmern zu
lassen. Rationalität kann befreiende Kräfte entwickeln, insgleichen
aber auch repressive Züge begünstigen. Rationalisierung
kann verdunkeln ebenso wie klären. Nicht von ungefähr meint
dieser Begriff in der Psychoanalyse: zweckgebundene
Beweisführung in Zwangslage. “Man muß sich bereitfinden,
die faktisch sauren Trauben als wohlschmeckend zu bezeichnen.“
(Mitscherlich, A., “Die Unwirtlichkeit unserer Städte“,
Frankfurt/M. 1965.)
Das Unbehagen an der Designmethodologie heftet sich vor allem
daran, — so unbestritten die Notwendigkeit der Design-
methodologie auch ist — daß mit der radikalen Durchforstung
des Gestaltungsprozesses der Blick für das Ziel der Gestaltung
getrübt wird, wenn nicht ganz verloren gehen kann, sofern

The idea of incorporating certain scientific disciplines and modes
of thought in design work was put into effect at the Bauhaus
by Hannes Meyer at the end of the twenties. But even before
this, in 1910, the architect Lethaby had argued for the necessity
of such a measure: “We have entered upon a scientific age,
and the old practical arts that work instinctively belong to an
entirely different era ... It is high time the scientific side of our
studies was given greater emphasis and the archaeological
side less... I would reiterate that the vital nerve of design lies
in scientific method.“ (Lethaby, W. R., “Architektur als Wagnis“
in ‘Anfänge des Funktionalismus' ed. Julius Posener, Berlin/
Frankfurt/M./Vienna 1964).
This Statement has lost nothing of its topicality after more than
five decades. Today it still represents a utopian idea more than a
concrete reality. The incipient process of rationalization — to
which all designers are committed unless they are prepared
to risk being left out in the cold — has so far achieved not
always encouraging results. More deformation than formation
are often the upshot.
“Those who are no good at architecture go into planning“
is the caustic remark heard in American faculties of
architecture. (It may not be many years before it will have to be
turned round the other way.) Certainly, there is more than
just malice in the allegation that design methodology
has a special Iure for those who — to use the cant phrase —
are lacking in creativity; they use System in their design
work not so much to achieve useful results as to dissemble
their paucity of design ideas.
The motives for adopting rational methods and incorporating
scientific methods and knowledge in the design process
are many, various, and contradictory. First, there was and is the
desire to use scientific results to humanize the environment
— a task which has so far been criminally neglected.
And then this inclination towards the “scientific“ fulfilled and
fulfils a placatory function in the process of integrating the
designer with society. Adaptation to prevailing conditions is of
dubious merit, even when the conditions are those of
“Science“, whose conservative functions all too easily stifle its
formerly critical impulse.
And so it comes about that those who make a great fuss about
rational criteria of decision and dazzle with Optimum
design Solutions also make out a case for themselves by
demonstrating the sort of solid Utility an industrial
System requires. Design on scientific principles carries two
implications: first an instrumental Interest, and second
a quietistic deference to science — or what designers take to be
Science.

Anyone who dutifully gives anxious thought to the rationality of
design methods inadvertently runs a risk of stultifying his
awareness of the rationality of design purposes.
Rationality can generate liberating forces but it can also encourage
repressive tendencies.
Rationalisation can obscure as well as illuminate. It is no
mere coincidence that in psychoanalysis rationalization means
the adduction of evidence for a specious purpose under
conditions of stress. “One must be ready to call sour grapes
sweet.“ (Mitscherlich, A., “Die Unwirtlichkeit unserer Städte“,
Frankfurt/M 1965).
The discomfort engendered by design methodology is due
primarily to the fact that — although the necessity for design
methodology is not disputed — this radical weeding out
of the design process may blur our view of the aim
of design or obscure it altogether unless measures are taken

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