Nr. I8v. Donncrstag, Lnblatt -er MlMg.
s. August 1886.
!srlmer
bicsen Taye» Lcr Ermnerung an den Todestaa
ynedrichs des Grotzen dürften einige Nückblicke auf den Ge-
burtstag deSselben Herrschers von Jntercffe sein.
Die Hofchronik vom Jahre 1712 berichtet untcrm 24.Januar:
..Sountag, morgens nach dcr Predigt, da man eben in der Pre-
digt um eme gluckliche Genesung der Kronprinzesiln wegen beran-
genahtcr Geburtsstunde gebcten, genas sie zwischen 11 u. 12 Uhr
ihrcs drittcn Prinzen, des ietzigen Prinzens von Prcußen uud
Oramen. Seine Majestät hatten sich cbcn in ihrem Eemache
(der hcutigen Kugelkammer oder Kurfürstenzimmer) an die Tafcl
gesetzt; aber weil kurz darauf der königliche Leibmedikus. der
Herr Hofrat Gundelsheim, die fröhliche Zeitnng von der
Gcburt eines Pnnzcn gcbracht, wnrden Seine MajestSt vor
Freuden darüber so alterirt, daß Sie mit Thräncn in den Augen
sich alsobald zur Kronprinzesstn hinüber tragen ließen nnd
hernachmals nicht essen konnten. Die Glocken wurden alsobald
geläutet nnd alle Stücke ans den WSllen gclöset, so datz in
eincm Augcnblicke die ganze Stadt und der Hof in eine unanS-
sprechliche Freude gcsctzt ward. Seine MajestSt deklarirten, datz
auch dicser Prinz gleich denen vorigen (früh verstorbenen) dcn
Siamen Prinz von Preutzen und Oranien fübren sollte nnd
hingen ihm, nachdem er gewindelt war, nachmittagS 2 Ubr, ncbst
eniem ganz ueucn Ordenskreuze vom Schwarzcn Adler, das
Orangc-Baiid um, wozu Seine MajestSt stch abermals zu Jhrer
königl. Hoheit der Kronprinzesstn tragen lietzen." Das Zimmer,
in welchem das königliche Soiintagskind das Licht der Welt er-
blickte, daS dermalige Borzimmer der Frau Prinzcssin Friedrich
Carl, liegt im zweitcn Stockwerke dcr Bcrliuer gicstdenz, nach
dem inneren Schlohhofe heraus. zwischen Portal k. und Lem
mittleren Schloßflügel.
, Als Friedrich II. im Jahre 1762 feiiien 50. GcburtStag
fcierte, war Berlin verodet, der König in Brcslau, im Begriffe,
den Frieden mit Rutzland zu unterhaiideln, derübrigeHofimmer
noch zu Magdeburg, wosclbst zu Ehrcn dieses Tages in der
deutschen reformirten Kirche cine Cantate der Frau Karschin anf-
geführt wurde. Ueber die in Berlin veranstalteten Festlichkeiten
crzShlen die hiesigcn Zeikungen vom 26. Jannar 1762 folgendeS:
„Sonntags, den 24. Jannar genoffen die sSmmtlicheii treu-
gestnnten Einwohncr der Residciizstadt Berlin daS durchdriiigcnde
Pergnügen . das 50. Geburtsfest Seiner Königlichen Majcstät,
unseres glorreichen Monarchen, mit Herzen voller Frende zu
feiern, wobei sie zugleich dem allerhöchsten vor die neuliche
augeiischeiiiliche Errettnng unseres geliebten Friedrichs aus der
außersten Gefahr den demüthigsten Dank abstatteten und die
göttliche Vorsehung nm dic fernere Erhaltnng dcr thenersten Person
dcs verehrungswnrdigsten Königs andächtigst und iiibriiiistigst
anflebten. An eben diesem Geburtsfeste, vormittags von 11 bis
12 Uhr. ward auf dem hicstgen Glockenspiele dcr reformirtcn
Parochialkirche von dem Glockenisten nnd Direktor desselben,
Herr Andreas Seidel das Is veum lauäawns nebst anderen
Lobgesängen feierlichst gespiclet. Des AbcndS sahe man verschicdene
vornehme HSuser in und auswendig auf das herrlichste erlenchtet.
Anch feierten die Großoffiziers der sämmtlichen hiesigen ehrwür-
digcn Freimaurer-Gesellschaften das hohe Geburtsfest uuscres
allertheuersten Monarchen mittels einer Affemblve, wobei sich
auch die Loge der Einigkeit einfaiid, im höchsten Vergnügen, und
bczeigten verschiedcne gelehrte Mitglieder in wohlauSgeaibeiteten
Neden ihren schnldigen Eifer vor das hohe Wohl der MajestSt,
unseres allergnädigstcn Königs.
Als im Jahre 1812 das bnndrrtjShrige Geburtsjnbiläum des
großen Königs eintrat, waren die politischen Verhältnisse des
Vaterlandes so ungiiiistig, daß — abgeschen von Zmeckessen nnd
dcr von den Mitgliedern der Berliner Börsenhalle veranstalteten
Jnvalidenspeisung — an eine hervorragende Iubelfeier nicht zu
denken war. Nur in dem Kreise der Wissenschaften und Künste
erhob man stch durch Ancillons akademische Festrcde und Stäge-
nianu's SSkularode zu einiger stillen Begeisteruiig. Auch die jeü,
bcvorstehcnde SSkularfeier des Todes Fricdrich II. wird bckaiint-
einen stillen Character tragen.
« «
»
Eine Jnkognito-Neise hat die Erbprinzessin Cbar-
lotte von Sachsen-Meiningen nach Schwcden und Nor-
wegen unternommen. Zuerst besuchte sie das NorLkap und be-
gah stch von dort über Drontheim und Upsala zum Besuch ihrer
Cousiue, dcr Kroupriuzesstn von Schweden, auf Schloß Tullgcn.
Die Priiizcsstn Viktoria von Schwedcn hatte sich mit ihrem Gc-
mahl an dem für die Ankunft bestimmten Tage nachmittagS
4 Uhr auf dem Ceiitralbahnhof in Stockholm zum Empfange
ihrcs Gastcs eingefunden. Der Zug kam zur bestimmten Stunde
an, aber die Erbprinzesstn Charlotte befand stch nicht darin,
fondern langte unerwartet und von niemaudem empfangen erst
am nächsten Vormittag an; die vielen Sehenswürdigkeitcii in
Upsala wgren für ste die Veraulaffuua gewesen, den Aufenthalt
um eiiien Tag weiter auszudehnen. Von dem Centralbahnhofe
aus bestiegen die Prinzcsstn und ibre Begleitung zwei Droschkeu,
welche dicselben znm deutschen Gesandten, Herrn von Pfuel,
brachten und diescn natürlich sehr überraschten. Dieser benach-
richtigte, nach dem „Berl. Tagebl", das fchwedischeKronprinzen-
paar persönlich von der Ankunft des hohen Besuches.
Wieder zur Schule! Die für unsere Kinderwelt so be°
feligende Zeit der Schulferien, die glückliche, schularbeitenfreie
Zeit hat ein Ende genommen; seit Montag steht man die goldene
Schuljugend wieder nach den SchulpalSsteii ziehen. Das hat
stch denn auch so vielerlei zu erzählen, al» wären in den wenigen
schulfrcien Wochen welterschütternde Begebenheitcn vorgefallen
nnd als HStte man stch viele, viele Monate lang nicht gesehen.
Der Kinderwelt und kindlicher Einbildungskraft wird freilich
alles leicht zum großcn Ereignis und hat auch nur ein kleiner
Teil der Schüler und Schülerinnen Gelegenheit gehabt, ein Stück
Welt außerhalb Berlins zu seheii, zu erzählen wisfen darum doch
aucb die Znrückgebliebenen eine Menge. Dichtere Partieen des
Tiergartcus werden ihnen zu Waldungen, die Pichelsberge zu
Gebirgen nnd ein Havelscc zu einem großen, großen Gewäffer;
eine Theatervorstellung, ein Feuerwerk bei Sternccker wird der
Kindessecle zu einein iiachhaltcnden Schauspiel, welches wert ist,
zu Beginn der Schulzeit alS Ferienerlebnis mit allen Einzel-
heiten den Schulkameraden wiedererzählt zn werden. Daß dabei
der Geist der Kinder mehr in die Fcrne schweift, als sich in die
Schulstube banncn laßt, daß der Lehrer seine liebe Not hat,
seine Schule zusammeiizuhalten nnd seine Schüler zur Aufmcrk-
samkeit auf den Unterrichtsgegenstand hin zu erziehen, das weiß
ja jcder selbst am besten, der stch seiner eigenen, gcwiß auch
nicht durchaus makellosen Schulzeit erinuert. Wer wollte Larum
gleich unserer Kiuderwelt ernstlich gram sein?
Straßenverkehr. Unfälle.
Die Bäume auf den Straßen und Plätzen Berlins
alS Anzeigcr undichtcr Nohrleitnngen. Bei den von der
städtischen Park - Deputation veranlaßten Anpflanzungen von
jungen Bänmen in Lcr Klosterstraße soll die Wahrnehmung ge-
macht worden sein, daß die Wurzcln derselben in die Der-
binduiigSstelleii der KanalisationSröhren eindringeu und die
Fuiiktioiieu der letztern beeiuträchtigen. Die Park - Deputation
hat diese Thatsache nicht fcststellen können, vielmehr ist der
Garten-Direktor Mächtig der Anstcht. daß nnr bei schadhaft ge-
wordenen Kanalisatiousiöhren die Wurzeifasern der Feuchtigkeit
nachgehen uud in die schadhaften Stcllen eindringen. Ju keinem
Falle würdeu die Röhren an den mit blauem, fettem Thon ge-
dichteten Stellen von den Wnrzeln angegriffen; fetter Thon sei
vielmehr das beste Mittel, jede Pflanzenwurzel abzuwcisen, wie
jeder an den Bäumen in der freien Natur auf fcttem Unter-
grunde sehen kann. Die Bäume auf den Straßen übten aber
rnsofcrn auf dic Kanalisationsröhren einen Einfluß aus, alS sie,
wie cs in Bezug anf Lie Gasleitungsröbren der Fall ist, an-
zeigen, daß an der Leitung irgendwo etwas in Unordnung ge-
ratcn ist; in dicsem Falle, iiidem die Bäumc abstcrben, andern-
falls abcr, indem sie sich beffcr cntwickcln wie die erstern.
Die Aufstellung der Wettersäule auf dem Schloßplatze
kann noch immer nicht erfolgen, da eine Einigung über die An-
bringuiig dcr verschiedenartigsten Jiistrumeute noch nicht erzielt
werden konnte. Namcntlich bandelt es sich um die Anbringung
cincr Wetterfahne auf dem Gicbel dcs Schloffes, welche mit der
Wcttersäule in Verbinduiig gebracht, an derselbeu an einem
Apparat die Windrichtnng auzcigen soll. Es hat stch herans-
gestellt, daß letzterer Umstaud bedeutendere Kosten, namentlich
der Uutcrhaltuug, in Anspruch nimmt, als vorgesehen war.
Der Mühlcmveg hinter dem Mühlendamm. durch wel-
chen jetzt die Pfcrdebahn gcht, ist seit Sonutag durch Gaslatcr-
ncn erleuchtet. Bisher herrschte daselbst abends eine undnrch-
dringliche Finsternis. Ueberhaupt stand es im Beliebcn des Be-
sitzcrs dieseS Dnrchgangcs, denselbcn jederzeit zu versperren mit-
telst altcrtümlicher Thorwege an den Eiugäilgen der Post- nnd
Breitestraße Jctzt, da der Durchgang dem öffentlichcn Verkehr
übcrgebcn ist, sind anch die Thorwege gefallen, und die Paffanten
vom Molkcnmarkt nach der Breitestraße siud nicht mehr genötigt,
dcn Umweg übcr den Mühlendamm zu machen.
Der KottLuser Damm hat sich in der jctzigen Bauperiode
in einc stattliche, breite Straße verwandelt, welche nur hier und
da auf einigen Sltcrcn Grundstücken Neste deS frühercn Zu-
standcs zeigt. Dcr Name Damm ist nur noch eine geschichtliche
Rück-Eriniieruiig. Die sumpfigcn Wicsen, durch welche dcc Damm
fübrte und die im Frühjahr von Waffer blinkten, sind verschwunden,
uud brcite Straßen münden vom Urban und der Hasenhaide her
in die alte Heerstraße nach Dresden ein. Ein paar Holzplätze,
eine Loh-, eiue Mebl- nud eine Knochenmühle, sowie ein paar
Wirtshänser am Ende des Dammes, wie daS „Zur guten Hoff-
nung" waren früher bier die ganze Herrlichkcit.
Eine klcrne Robinson-Jnscl mitten in Bcrlin bildet daS
WSrterhaus der alten Verbilidungsbahnbrücke am Wafferthor.
Das Häuschen steht auf eiuem dreieckigcn Podium mitten im
Waffcr. Aber der Wärter hat neben seiner Bude uoch Platz für
eiuen Hühner- und einen Kaninchenstall gcfunLen. Und eine
Art Garten markirt ein in einem Kübel gezogener Kürbis.
Neue Pferdebahnlinicn. Am 1. September eröffuet die
Große Bcrliner Pferdc-Eisenbahn-Gesellschaft die neuen Linien
Schöneberg — Spittelmarkt — Alexanderplatz unb Ge-
suridbrunnen — Spittelmarkt — Krenzberg.
42 459 Frcmde stud im Monat Juli in hiesigen öffentlichen
Logiraustalten abgcstiegen und zwar in hiestgen Easthöfen 31600,
in Hotclgarnis nnd Chambregarnics 4488, in sonstigen Herbergen
6371. Dazu kommeu die ungczählten Tausende, die bei Ver-
wandten und Bekannten abstiegen «nd diejenigcn, die nur auf
einen Tag nach Berlin kommen.
Von der Leitcr gestürzt. Vor dem Haufe Schloßplatz 3
waren Dienstag Mittag Maler mit dem Renoviren des großen
FirmaschildcS des Waffenfabrikanten Peting Leschaftigt, wooer
sie drei Leitern zusammengestellt hatten. Als einer der Maler
auf der Querleirer faß, wollte der andere mit einem Eimer Wasi
ser die Nebenleiter besteigen. Hierbei verlor das LeiteMrust
seinen Halt und brach zusammen. Der oben sttzende Maler
stürzte dabei so ungücklich herab, datz er stch am Kopf mcht uu-
bedentend verletzte und uach dem Krankenhause gebracht werden
mußte.
UcLerfahre» wurde am vergangenen Sonnabeiid in der
Friedcnstraße die sechsjährige Tochtcr eines in Ler Friednchs-
bergerstratze 27 wohneuden Eisenbahnbeamten. Deim Ueber-
schreiten Les Fahrdammes hatten die Eltern das Kind außer
Augen gclassen und so kam dasselbe unter die Rader emer im
scharsen Trabe daher fahrenden Droschke. Das Kind starb
infolge eines Schädelbruchs am Sonntag im städtischenKrankeii
haus am Friedrichshain.
Selbftmord aus unglücklicher Liebe. Eine bereits in de»
reiferen Jahren stehende Lehrerin, ein Fräulein I.» wurde am
Dienstag früh in ihr-r in der Alten Zakobstraße 174 belegencu
Wohnuiig von Nachbarn tot im Bett vorgefunden. Ein huizii-
gezogener Arzt gab als wahrscheinliche Todesursache Vergiftung
an. AuS den nachgelassenen Briesen soll hervorgehem datz
Fräulein I. dnrch ein unglückliches LiebeLverhältnis zum Selbst-
mord veranlaßt worben ist.
Aus den Gerichtssälen und Polizeibureaus.
Eine koniplotmäßige Ausbeutung der sogeuannten Ab-
zahlungsgeschäfte unterliegt gegenwärtig der Beurteilung der
IV. Ferienstraskammer. Jn den Jahren 1884/85 kamen zahlreichL
Fälle vor, in welchen Personen aus den Abzahlungsgeschasten
Eegenstände auf Leihkrontrakt entnahmen, cine Anzahlung uiid
einige Abzahlungen leistcten, dann aber die Gegcnstande ver-
setzten oder verkauften. Den Nachforschungen der Polizer gelang
es sestzustellen, datz die Witwe Reese, gev. Stahheuer, einen
großen Teil dieser Gcgcnstände angekauft hatte. Bei ihr scheint
die Centralstelle gewcsen zu sein, von welcher die Faden zur
Leitung eines ganzen Konsortiums von 10 Weibern und zwei
Diännern — die große Mehrzahl derselben stnd mehrfach vor-
bcstrafte Personen — ausgingen. Die rcgste Thatigkeit ent-
wickelte hierbei autzer der Frau Rcese die zahlreich vorbestrafte
Wartmann, welcher nicht weniger als 43 selbstandige Straf-
thaten zur Last gelegt werden. Auch von den ubrigen Ange-
klagten haben sich einzelne bis zu 7. 12 und 20 derartigen Straf-
thaten aiifgeschwungen. Frau Reese, von der die Angeklagten
übereinstimmend erklären, daß ste von derselben Planmaßlg zu
dicsen Gauncreien angestiftet wordcn seien, stellt stch als un-
schuldig und als Opfer der Rache der Angeklagten, die meisten.
teils bei ihr gcwohut hatten, hin. Die Vcrhandlung wird erst
im Laufe des heutigen Tages bcendet werden.
Vom vernagelten Hanse in der Friedenstraße. Dew
Vertreter dcr Mietcr des HauseS Nr. 97 in der Friedenstraße iff
jetzt das Erkenntnis der zweiten Civilkammer des Landgerichts I
betreffs der Fenstcrvcrmaiicrung ziisegangen. Dasselbe verurtcilt,
wie die „Voss. Ztg." berichtct, den Gemeinde-Kirchenrat der Ge-
orgengemeinde zur sofortigen Beseitigung des Brettergerustes und
verbietet deüiselben bei Strafe von sechshmidert Mark fur ledeu
einzelncn Fall jede weitere B-sitzstörung und Vermauerung der
Fcnster vorläustg biS 1. Oktober cr. Jn dem Urteil ist besonders
Lemerkeiiswert der Passus, daß die Handlung dcs Kirchenrats
mangels eines gerichtlichen Urteils nicht als ein Akt der
Zwangsvollstrcckung, sondern als ein Akt der Gewalt zu
betrachten sei, den sich die Mietcr nicht aefallcn zu lasseii
brauchtcii. Ende voriger Woche hat eine photographische Auf-
nahme des Hauses stattgefnnden. ._
Schließlich scheint auch die Polizei den Mietern des Hauses
zu Hilfe zu kommen. Nach Angabe des Besttzers hat stch Diens-
tag Abend eine Polizei-Kommisstott von der Sachlage durch eine
Prüfung an Ort und Stells überzeugt und nunmehr steht aus
saiiitätspolizeilichen Nücksichten die Entfernung deS allgememeS
Aergernis erregenden Gcrüstes und deS sechsstöckigen Bretterzaunes
zu erwarten. Wie sehr die Bcwohner der vernagelten Wohnungen
oas Bedürfnis nach ftischer Luft zu haben scheinen, das geht
daraus hcrvor, daß der JnhaLer dcr nicht vernagelten, sondern
wirklich vermanerten Wohniing dcr ersten Etage eme Oeffnmig
in die neue Vermauerung gemacht hat.
Ucber jede Erkranknng, sowie über jeden Todesfall
infolge von Kindbettfieber, der ihm in seiner PrariZ vorkonimt,
muß uach Verfügung des Polizeiprästdeuten von jetzt ab jeder
Arzt unter Nemimig dcr etwa beteiligten Hebeamme bei der
königlichen Sanitätskommisston Anzeige erstatten. Die Anzeige
hat spätestens 24 Stmiden nach Feststellung der Krankheit oder
uach erlaugter Kemituis vom Eintritte des Todes zu erfolgen.
Wegen Verdachts der Hochstapelei stnd zwei Russtmien,
Vera Matfchulin, die Witwe eincs Kaufmannes ans Odeffa, und
deren 20jährige Tochter Olga, hier verhaftet worden. Anscheinend
haben diese mit großer Sicherheit auftretenden, ganz subststenz-
losen Damen es verstanden, stch hier» in Wien, Baden-Baden rc.
dnrch AuSbeutmig von Hotelwirten und anderer die Mittel zu
We Rechte rorbchalten.
Nachdruck vcrboten.
Gefunden.
Roman von F. Hermann.
(13. Fortsetzung.) ^ ^ ^ . .
Jn diefem Augenblicke bog von der Dorfstraße her m
den Corso der Wagcn ein, welchen Friedmann bestellt hatte,
und der Haushälter trat an den Doctor heran, um ihm die
Ausführung feines Auftrages zu melden , , ^ ^ .
„Wie? Sie wollen fchon wieder fort?" sragte der Frei-
herr überrascht. „Jch rechnete darauf, Sie in den schwcren
Stunden. die mir bevorstehen, zur Seite zu haben!"
„Mein Beistand würde in diesem Fall nur von Uebel
sein. Auch habe ich mich von Jhrer Tochter bereits verab-
fchiedet, und sie würde mit Recht fehr unangenehm überrascht
icin, wenn ich ihr noch einmal gegenüberträte!"
„Aber mein Gott, Doctor, Sie sprcchen von ihr wie von
einer Fremden. Sie ist doch Jhre Gattin und sie wird des
Trostes jetzt fo sehr bedürfen." . ,
„Gcwiß! — Aber nicht des Trostes aus memem Munde!
Meinen Sie denn nicht auch, Herr von Walldorf, daß nichts
Anderes so sehr darnach angethan wäre, sie das Schmerzliche
ihres Verlustes doppelt empfindcn zn lasien, als mein An-
blick2 Sie würde an die Aufrichtigkeit memes Mitgefuhls
nicht glauben können, wenn ich ihr dasselbe in eigencr Person
ausdrücken wollte." . .
Dcr Freiherr versuchte nicht weiter rn ihn zu drmgen.
Er sühlte wohl, daß eine weitere Erörterung dieses Gcgen-
standes nur zu den Peinlichstcn Ergebnisscn führen könne,
und daß die Voraussctzungen des Doctors wahrschemlich nur
zu richtige seien. Er geleitete ihn an den Wagcn und druckte
ibm zum Abschied mit herzlicher Wärme die Hand.
„Zch werde Sie natürlich vor Jhrer Abreise noch sehen.
licbcr Svhn", sagte er, „und Sie sollcn dann erfahren. wi e
cs Josephine aufgenommen hat! — Von Jhnen aber soll ich
ft,r garnichts sagen?"
„Nein! Eö wird am besten sein, wenn Sre memer mü
lcincni Worte Erwähnung thun!"
„Nun, wie Sie wollen! — Es steht mir nicht zu, mich
mit mcincn Rathschlägen zwischen Euch zu drängen. Auf
Wiedersehen denn!"
Der Wagen rollte davon, auf die nächtlich dunkle Chaussee
hinaus, die än dem malerischen Blitzengrund vorbei nach dem
unsern gelcgenen Städtchen Friedlaiid führte. Der Freiherr
kehrte in das CurhauS zurück und ließ sich noch einmal nach
dem Befinden seiner Tochter erkundrgen. Man sagte ihm,
daß sie schlicfe, und so legte auch er sich denn zur Rnhe
nicder, mit bangen Erwartunge» und fchweren Sorgen dcr
Stunde entgegensehend, die er am kommenden Morgen zu
überstehen haben würde.
„Die Stunde rennt auch durch den schwersten Tag."
Die traurige Zeit, vor welcher der Freiherr eine fo große
Furcht empfmiden, sie war vorübergegangen, ohne daß
Josephinens zarte Schultern unter ihrer Last zusammen-
gebrochen wären. Todtenblaß, mit dem starren Antlitz einer
Marmorstatue, abcr mit thränenloscm Auge hatte ste die Nach-
richt von Herbert's tödtlicher Verwundung erhalten — eine
Nachricht. auf welche sie ja fcit der Untcrredung mit ihrem
Gatten gcnugsam vorbereitet war. Kannte ste doch ihren
heihblüti'cn und furchtlosen Detter besser, als irgend ein
Andcrcr! Wußte sie doch, daß er nicht der Mann war, mit
leeren Worten um sich zu werfen, datz er eine That, von der
er als von ciner imvermeidlichen gesprochen, unfehlbar anch
zur Ausführung bringen würde. — Daß es geschehen war,
ehe eine Bitte von ihr ihn hätte erreichen können, datz so-
mit ihre Weigerung, auf den Vorschlag Friedmann's einzu-
aehen, keincn Antheil hatte an seinem Untcrgange, nahm ihr
vielleicht — ohne daß sie sich's eingestand — die Last eines
Selbstvorwurfs vom Herzcn; aber in ihren Worten und in
ihrcm Benehmen trat jedenfallö nichts von dem zu Tage,
was unter der ersten schmerzlichcn Wirkung der vernichtenden
Gewißhcit in ihrer Scele vorging.
Der Freihcrr, welcher aus eine ganz andere Aeußerung
ihrer Verzweiflung vorbereitet gewesen war, hatte sich ihrer
nnerwarteten Ergebung und Gcfaßtheit gegenüber beinahe in
Verlegenheit befundcn. Er hörte nachgerade auf, das Ge-
fühlsleben seiner Tochter zu verstehen, und Lei der Neigung,
die er selber von jeher für den Sohn seiner Schwester em-
psunden, erfüllte ihn die scheinbare Theilnahmlosigkeit Josephinens
sast mit ebensoviel Verdrnß, als er eben noch Furcht vor
einem Uebermaß ihres Schinerzes gehegt. Jetzt, wo er fah,
daß es hier nichts für ihn zu trösten gab, begann er sich auch
alsbald wieder fehr unbehaglich zu sühlen, und er protestirte
nur sehr schwach, als ihn Jofephine bat, sofort zu dem
sterbenden Hcrbert zurückzukehren, da sie selbst sich in der
Einfamkeit jedenfalls am besten mit ihrem Leid abfinden
werde. Es wurde ihr nicht schwer, feine wenigen Einwen-
dungen zu entkräften und schon am Mittage desfelben Tages
war sie wieder allcin in ihrem stillen Zimmer. Mit ge-
falteten Händen saß sie da, und ihre Augcn folgten mit felt-
sam verklärtem, träumerischen Ausdruck dem eiligen Zuge
der leichten weißen Wölkchen, die wie Träger abgefchiedener
Menschenseelen in dem unergründlichen, tiefblaueu Aether
schwammen. — — — — —
Und wieder war cine lange Reihe von Wochen in's Land
gegangen. Der Sommer rüstete sich zum Scheiden und hier
uiid da sanken bereits müde die getben Blatter zu Boden.
Nicht mit Regenschauern und Stürmen hatte der Herbst
seinen Einzug in das Görbersdorscr Thal gehalten, sondern
— der Eigenart dieser Bergländer gemäß — mit lachendem
Sonnenschein und in gar prunkvollem, farbenreichen Gewande.
Das satte Grün des Hochwaldes war um eine Schattirung
dunkler geworden, und in den Parkanlagen dcr Brehmcr'-
schen Hcilanstalt mischten sich hundcrt Farbentöne in male-
rischen Zusammenstellungen und Abstufungen durcheinander;
zwischen der unverwelklichen Frische der Eoniferen hier und da
das matte Gelb und Braun des sterbenden Laubes oder das
leuchtende tiefe Roth des wilden Weines, der das Humboldt-
tempelchen vor der Villa Rosa urnrankte. Die lustigen, ge-
ftederten Sänger. die während des Sommers in ungezählten
s. August 1886.
!srlmer
bicsen Taye» Lcr Ermnerung an den Todestaa
ynedrichs des Grotzen dürften einige Nückblicke auf den Ge-
burtstag deSselben Herrschers von Jntercffe sein.
Die Hofchronik vom Jahre 1712 berichtet untcrm 24.Januar:
..Sountag, morgens nach dcr Predigt, da man eben in der Pre-
digt um eme gluckliche Genesung der Kronprinzesiln wegen beran-
genahtcr Geburtsstunde gebcten, genas sie zwischen 11 u. 12 Uhr
ihrcs drittcn Prinzen, des ietzigen Prinzens von Prcußen uud
Oramen. Seine Majestät hatten sich cbcn in ihrem Eemache
(der hcutigen Kugelkammer oder Kurfürstenzimmer) an die Tafcl
gesetzt; aber weil kurz darauf der königliche Leibmedikus. der
Herr Hofrat Gundelsheim, die fröhliche Zeitnng von der
Gcburt eines Pnnzcn gcbracht, wnrden Seine MajestSt vor
Freuden darüber so alterirt, daß Sie mit Thräncn in den Augen
sich alsobald zur Kronprinzesstn hinüber tragen ließen nnd
hernachmals nicht essen konnten. Die Glocken wurden alsobald
geläutet nnd alle Stücke ans den WSllen gclöset, so datz in
eincm Augcnblicke die ganze Stadt und der Hof in eine unanS-
sprechliche Freude gcsctzt ward. Seine MajestSt deklarirten, datz
auch dicser Prinz gleich denen vorigen (früh verstorbenen) dcn
Siamen Prinz von Preutzen und Oranien fübren sollte nnd
hingen ihm, nachdem er gewindelt war, nachmittagS 2 Ubr, ncbst
eniem ganz ueucn Ordenskreuze vom Schwarzcn Adler, das
Orangc-Baiid um, wozu Seine MajestSt stch abermals zu Jhrer
königl. Hoheit der Kronprinzesstn tragen lietzen." Das Zimmer,
in welchem das königliche Soiintagskind das Licht der Welt er-
blickte, daS dermalige Borzimmer der Frau Prinzcssin Friedrich
Carl, liegt im zweitcn Stockwerke dcr Bcrliuer gicstdenz, nach
dem inneren Schlohhofe heraus. zwischen Portal k. und Lem
mittleren Schloßflügel.
, Als Friedrich II. im Jahre 1762 feiiien 50. GcburtStag
fcierte, war Berlin verodet, der König in Brcslau, im Begriffe,
den Frieden mit Rutzland zu unterhaiideln, derübrigeHofimmer
noch zu Magdeburg, wosclbst zu Ehrcn dieses Tages in der
deutschen reformirten Kirche cine Cantate der Frau Karschin anf-
geführt wurde. Ueber die in Berlin veranstalteten Festlichkeiten
crzShlen die hiesigcn Zeikungen vom 26. Jannar 1762 folgendeS:
„Sonntags, den 24. Jannar genoffen die sSmmtlicheii treu-
gestnnten Einwohncr der Residciizstadt Berlin daS durchdriiigcnde
Pergnügen . das 50. Geburtsfest Seiner Königlichen Majcstät,
unseres glorreichen Monarchen, mit Herzen voller Frende zu
feiern, wobei sie zugleich dem allerhöchsten vor die neuliche
augeiischeiiiliche Errettnng unseres geliebten Friedrichs aus der
außersten Gefahr den demüthigsten Dank abstatteten und die
göttliche Vorsehung nm dic fernere Erhaltnng dcr thenersten Person
dcs verehrungswnrdigsten Königs andächtigst und iiibriiiistigst
anflebten. An eben diesem Geburtsfeste, vormittags von 11 bis
12 Uhr. ward auf dem hicstgen Glockenspiele dcr reformirtcn
Parochialkirche von dem Glockenisten nnd Direktor desselben,
Herr Andreas Seidel das Is veum lauäawns nebst anderen
Lobgesängen feierlichst gespiclet. Des AbcndS sahe man verschicdene
vornehme HSuser in und auswendig auf das herrlichste erlenchtet.
Anch feierten die Großoffiziers der sämmtlichen hiesigen ehrwür-
digcn Freimaurer-Gesellschaften das hohe Geburtsfest uuscres
allertheuersten Monarchen mittels einer Affemblve, wobei sich
auch die Loge der Einigkeit einfaiid, im höchsten Vergnügen, und
bczeigten verschiedcne gelehrte Mitglieder in wohlauSgeaibeiteten
Neden ihren schnldigen Eifer vor das hohe Wohl der MajestSt,
unseres allergnädigstcn Königs.
Als im Jahre 1812 das bnndrrtjShrige Geburtsjnbiläum des
großen Königs eintrat, waren die politischen Verhältnisse des
Vaterlandes so ungiiiistig, daß — abgeschen von Zmeckessen nnd
dcr von den Mitgliedern der Berliner Börsenhalle veranstalteten
Jnvalidenspeisung — an eine hervorragende Iubelfeier nicht zu
denken war. Nur in dem Kreise der Wissenschaften und Künste
erhob man stch durch Ancillons akademische Festrcde und Stäge-
nianu's SSkularode zu einiger stillen Begeisteruiig. Auch die jeü,
bcvorstehcnde SSkularfeier des Todes Fricdrich II. wird bckaiint-
einen stillen Character tragen.
« «
»
Eine Jnkognito-Neise hat die Erbprinzessin Cbar-
lotte von Sachsen-Meiningen nach Schwcden und Nor-
wegen unternommen. Zuerst besuchte sie das NorLkap und be-
gah stch von dort über Drontheim und Upsala zum Besuch ihrer
Cousiue, dcr Kroupriuzesstn von Schweden, auf Schloß Tullgcn.
Die Priiizcsstn Viktoria von Schwedcn hatte sich mit ihrem Gc-
mahl an dem für die Ankunft bestimmten Tage nachmittagS
4 Uhr auf dem Ceiitralbahnhof in Stockholm zum Empfange
ihrcs Gastcs eingefunden. Der Zug kam zur bestimmten Stunde
an, aber die Erbprinzesstn Charlotte befand stch nicht darin,
fondern langte unerwartet und von niemaudem empfangen erst
am nächsten Vormittag an; die vielen Sehenswürdigkeitcii in
Upsala wgren für ste die Veraulaffuua gewesen, den Aufenthalt
um eiiien Tag weiter auszudehnen. Von dem Centralbahnhofe
aus bestiegen die Prinzcsstn und ibre Begleitung zwei Droschkeu,
welche dicselben znm deutschen Gesandten, Herrn von Pfuel,
brachten und diescn natürlich sehr überraschten. Dieser benach-
richtigte, nach dem „Berl. Tagebl", das fchwedischeKronprinzen-
paar persönlich von der Ankunft des hohen Besuches.
Wieder zur Schule! Die für unsere Kinderwelt so be°
feligende Zeit der Schulferien, die glückliche, schularbeitenfreie
Zeit hat ein Ende genommen; seit Montag steht man die goldene
Schuljugend wieder nach den SchulpalSsteii ziehen. Das hat
stch denn auch so vielerlei zu erzählen, al» wären in den wenigen
schulfrcien Wochen welterschütternde Begebenheitcn vorgefallen
nnd als HStte man stch viele, viele Monate lang nicht gesehen.
Der Kinderwelt und kindlicher Einbildungskraft wird freilich
alles leicht zum großcn Ereignis und hat auch nur ein kleiner
Teil der Schüler und Schülerinnen Gelegenheit gehabt, ein Stück
Welt außerhalb Berlins zu seheii, zu erzählen wisfen darum doch
aucb die Znrückgebliebenen eine Menge. Dichtere Partieen des
Tiergartcus werden ihnen zu Waldungen, die Pichelsberge zu
Gebirgen nnd ein Havelscc zu einem großen, großen Gewäffer;
eine Theatervorstellung, ein Feuerwerk bei Sternccker wird der
Kindessecle zu einein iiachhaltcnden Schauspiel, welches wert ist,
zu Beginn der Schulzeit alS Ferienerlebnis mit allen Einzel-
heiten den Schulkameraden wiedererzählt zn werden. Daß dabei
der Geist der Kinder mehr in die Fcrne schweift, als sich in die
Schulstube banncn laßt, daß der Lehrer seine liebe Not hat,
seine Schule zusammeiizuhalten nnd seine Schüler zur Aufmcrk-
samkeit auf den Unterrichtsgegenstand hin zu erziehen, das weiß
ja jcder selbst am besten, der stch seiner eigenen, gcwiß auch
nicht durchaus makellosen Schulzeit erinuert. Wer wollte Larum
gleich unserer Kiuderwelt ernstlich gram sein?
Straßenverkehr. Unfälle.
Die Bäume auf den Straßen und Plätzen Berlins
alS Anzeigcr undichtcr Nohrleitnngen. Bei den von der
städtischen Park - Deputation veranlaßten Anpflanzungen von
jungen Bänmen in Lcr Klosterstraße soll die Wahrnehmung ge-
macht worden sein, daß die Wurzcln derselben in die Der-
binduiigSstelleii der KanalisationSröhren eindringeu und die
Fuiiktioiieu der letztern beeiuträchtigen. Die Park - Deputation
hat diese Thatsache nicht fcststellen können, vielmehr ist der
Garten-Direktor Mächtig der Anstcht. daß nnr bei schadhaft ge-
wordenen Kanalisatiousiöhren die Wurzeifasern der Feuchtigkeit
nachgehen uud in die schadhaften Stcllen eindringen. Ju keinem
Falle würdeu die Röhren an den mit blauem, fettem Thon ge-
dichteten Stellen von den Wnrzeln angegriffen; fetter Thon sei
vielmehr das beste Mittel, jede Pflanzenwurzel abzuwcisen, wie
jeder an den Bäumen in der freien Natur auf fcttem Unter-
grunde sehen kann. Die Bäume auf den Straßen übten aber
rnsofcrn auf dic Kanalisationsröhren einen Einfluß aus, alS sie,
wie cs in Bezug anf Lie Gasleitungsröbren der Fall ist, an-
zeigen, daß an der Leitung irgendwo etwas in Unordnung ge-
ratcn ist; in dicsem Falle, iiidem die Bäumc abstcrben, andern-
falls abcr, indem sie sich beffcr cntwickcln wie die erstern.
Die Aufstellung der Wettersäule auf dem Schloßplatze
kann noch immer nicht erfolgen, da eine Einigung über die An-
bringuiig dcr verschiedenartigsten Jiistrumeute noch nicht erzielt
werden konnte. Namcntlich bandelt es sich um die Anbringung
cincr Wetterfahne auf dem Gicbel dcs Schloffes, welche mit der
Wcttersäule in Verbinduiig gebracht, an derselbeu an einem
Apparat die Windrichtnng auzcigen soll. Es hat stch herans-
gestellt, daß letzterer Umstaud bedeutendere Kosten, namentlich
der Uutcrhaltuug, in Anspruch nimmt, als vorgesehen war.
Der Mühlcmveg hinter dem Mühlendamm. durch wel-
chen jetzt die Pfcrdebahn gcht, ist seit Sonutag durch Gaslatcr-
ncn erleuchtet. Bisher herrschte daselbst abends eine undnrch-
dringliche Finsternis. Ueberhaupt stand es im Beliebcn des Be-
sitzcrs dieseS Dnrchgangcs, denselbcn jederzeit zu versperren mit-
telst altcrtümlicher Thorwege an den Eiugäilgen der Post- nnd
Breitestraße Jctzt, da der Durchgang dem öffentlichcn Verkehr
übcrgebcn ist, sind anch die Thorwege gefallen, und die Paffanten
vom Molkcnmarkt nach der Breitestraße siud nicht mehr genötigt,
dcn Umweg übcr den Mühlendamm zu machen.
Der KottLuser Damm hat sich in der jctzigen Bauperiode
in einc stattliche, breite Straße verwandelt, welche nur hier und
da auf einigen Sltcrcn Grundstücken Neste deS frühercn Zu-
standcs zeigt. Dcr Name Damm ist nur noch eine geschichtliche
Rück-Eriniieruiig. Die sumpfigcn Wicsen, durch welche dcc Damm
fübrte und die im Frühjahr von Waffer blinkten, sind verschwunden,
uud brcite Straßen münden vom Urban und der Hasenhaide her
in die alte Heerstraße nach Dresden ein. Ein paar Holzplätze,
eine Loh-, eiue Mebl- nud eine Knochenmühle, sowie ein paar
Wirtshänser am Ende des Dammes, wie daS „Zur guten Hoff-
nung" waren früher bier die ganze Herrlichkcit.
Eine klcrne Robinson-Jnscl mitten in Bcrlin bildet daS
WSrterhaus der alten Verbilidungsbahnbrücke am Wafferthor.
Das Häuschen steht auf eiuem dreieckigcn Podium mitten im
Waffcr. Aber der Wärter hat neben seiner Bude uoch Platz für
eiuen Hühner- und einen Kaninchenstall gcfunLen. Und eine
Art Garten markirt ein in einem Kübel gezogener Kürbis.
Neue Pferdebahnlinicn. Am 1. September eröffuet die
Große Bcrliner Pferdc-Eisenbahn-Gesellschaft die neuen Linien
Schöneberg — Spittelmarkt — Alexanderplatz unb Ge-
suridbrunnen — Spittelmarkt — Krenzberg.
42 459 Frcmde stud im Monat Juli in hiesigen öffentlichen
Logiraustalten abgcstiegen und zwar in hiestgen Easthöfen 31600,
in Hotclgarnis nnd Chambregarnics 4488, in sonstigen Herbergen
6371. Dazu kommeu die ungczählten Tausende, die bei Ver-
wandten und Bekannten abstiegen «nd diejenigcn, die nur auf
einen Tag nach Berlin kommen.
Von der Leitcr gestürzt. Vor dem Haufe Schloßplatz 3
waren Dienstag Mittag Maler mit dem Renoviren des großen
FirmaschildcS des Waffenfabrikanten Peting Leschaftigt, wooer
sie drei Leitern zusammengestellt hatten. Als einer der Maler
auf der Querleirer faß, wollte der andere mit einem Eimer Wasi
ser die Nebenleiter besteigen. Hierbei verlor das LeiteMrust
seinen Halt und brach zusammen. Der oben sttzende Maler
stürzte dabei so ungücklich herab, datz er stch am Kopf mcht uu-
bedentend verletzte und uach dem Krankenhause gebracht werden
mußte.
UcLerfahre» wurde am vergangenen Sonnabeiid in der
Friedcnstraße die sechsjährige Tochtcr eines in Ler Friednchs-
bergerstratze 27 wohneuden Eisenbahnbeamten. Deim Ueber-
schreiten Les Fahrdammes hatten die Eltern das Kind außer
Augen gclassen und so kam dasselbe unter die Rader emer im
scharsen Trabe daher fahrenden Droschke. Das Kind starb
infolge eines Schädelbruchs am Sonntag im städtischenKrankeii
haus am Friedrichshain.
Selbftmord aus unglücklicher Liebe. Eine bereits in de»
reiferen Jahren stehende Lehrerin, ein Fräulein I.» wurde am
Dienstag früh in ihr-r in der Alten Zakobstraße 174 belegencu
Wohnuiig von Nachbarn tot im Bett vorgefunden. Ein huizii-
gezogener Arzt gab als wahrscheinliche Todesursache Vergiftung
an. AuS den nachgelassenen Briesen soll hervorgehem datz
Fräulein I. dnrch ein unglückliches LiebeLverhältnis zum Selbst-
mord veranlaßt worben ist.
Aus den Gerichtssälen und Polizeibureaus.
Eine koniplotmäßige Ausbeutung der sogeuannten Ab-
zahlungsgeschäfte unterliegt gegenwärtig der Beurteilung der
IV. Ferienstraskammer. Jn den Jahren 1884/85 kamen zahlreichL
Fälle vor, in welchen Personen aus den Abzahlungsgeschasten
Eegenstände auf Leihkrontrakt entnahmen, cine Anzahlung uiid
einige Abzahlungen leistcten, dann aber die Gegcnstande ver-
setzten oder verkauften. Den Nachforschungen der Polizer gelang
es sestzustellen, datz die Witwe Reese, gev. Stahheuer, einen
großen Teil dieser Gcgcnstände angekauft hatte. Bei ihr scheint
die Centralstelle gewcsen zu sein, von welcher die Faden zur
Leitung eines ganzen Konsortiums von 10 Weibern und zwei
Diännern — die große Mehrzahl derselben stnd mehrfach vor-
bcstrafte Personen — ausgingen. Die rcgste Thatigkeit ent-
wickelte hierbei autzer der Frau Rcese die zahlreich vorbestrafte
Wartmann, welcher nicht weniger als 43 selbstandige Straf-
thaten zur Last gelegt werden. Auch von den ubrigen Ange-
klagten haben sich einzelne bis zu 7. 12 und 20 derartigen Straf-
thaten aiifgeschwungen. Frau Reese, von der die Angeklagten
übereinstimmend erklären, daß ste von derselben Planmaßlg zu
dicsen Gauncreien angestiftet wordcn seien, stellt stch als un-
schuldig und als Opfer der Rache der Angeklagten, die meisten.
teils bei ihr gcwohut hatten, hin. Die Vcrhandlung wird erst
im Laufe des heutigen Tages bcendet werden.
Vom vernagelten Hanse in der Friedenstraße. Dew
Vertreter dcr Mietcr des HauseS Nr. 97 in der Friedenstraße iff
jetzt das Erkenntnis der zweiten Civilkammer des Landgerichts I
betreffs der Fenstcrvcrmaiicrung ziisegangen. Dasselbe verurtcilt,
wie die „Voss. Ztg." berichtct, den Gemeinde-Kirchenrat der Ge-
orgengemeinde zur sofortigen Beseitigung des Brettergerustes und
verbietet deüiselben bei Strafe von sechshmidert Mark fur ledeu
einzelncn Fall jede weitere B-sitzstörung und Vermauerung der
Fcnster vorläustg biS 1. Oktober cr. Jn dem Urteil ist besonders
Lemerkeiiswert der Passus, daß die Handlung dcs Kirchenrats
mangels eines gerichtlichen Urteils nicht als ein Akt der
Zwangsvollstrcckung, sondern als ein Akt der Gewalt zu
betrachten sei, den sich die Mietcr nicht aefallcn zu lasseii
brauchtcii. Ende voriger Woche hat eine photographische Auf-
nahme des Hauses stattgefnnden. ._
Schließlich scheint auch die Polizei den Mietern des Hauses
zu Hilfe zu kommen. Nach Angabe des Besttzers hat stch Diens-
tag Abend eine Polizei-Kommisstott von der Sachlage durch eine
Prüfung an Ort und Stells überzeugt und nunmehr steht aus
saiiitätspolizeilichen Nücksichten die Entfernung deS allgememeS
Aergernis erregenden Gcrüstes und deS sechsstöckigen Bretterzaunes
zu erwarten. Wie sehr die Bcwohner der vernagelten Wohnungen
oas Bedürfnis nach ftischer Luft zu haben scheinen, das geht
daraus hcrvor, daß der JnhaLer dcr nicht vernagelten, sondern
wirklich vermanerten Wohniing dcr ersten Etage eme Oeffnmig
in die neue Vermauerung gemacht hat.
Ucber jede Erkranknng, sowie über jeden Todesfall
infolge von Kindbettfieber, der ihm in seiner PrariZ vorkonimt,
muß uach Verfügung des Polizeiprästdeuten von jetzt ab jeder
Arzt unter Nemimig dcr etwa beteiligten Hebeamme bei der
königlichen Sanitätskommisston Anzeige erstatten. Die Anzeige
hat spätestens 24 Stmiden nach Feststellung der Krankheit oder
uach erlaugter Kemituis vom Eintritte des Todes zu erfolgen.
Wegen Verdachts der Hochstapelei stnd zwei Russtmien,
Vera Matfchulin, die Witwe eincs Kaufmannes ans Odeffa, und
deren 20jährige Tochter Olga, hier verhaftet worden. Anscheinend
haben diese mit großer Sicherheit auftretenden, ganz subststenz-
losen Damen es verstanden, stch hier» in Wien, Baden-Baden rc.
dnrch AuSbeutmig von Hotelwirten und anderer die Mittel zu
We Rechte rorbchalten.
Nachdruck vcrboten.
Gefunden.
Roman von F. Hermann.
(13. Fortsetzung.) ^ ^ ^ . .
Jn diefem Augenblicke bog von der Dorfstraße her m
den Corso der Wagcn ein, welchen Friedmann bestellt hatte,
und der Haushälter trat an den Doctor heran, um ihm die
Ausführung feines Auftrages zu melden , , ^ ^ .
„Wie? Sie wollen fchon wieder fort?" sragte der Frei-
herr überrascht. „Jch rechnete darauf, Sie in den schwcren
Stunden. die mir bevorstehen, zur Seite zu haben!"
„Mein Beistand würde in diesem Fall nur von Uebel
sein. Auch habe ich mich von Jhrer Tochter bereits verab-
fchiedet, und sie würde mit Recht fehr unangenehm überrascht
icin, wenn ich ihr noch einmal gegenüberträte!"
„Aber mein Gott, Doctor, Sie sprcchen von ihr wie von
einer Fremden. Sie ist doch Jhre Gattin und sie wird des
Trostes jetzt fo sehr bedürfen." . ,
„Gcwiß! — Aber nicht des Trostes aus memem Munde!
Meinen Sie denn nicht auch, Herr von Walldorf, daß nichts
Anderes so sehr darnach angethan wäre, sie das Schmerzliche
ihres Verlustes doppelt empfindcn zn lasien, als mein An-
blick2 Sie würde an die Aufrichtigkeit memes Mitgefuhls
nicht glauben können, wenn ich ihr dasselbe in eigencr Person
ausdrücken wollte." . .
Dcr Freiherr versuchte nicht weiter rn ihn zu drmgen.
Er sühlte wohl, daß eine weitere Erörterung dieses Gcgen-
standes nur zu den Peinlichstcn Ergebnisscn führen könne,
und daß die Voraussctzungen des Doctors wahrschemlich nur
zu richtige seien. Er geleitete ihn an den Wagcn und druckte
ibm zum Abschied mit herzlicher Wärme die Hand.
„Zch werde Sie natürlich vor Jhrer Abreise noch sehen.
licbcr Svhn", sagte er, „und Sie sollcn dann erfahren. wi e
cs Josephine aufgenommen hat! — Von Jhnen aber soll ich
ft,r garnichts sagen?"
„Nein! Eö wird am besten sein, wenn Sre memer mü
lcincni Worte Erwähnung thun!"
„Nun, wie Sie wollen! — Es steht mir nicht zu, mich
mit mcincn Rathschlägen zwischen Euch zu drängen. Auf
Wiedersehen denn!"
Der Wagen rollte davon, auf die nächtlich dunkle Chaussee
hinaus, die än dem malerischen Blitzengrund vorbei nach dem
unsern gelcgenen Städtchen Friedlaiid führte. Der Freiherr
kehrte in das CurhauS zurück und ließ sich noch einmal nach
dem Befinden seiner Tochter erkundrgen. Man sagte ihm,
daß sie schlicfe, und so legte auch er sich denn zur Rnhe
nicder, mit bangen Erwartunge» und fchweren Sorgen dcr
Stunde entgegensehend, die er am kommenden Morgen zu
überstehen haben würde.
„Die Stunde rennt auch durch den schwersten Tag."
Die traurige Zeit, vor welcher der Freiherr eine fo große
Furcht empfmiden, sie war vorübergegangen, ohne daß
Josephinens zarte Schultern unter ihrer Last zusammen-
gebrochen wären. Todtenblaß, mit dem starren Antlitz einer
Marmorstatue, abcr mit thränenloscm Auge hatte ste die Nach-
richt von Herbert's tödtlicher Verwundung erhalten — eine
Nachricht. auf welche sie ja fcit der Untcrredung mit ihrem
Gatten gcnugsam vorbereitet war. Kannte ste doch ihren
heihblüti'cn und furchtlosen Detter besser, als irgend ein
Andcrcr! Wußte sie doch, daß er nicht der Mann war, mit
leeren Worten um sich zu werfen, datz er eine That, von der
er als von ciner imvermeidlichen gesprochen, unfehlbar anch
zur Ausführung bringen würde. — Daß es geschehen war,
ehe eine Bitte von ihr ihn hätte erreichen können, datz so-
mit ihre Weigerung, auf den Vorschlag Friedmann's einzu-
aehen, keincn Antheil hatte an seinem Untcrgange, nahm ihr
vielleicht — ohne daß sie sich's eingestand — die Last eines
Selbstvorwurfs vom Herzcn; aber in ihren Worten und in
ihrcm Benehmen trat jedenfallö nichts von dem zu Tage,
was unter der ersten schmerzlichcn Wirkung der vernichtenden
Gewißhcit in ihrer Scele vorging.
Der Freihcrr, welcher aus eine ganz andere Aeußerung
ihrer Verzweiflung vorbereitet gewesen war, hatte sich ihrer
nnerwarteten Ergebung und Gcfaßtheit gegenüber beinahe in
Verlegenheit befundcn. Er hörte nachgerade auf, das Ge-
fühlsleben seiner Tochter zu verstehen, und Lei der Neigung,
die er selber von jeher für den Sohn seiner Schwester em-
psunden, erfüllte ihn die scheinbare Theilnahmlosigkeit Josephinens
sast mit ebensoviel Verdrnß, als er eben noch Furcht vor
einem Uebermaß ihres Schinerzes gehegt. Jetzt, wo er fah,
daß es hier nichts für ihn zu trösten gab, begann er sich auch
alsbald wieder fehr unbehaglich zu sühlen, und er protestirte
nur sehr schwach, als ihn Jofephine bat, sofort zu dem
sterbenden Hcrbert zurückzukehren, da sie selbst sich in der
Einfamkeit jedenfalls am besten mit ihrem Leid abfinden
werde. Es wurde ihr nicht schwer, feine wenigen Einwen-
dungen zu entkräften und schon am Mittage desfelben Tages
war sie wieder allcin in ihrem stillen Zimmer. Mit ge-
falteten Händen saß sie da, und ihre Augcn folgten mit felt-
sam verklärtem, träumerischen Ausdruck dem eiligen Zuge
der leichten weißen Wölkchen, die wie Träger abgefchiedener
Menschenseelen in dem unergründlichen, tiefblaueu Aether
schwammen. — — — — —
Und wieder war cine lange Reihe von Wochen in's Land
gegangen. Der Sommer rüstete sich zum Scheiden und hier
uiid da sanken bereits müde die getben Blatter zu Boden.
Nicht mit Regenschauern und Stürmen hatte der Herbst
seinen Einzug in das Görbersdorscr Thal gehalten, sondern
— der Eigenart dieser Bergländer gemäß — mit lachendem
Sonnenschein und in gar prunkvollem, farbenreichen Gewande.
Das satte Grün des Hochwaldes war um eine Schattirung
dunkler geworden, und in den Parkanlagen dcr Brehmcr'-
schen Hcilanstalt mischten sich hundcrt Farbentöne in male-
rischen Zusammenstellungen und Abstufungen durcheinander;
zwischen der unverwelklichen Frische der Eoniferen hier und da
das matte Gelb und Braun des sterbenden Laubes oder das
leuchtende tiefe Roth des wilden Weines, der das Humboldt-
tempelchen vor der Villa Rosa urnrankte. Die lustigen, ge-
ftederten Sänger. die während des Sommers in ungezählten