HneuIe'me LrWngen gefordert roerden dürsen, für welche sie nichi
angemessenen Entgeit bekommen. Herr von Bötiicher verlangt, daß
die Aerzte den Schwierigkeiten, nüt welchen die Krankenkassen noch
kämpfen, Rechnung tragen, wLhrend die Aerzte verlangen, daß die
Krankcnkaflcn den Schwierigkettcn Rechmrng tragen, in welche das
Gesetz die Aerzte versetzt hat. Herr vsn Bötticher verlangt, daß die
Aerzte ihre Forderungen den Krästen der Kassen in solchen Fällen an-
paflen, in denen die Vergütung mit der Mühewaltung nicht in Ein-
klang steht, daS heißt, daß sie einen Theil ihrer Mühewaltung unter
dem Werth leisten. Sehr lehrreich für die Geschichte unserer Social-
politik!
Berlm, 30. Juli. sRegierungsbaumeister Keßler.—
Submissionen und Berufsgenossenschaften.s Die Vorbe-
strafungen, welche der Regierungsbaumeister Keßler erlitten hat, sind,
wie sich jetzt herausstellt, doch nicht so harmloser Natur, wie das
„Berl. Volksbl." glauben zu machen versuchte. Die im Jahre 1874
erltttene Strafe wegen versuchten Betrugs wird vorausstchtlich der
Polizeibehörde in Brandenburg Anlaß zur Ausweisung Keßler's ge
geben haben. Trotzdem können wir auch jetzt noch der Ansicht, daß
durch die Strafen die Voraussetzungen, unter welchen das Gesetz von
1842 die Versagung des Aufenthaltes gestattet, erfüllt seien, nicht
betpflichten, wenn auch die Praxis der Polizeibehörden und selbst ein
vor etwa zwei Jahren erlaffcnes Erkenntniß des Ober-Verwaltungs-
gerichtö für die Auffassung der Brandenburger Polizci sprechen. Die
Behauptung des „Berl. Volksbl.", daß Keßler nach erfolgter Verur-
theilung noch mehrere Jahre im Staatsdienste verblieben sei, kann
sich nur auf die im Jahre 1867 erlittene Bestrafung wegen vorsätz
licher Körperverletzung beziehen. Aber selbst in diesem Zusammenhange
war die Behauptung nicht ganz correct. Keßler ist im Staatsdienste
HSchstens zeitweilig als diätarisch beschäftigter Baumeister thütig ge-
wesen, und da ist es allerdings möglich, daß er trotz der erlittenen
Strafe noch weiter diätarisch beschäftigt gewesen ist. Jm Jahre 1874
und nachher ist er aber auch in diesem Verhältnisse nicht mehr ver-
wandt worden, und angestellter Beamter ist er überhaupt nie gewesen.
Es ist daher auch nicht richtig, daß Keßler, wie es häufig gcschieht,
als Regierungsbaumeister a. D. bczeichnet wird. Er hatte seine
Examina im Baufache bestanden und dadurch die Bercchtigung er-
langt, sich Baumeister, bezw. nach dcr vor zehn Jahren er-
folgten Einführung dieses Titels, Regierungs - Baumeister nennen
zu dürsen, ohne daß er gezwungen gewesen wäre, in den Staatsdienst
einzutretcn. — Die Anordnung des Ministers der öffentlichen Arbeiten
nach welcher zur Mitwirkung beim Submissionsverfahren, wenn die
Beamten selbst nicht über auöreichende Sachkenntniß verfügen und
sonstige sachverständige, als tüchtig anerkannte Personcn den Behörden
nicht bereits zur Verfügung stehen, die Vorstände der Berufsgenossen-
schaften um Namhaftmachuug von Sachverständigen angegangen werden
sollen, ist nach zwei Richtungen von Bedeutung. Seitens einer An-
zahl Jnnungen war der Anspruch erhoben worden, daß sich die Be-
HSrden ihrer Beihilfe bedienen, bezw. von ihnen vorgeschlagene Sach-
verständige bei der Einleitung und Durchführung der Submissionen
zuziehen müßten. Dieser Anspruch hat Berücksichiigung nicht ge-
funden. Sodann ist mit der neuenBestimmung der erste Versuch
gemacht worden, den Berufsgenossenschasten Aufgaben zu übertragen,
welche außerhalb des B erciches des UnfallversicherungS-
Gesetzes liegen. Während den Zünftlern die Anordnung des
Ministers nicht gefallen wird, wird ste von denjenigen, welche in den
Berufsgenossenschaften den ersten Ansang einer corporativen Organi-
sation der Erwerbsstände erblicken zu dürfen glaubten, mit Genug-
thuung begrüßt werden. Die Vorstände der Berufsgenoffenschaftcn
sind übrigens derartig mit Arbeiten überhäuft, daß ihnen der neue
ZuwachS wvhi nicht immer willkommen sein wird. Sie ftlbst sind
wohl nur selten in der Lage, die geeigneten Personen in Vorschlag
bringen zu können und daher gezwungen, erst die Vorstände der
Sectionen und die Vertrauensmänncr zu hören, und somit werden
die Journalnummern eine wesentliche Vermehrung erfahren, wenn
von der Mitwirkung der Berufsgenossenschaften in größerem Umfang
Gebrauch gemacht werden würde. Dies glauben wir aber vorläufig
bezweifeln zu dürfen, weil in den meisten Fällen den Behörden in
ihren Beamten sachverständige Personen zu Gebote stehen werden.
jDer Neubau des Reichstagsgebäudesj auf dem Königsplatz
schreitet allmälig immer weiter vorwärts und bietet dem großen Nublikum
von Woche zu Woche ein immer neues Bild. Während von dem Bau
bisber von außen nur das starke aus Backsteinen aufgefüyrte Mauerwerk
auffiel, hat man jetzt begonnen, dies Mauerwerk mU grotzen Stein-
quadern zu umkleiden. Zahlreiche Arbeiter sind damit beschäftigt,
alle vier Autzensronten mit mächtigen Sandsteinguaderm zu versetzen.
Zu dem Sockel verwcndet man grauen Granit, welchcr in den
reichen Granitlagern des Fichtelgebirges gebrochen wird, während
die höher gelegenen Thcile des Erbgeschosses mit Sandsteinquadern
versetzt wcrden, von deren Umfang man sich einen Begrisf macheu kann,
wenn man hört, daß ein jeder dieser Blöcke ein Gcwicht von 50—80 Ctr.
hat- Diesc Sandsteinquadern werden in verschiedencn Theilen unseres
Vaterlandes gebrochen: in Groß-Warthau und in Rackwitz in Schlesien,
in Nesselberg in Hannover, in Burgpreppack in Baiern und in Bergheim
im Teutoburger Walde. Sämmtliche Brüche liefern vorzügliche, feinkörnige,
feste und vollkommen gleichmätzige Sandsteine. Alle diese Steine werden
schon in den Brüchen in derjcnigen Grötze und Form bearbeitet, welche sie
in dem Gesammtbau erhalten sollcn, wcrden dann auf der Eisenbahn
hierher gebracht, auf dem hiesigen Bauplatz nochmals nachgearbeitet,
mit Hilse einep bewcglichen Stahlbahn, welche ihre Geleise über
den ganzen Bauplatz und bis auf das Gerüst hinauf ausdehnt, hinauf
geschafst und dann mit Hilfe eiserner Krähne gehoben und in diejenige
Stelle eingesenkt, welche sie einnehmen sollen und welche sie auch qenau
ausfüllen. Es ist sehenswerth, mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit so
riesige Banstücke bewegt werden können. Auch im Jnnern des Hauses
wird vielfach Sandsteiu zu den Wandbekleidungen und Architekturtheilen
verwendet. Besonders die dem großen Verkehr dienenden Hallen, Flure
und Eingänge werden in dieser Weise ausgestattet. Zur Verwenbung ge-
langen hier Sandsteine aus Udelfangen bei Trier an der Mosel, aus
Bayerfeld in der Pfalz und aus Arzweiler und Pfalzburg im Elsaß. Die
Elsässer Steiue zeichnen sich durch einc schöne grau-blaue Färbung aus.
Jn der grotzen Wartehalle für das Publikum werden die Thür- und Fenster-
einfassungen, Pfeiler, Gurtungen und Gewölberippen auS diesen Steinen
hergestellt.
jZur Feststellung des Umfanges der Friedericianischen
Literaiurj wünscht der Cultnsminister zu erfahren, was in den
verschiedenen Universitäts- rc. Bibliotheken an Schriften dieser Art vor-
handen ist. Zu diesem Behufe hat er den Bibliotheksleitern ein Ver
zeichniß von Ausgaben und Uebcrsetzungen der Werke Friedrichs des
Großen mit dem Ersuchen zugehen lassen, genau festzustellen, welche von
den darin verzeichneten Schriften in der dortigen Bibliothek vorhanden
sind, und eine eingeheude Untersuchung vorzunehmen, ob sich noch Schriften
Ausgaben und Uebersetzungen der Friedericianischen Literatur vorsinden
wclche in das Verzcichniß nicht aufgenommen worden sind.
sVon ciner unschuldig erlittenen Verhaftungj weiß das aus
Mansfeld gebürtige Dienstmädchen Louise Nonncnberg zu erzählen, welches
seit dem März d. Js. bei dcm Fabrikanten R. in der Zimmerstraße 37
in Condition steht und hier allseitiges Vertrauen genießt. Am Mittwoch
den 20. d. Mts. srüh, crschien, dem Bericht der „B. B.-Ztg." zufolge, in
der Wohnung des Fabrikanten R. ein Schutzmann, welcher den Auftrag
hatte, die N. nach der Polizeiwache in der Lindenstraße zu sistiren. Es
wurde ihr eröffnet, daß sie eines Diebstahls beschuldigt sei, den ste im
Jnbre 1882 in Halle a. S. ausgeführt haben sollte, und nun nach Halle
befördert werden würde, um sich dort zu verantworten. Das Mädchen
wurde alsdann nach dem Molkenmarkt befördert, verblieb hier eiue Nacht
und wurde dann unter Aufsicht eines Transporteurs am Donnerstag
Morgen per Eisenbabn nach Halle überführt, wo sie in das dorttge Ge-
fängniß eingcliefert wurde. Da mehrere Tage vergingen, ohne daß der
Fabrikant R. über den Ausgang der Sache irgend eine Nachricht erhielt,
richtetc er an die Staatsanwaltschaft zu Halle ein bczügliches Schreiben
auf welLes er zwar bis beute, trotz einqelegter Rückfrancatur, keine Ant
wort erhalten, das wahrscheinlich aber zur Folge hatte, daß auf Dinstag,
den 24. d. Mts. ein Termin anberaumt wurde, in welchem das Dienst-
mädchen Nonnenberg der Bestohlenen gegsnüber gestellt wurde. Jetzt
stellte es sich heraus, daß die Verhaftete gar nicht die Diebin sei und die
Bestohlene das Mädchen nie gesehen habe! Die Folge war, daß das arme
Mädchen sosort aus der Untersuchungshast entlassen wurde, in der sie stch
fünf Tage besunden hatte. Das überaus brave Mädchen, dem die besten
Zeugnisse zur Seite stehen, war vor ihrer Berliner Stellung vier Jahre
bei einerHerrschaft in Eisleben bedienstet und genoß auch dort ungetheiltes
Vertrauen. Jeßt befindet sich dieselbe wieder in Berlin in ihrer alten
Stellung. Offenbar liegt eine Verwechselung in der Person vor oder die
eigentliche Diebin hat Angaben über ihre Person gemacht, welche auf die rc.
Nonnenberg passen. Eine Aufforderung zum genchtlichen Termin in Halle.
welche ihr zugesandt sein soll, will das Mädchen nicht erhalten haben.
fGerichisverhandlung.j Unter der pomphaften Ftrma „Deut-
ches Erport-Musterlager Union, Commanditgesellschaft W.
I. Schmidt u. Co." bestand hier ein Geschäft, welches der Kaufmanir
Karl August Julius Wilhelm Schmidt in den Jahren 1884 und 1885 alz
persönlich haftender Gescllschafter leitete und das im Decembee 1885 an die
Herren Arthur v. Krause und Paul Lagemann überging. Jm vorigen Früh-
ahr stellte es sich heraus, daß Schmidt während seiner Geschäftsleitung eine
bedeutende Anzahl von Betrügereien sich hatte zu Schulden kommen lassen»
von denen die meisten in das Gebiet des Cautionsschwindels fallen. Wie dies
gewöhnlich in solchen FLllen geschieht, hat der Angeklagte in die gelesensten
Zeitungen Jnserate einrücken lasfen, durch welche er zur Bewerbung unr
die in seinem Geschäft vacant gewordenen Stellungen einlud, doch mußteir
die Candidaten selbstverständlich das nöthige Geld zu eincr entsprechenden
Caution haben. Der schlaue Mann hatte nicht schlecht speculirt, deun eL
meldeten sich der Bewerber mehr, als er brauchen konnte. Mit großer Be-
redsamkeit wußte er nun den jungen Leuten die Lage seines Geschäfts in
den glänzendsten Farben zu schildern und machte dadurch die Stellung-
suchenden so vertrauensselig, daß dieselben ihm unbedenklich ihre Cautioneir
in nicht urierheblichen Beträgen anvertrauten. So erzählte er einem
Kassenbuchhalter, welchen er gegen eine Caution von 5000 M. engagirte»
daß sein Geschäft glänzend sei, er wäre aber wiederholt von seinen Leutm
um größere Summen betrogen worden und müsse deshalb auf eine
Sicherstelluiig bedacht sein. Nebeubei bemerkte er noch, daß er bei der
Deutschen Bank ein Guthaben von 30 0M Mark habe, dasselbe aber zur
"eit nicht abheben könne, weil er sich mit demselben bei einem
orundstückskaufe für das Erportmusterlager Union bctheiligen müsse. Mit
diesem Guthaben, das in Wahrheit gar nicht eristirte, flunkerte der Ange-
klagte überhaupt jcdesmal, wenn es sich darum handelte, eine Cautiou zu
ergattcrn. Er zeigte den betreffenden Personen sogar ein auf seiuen
Namen lautendes Bankbuch vor, in welchem sich mehrere Eintragungm
über 10000 und 20 000 Mark befanden, die ordnungsmäßig mit zwer
Namensunterschriften und einem Stempel mit der Jnschrift „Deutsche Bank"
versehen waren. Nach der Anklage soll nun der Angeklagte zum Awecke
der Täuschung in ein altes Bankbuch eigenmächtig Eintragungen gemacht,
dieselben mit den sehr geschickt nachgemachten Unterschriflen versehen und
die Stempelungen mit einem cigens zu diesem Zwecke angefertigten
Trockenstempel ausgeführt haben. Der Angeklagte hat in der That durch
einen seiner Lehrlinge bei einem Stempelfabrikanten einen Gummistempel
genau nach dem Muster des Stempels aus einem alten Bankbuch der
„Deutschen Vank" bestellen lassen. Jn dem gestern in dieser Sache oor
der dritten Strafkammer des hicsigen Landgerichts I stattgehabten
Terinin leugnete der Angeklagte jede Schuld, indem er behauptete, er habe
die Geldbeträge als Geschäftseiniagen, nicht aber als Cautionen von den
betreffenden Personen verlangt. Wiewohl nun einige schriftliche Verträge,
welche dem Gerichtshof vorgelegt wurden, diese Angaben zu bestätigen
schienen, so wurde es durch die Beweisaufnahme unzweifelhaft, daß
der Angcklagte seine Bedienstcten durch verschiedenartige münd-
liche Abmachungen übcr die Bedeutung jener schriftlichen Fest-
setzungen za täuschen gewußt hatte. Die beklagenswerthen CommiL
haben von ihren Geldern niemals etwas wiedergesehen. Die Smnmen
hatte der Principal natürlich sofort nach dem Empfang derselben für sich
verwendet, und als er aus dem Geschäft austrat, da wies er die Gerupften
einfach auf den Weg der Klage. Jm gestrigen Teimine gab Schmidt
die Bestellung eines Gummistempels wohl zu, behauptete aber, derselbe
wäre nicht mit den Worten „Deutsche Bani", sondern mit der Bezeich-
nung „Giro-Conto bei der Deutschen Bank" versehen gewesen. Die An-
gabe ist aber osfenbar falsch, denn abgesehen davon, daß der Lehrling,
we lcher den Stempel bestellt hatte, diese Ausrede nicht bestätigte, so hatte
der Stempcl überhaupt nicht sür mehr als zwei Worte Raum- Uebri-
gens battc dcr Angcklagte die Gummlplatte des Stempels vor seiner Ver-
wie sie in früheren Jahrhunderten auf allen Hochschulen angetroffen
wurde und in Zachariä's unsterblichem Canonnisten ihr unvergängliches
Denkmal erhalten hat. Am 18. October 1386 eingeweiht, blühte
die Rupertina bald auf, zumal der scholastischen Lehrmethode in einem
Punkte, der noch heute bedeutsam ist, entschicden entgegengetreten
wurde. Es wurde verboten, die ganze Stunde mit Dictiren auszu-
süllen. Aber es ward auch verboten das Würfelspiel, das Herum-
ziehen in den Fechtschulen, das Schuldenmachen, das Nachtschwärmen,
das nächtliche Waffentragen, das Einbrechen in Gärten und Wein-
berge und schließlich sogar — die Fuchstaufe. Es muß jcdoch bis-
weilen nöthig gewesen sein, nicht nur gegen die durstige Jugend,
sondern auch gegen die trockmen Herren Profefforen einzuschreiten.
Wenigstens heißt es in dein Reformstatut von 1456, wclches dcn
großen Grundsatz unbeschränkter Lehr- und Lernfreiheit zum ersten
Male ausspricht, zugleich: „Und wir wollen auch, daß Jeglicher in
seiner Weise lese und lehre und Keiner von ihnen sich unterstehe, des
Anderen Lehre oder Kunst in Werken, Geberden oder Worten heimlich
oder öffentlich zu verachten, zu schmähen oder zu schänden"; eme Be-
stimmung, welche bis aus dieftn Tag nicht immer peinlich beobachtet
sein soll.
Die Verdienste der berühmten ^.Iivn mnter sind darum nicht
geringere; hier war es, wo in einer Zeit der Ketzergerichte und
Scherterhaufen der Humanismus gehegt und geschützt wurde; hier
reformirte Melanchthon den Unterricht, wie er zuvor die Reform der
Kirche vorbereitet; und hier rang stch nach langen düsteren Kämpfen
ein fteierer Geist siegreich wieder zur Herrschaft durch. Die schwcrste
Prüfungszeit für die Hochschule war die Herrschaft französirender
Fürsten und schließlich der Franzosen. Als vor einem Jahrhundert
die Universität ihr Jubiläum feierte, da zählte die durch den Pro-
testantismus und die Geistesfteiheit groß gewordene Rupertina neben
vier protestantischen 30 katholische Professoren, Dominicaner, ftanzö-
sifche Jesuiten, Franziscaner, welche den Mangel an dem elemen-
tarsten Wissen durch den Fanatismus des Buchstabengiaubens cr-
gänzten. „Gellert hieß", wie Oertzen berichtet, „cin Frcigeist, Kant's
Name ward Hunden beigelegt, ein ehrenwerther Mann, wie der
Pater Trunk, ward durch Ketzerprocesse zu Tode gequält, weil er das
Betcn zu Christi Blutstropfen für Aberglauben erklärt, den Worten
Elohim und Adonai die Kraft, Tcufel auszutreiben, abgesprochen
hatte." Das war die Hochschule unter der wälschen Herrschaft.
Aber je tiefer der Schatten, um so heller leuchtete ihr Glanz
nach der Wende des Jahrhunderts. Thibaut, Klüber, Martin
Zachariae machten mit einem Schlage die juristische Facultät zu der
ersten in Deutschland. Bauer, Ewald, Marheinicke, de Wette, Neander,
Paulus, Breith, Voß erhoben die Wissenschast zu neuer Blüthe —
wer zählt die Sterne, nennt die Namen, die hier auf allen Gebieten
des nationalen GeisteslebenS neue Bahnen eröffneten? Welche
Ruhmestafel bildet das Verzeichniß der Heideiberger Professoren von
1800 bis auf diesen Tag? Und weiches Lob wäre ehrenhafter als
der innige Dank und die treue Liebe, welchc Tausende bewährter
Männer ihr Leben lang Heidelberg entgegenbringen? Hier am blumigen
Strandc des Neckar fließt in reinster ungetrübter Fülle der Jung-
brunnen akademischer Freiheit; hier fließt unerschöpfliches lauteres
Gold aus dem Schooße deutscher Wiffenschaft . . .
Alt Heidelberg, du feine! Dcr Dichier hat Recht: „Wenn ein
Unglücklich er mich ftagt, wo xp lebkn möchte, um dem lauernden
Kummer dann und wann eine Stunde zu entrücken, so nenne ich
ihm Heidelberg, und wenn ein Glücklicher mich ftagt, welchen Ort
er wählen soll, um jede Freude des Lebens frisch zu kränzen, so nenne
ich ihm abermals Heidelberg."
Und Alle, die in der Neckarstadt geweilt und geschwärmt, geliebt
und gesungen, ste rusen freudig der Llmu mutev R.uxei-to-
Ouroln zu:
Vivss, erosous, florons — in
ustornuni!
alter von Lund.
Mus der ReichshaupLstadt.
Jch habe mich in meinem letzten Brrefe vorübergehend mit den
Bcrliner Strohwittwern beschäftigt und zum Ruhme dersclben gesagt,
was ich verantworten zn kömicn glaubte; diese harmlosen Bemerkungen
haben einige — zumeist Berliner — Leser der „Bresiauer Zeitung" zu
Aeußerungen veranlaßt, die ich, soweit es sich um sachliche Erörte-
rungen und allgcmein interesfirende Dinge handelt, hier wieder-
geben will, ein Beginnen, welches dem Chroniqueur in dieser ereigniß-
armen und thatenlosen Sommerzeit nicht vcrwehrt werden darf. l
ist ja ein offenes Geheimniß, daß Berlin jetzt gerade so langweilig
ist, wie irgend eine mecklenburgische oder pommersche Kreisstadt, und
über die paar nicht gerade welterschütternden unpolitischen Ereignisse,
die sich innerhalb der Mauern Berlins in den letzien vierzehn
Tagen abgespielt haben, und die dem Feuilletonistcn keinen sastigen
Stoff bieten, smd Jhre Leser bereits genügend unterrichtet. Jch
darf somit dicses Ertempore wohl wagen und lasse die erwähnten
strohwittwerlichen Aeußerungen hier folgen. Jch kann mich dabei dcs
Gedankens nicht erwehren, daß an diesem Briefsegen, der über meinem
Haupte ausgegoffen wurde, die neue Packetfahrtgesellschast und die
„Hansa" ihrcn Antheil haben, denn seit diese beiden Gesellschasten der
Post ins Handwerk pfuschen und die Briefbeförderung und Bestellung
innerhalb Berlins zu wahren Schleuderpreisen (drei Pfennig für den
geschlosienen Brief, zwei Pftnnig für Dmcksachen) besorgt, liegt die
Versuchung, Briefe zu schreiben, noch näher, und wenn man vor-
dem für fünf Pfennige nicht -inmal das Recht hatte, Jemandem
etwas Unliebenswürdiges zu schretben oder Schuldner zu mahnen, so
gewähren die neuen Concurrcnz-Unternehmen den nicht uncrheblichen
Vortheil, daß man die gewichtigsten Briefe nur mit einer drei Pfennig-
Marke zu ftankircn braucht. Dieftr der Berliner Stadtpost ge-
fährlich werdenden Concurrenz hat stch auch der liebenswürdige Cor-
respondent bedient, der mir Folgendes schreibt:
„Jch danke Jhnen für dic warmen Worie, mit denen Sie die
vielfach angezwcifeite Moral der in Berlin zurückgeblicbenen männ-
iichen Familienoberhäupter so mannhaft vertheidigen. Jch habe Jhren
(hier folgen einige Epitheta, dercn Wiederholung mir die Bescheiden-
heit verbietet) Artikel roth angestrichen und ihn meiner in Landeck
weiienden Gattin zugesendet. Wie wird stch die Gute freuen! Jch
glaube, ste war nicht immer so ruhig, und als der Zug sich in Bewegung
setzte und die Taschentücher sichtbar wurden—die Frauen ziehensie hervor,
um damit zu winken, die Männer um einen Knoten darein
zu knüpfen, damit sie die davoneilende Gattin nicht vergessen — in
dieftm rührenden Augenblick der Trennung, rief sie mir noch aus
dem Coupkfenster zu: Aler, sei vernünstig! und zwar lauter, als ich
cs gcwünscht hätte. — Als ob ich irgend welche Veranlassung hätte,
unvernünstig zu sein! Vttt Wochen vor ihrer Abreise hqt metne
Frau sogar schcinbar ganz unauffällig, aber ebenso unmotivirt, einen
Dienstbotcnwechsel vorgenommen, und anstatt unserer anstelligen und
stets heiteren, nebenbei gesagt ziemlich hübschen Bertha eine Auguste
engagirt, die ungefähr doppelt so alt ist wie ihre Vorgängerin und
eine merkwürdige Häßlichkeit besitzt, so daß mich, obwohl ich sonst nicht
gruselig bin, eine GLnschaut überlauft, wenn Auguste ins Zimmer
tritt. Außerdem ist meine liebe Frau darauf gekommen, einen an-
sehnlichen Vorrath jener Cigarren zu bcstellen, die ich im trautem
Familienkreise zu rauchen pflege, 120 Mark das Tauftnd, wahrschein-
lich will ste damit vorbcugen, daß ich mir eine schwerere Sorte an-
gewöhne. Dagegenwar sie so aufmerksam, mir ein kleines Kistchen,welcheS
äußerlich sehr gut aussieht, auf den Schreibtijch zu stellen, welches sie miL
derselben Sorte anfüllte, nur Lhat sie hier ein Ucbriges, indem sie eigen-
händig jede Cigarre mit einem jener rothen Etiquettenringe versah, an
denen man sonst gute Cigarren zu erkennen Pflcgt. Sie hat dicse
Ringe im Lauf des Winters gesammelt, — aber nicht in unserm
Hause. — Die sicherste Garantie für mein zweifellvses Wohlverhalten
und unauffälliges Auftreten in Berlin scheint aber doch der Umstand
zn bieten, daß sie mir, um es mit deutlichen Worten zu sagen, das
Geld weggenvmmen hat, nicht etwa aus eincr bösen Absicht, sondern
einfach, weil sie es in Landeck braucht. Nun sttze ich — wie man
vulgär aber gemeinverständlich zu sagen pflegt, auf den Pfropfen —
und da man in meinen Kreisen selbst Skat nicht um Pfeffernüsse
oder was mir noch lieber wäre, um die „Ehre" spiclt, muß ich niich
seibst von dieser harmlosen Gemeinschast ausschließen, und meine Tage
und Abende in stillster Zurückgezogenheit verbringen. Jhre . . .
(hier folgt wieder eine bescheiden zu unterdrückende enthusiastische
Kritik meines Artikels) Schilderung hat somit den Nagel aus derr
Kopf getroffen und ich danke Jhnen hierfür im Namen mciner ge-
liebten in Landeck weilenden Gattin."
Etwas weniger gedrückt scheint das Gemüth eines andern Corre-
spondenten zu sein, aus dcffen Zuschrist ich nur solgende
Stellen herausnehme: „Keineswegs einverstanden bin ich mit
Jhrer Ansicht von der Beklommenheit des Strohwittwers mrd
seirrer Nicdergeschlagenheit. Jch bin seit circa 14 Tagerr
Strohwittwer, aber obwohl ich mit der zärtlichsten Liebe an den
Meinigen hänge, kann ich nicht verhehlerr, daß sich meine Seele seit
dieser Zeit sast unablässtg ergötzt, daß ich meine Verlassenheit, die
Sie sv elegisch betoncn, gar nicht empfinde und mich jeden Abcnd
mit dankbarem Herzen niederlege. . . . An der Bedtenung habe ich
nichts auszusetzen, ich werde wohlverpflegt und mit Zuvorkommenheit
oehandelt, gäbe es noch Hemdenknöpfe, die abreißen können, man
würde sie mir sofort wieder annähen, — kurz: ich bin das gerade
Gegentheil deS Strohwittwers, wie Sie ihn in der Breslauer Zeituns
vom letzten Sonntag schildern."
Es crscheint mir rricht überflüsstg, zu bemerken, daß der Brief deS
fidelen Strohwittwers aus Gastein datirt ist. Jch habe mir sagerr
lassen, daß es dort ganz erträglich zu leben sein soll, und ich erkläre
mir dadurch die Seelenheiterkeit dieses temporär getrennten Gatterr.
Jn einer anderen Tonart singt ein dritter Correspondent das Lied
vom braven Ehe-Manne ohne Frau. Derselbe schreibt nach einer
unwichtigen Einleitung: . . . „Zu den vielen Auswüchsen, die
unsere sociale Ordnung entstellen, gehört die Sitte, daß die
Frauerr auch solcher Männer, die an die Stadt gebunden stnd, Somrrrer-
reisen unternehmen zu müssen glauben, mit anderen Worten, aus 4
angemessenen Entgeit bekommen. Herr von Bötiicher verlangt, daß
die Aerzte den Schwierigkeiten, nüt welchen die Krankenkassen noch
kämpfen, Rechnung tragen, wLhrend die Aerzte verlangen, daß die
Krankcnkaflcn den Schwierigkettcn Rechmrng tragen, in welche das
Gesetz die Aerzte versetzt hat. Herr vsn Bötticher verlangt, daß die
Aerzte ihre Forderungen den Krästen der Kassen in solchen Fällen an-
paflen, in denen die Vergütung mit der Mühewaltung nicht in Ein-
klang steht, daS heißt, daß sie einen Theil ihrer Mühewaltung unter
dem Werth leisten. Sehr lehrreich für die Geschichte unserer Social-
politik!
Berlm, 30. Juli. sRegierungsbaumeister Keßler.—
Submissionen und Berufsgenossenschaften.s Die Vorbe-
strafungen, welche der Regierungsbaumeister Keßler erlitten hat, sind,
wie sich jetzt herausstellt, doch nicht so harmloser Natur, wie das
„Berl. Volksbl." glauben zu machen versuchte. Die im Jahre 1874
erltttene Strafe wegen versuchten Betrugs wird vorausstchtlich der
Polizeibehörde in Brandenburg Anlaß zur Ausweisung Keßler's ge
geben haben. Trotzdem können wir auch jetzt noch der Ansicht, daß
durch die Strafen die Voraussetzungen, unter welchen das Gesetz von
1842 die Versagung des Aufenthaltes gestattet, erfüllt seien, nicht
betpflichten, wenn auch die Praxis der Polizeibehörden und selbst ein
vor etwa zwei Jahren erlaffcnes Erkenntniß des Ober-Verwaltungs-
gerichtö für die Auffassung der Brandenburger Polizci sprechen. Die
Behauptung des „Berl. Volksbl.", daß Keßler nach erfolgter Verur-
theilung noch mehrere Jahre im Staatsdienste verblieben sei, kann
sich nur auf die im Jahre 1867 erlittene Bestrafung wegen vorsätz
licher Körperverletzung beziehen. Aber selbst in diesem Zusammenhange
war die Behauptung nicht ganz correct. Keßler ist im Staatsdienste
HSchstens zeitweilig als diätarisch beschäftigter Baumeister thütig ge-
wesen, und da ist es allerdings möglich, daß er trotz der erlittenen
Strafe noch weiter diätarisch beschäftigt gewesen ist. Jm Jahre 1874
und nachher ist er aber auch in diesem Verhältnisse nicht mehr ver-
wandt worden, und angestellter Beamter ist er überhaupt nie gewesen.
Es ist daher auch nicht richtig, daß Keßler, wie es häufig gcschieht,
als Regierungsbaumeister a. D. bczeichnet wird. Er hatte seine
Examina im Baufache bestanden und dadurch die Bercchtigung er-
langt, sich Baumeister, bezw. nach dcr vor zehn Jahren er-
folgten Einführung dieses Titels, Regierungs - Baumeister nennen
zu dürsen, ohne daß er gezwungen gewesen wäre, in den Staatsdienst
einzutretcn. — Die Anordnung des Ministers der öffentlichen Arbeiten
nach welcher zur Mitwirkung beim Submissionsverfahren, wenn die
Beamten selbst nicht über auöreichende Sachkenntniß verfügen und
sonstige sachverständige, als tüchtig anerkannte Personcn den Behörden
nicht bereits zur Verfügung stehen, die Vorstände der Berufsgenossen-
schaften um Namhaftmachuug von Sachverständigen angegangen werden
sollen, ist nach zwei Richtungen von Bedeutung. Seitens einer An-
zahl Jnnungen war der Anspruch erhoben worden, daß sich die Be-
HSrden ihrer Beihilfe bedienen, bezw. von ihnen vorgeschlagene Sach-
verständige bei der Einleitung und Durchführung der Submissionen
zuziehen müßten. Dieser Anspruch hat Berücksichiigung nicht ge-
funden. Sodann ist mit der neuenBestimmung der erste Versuch
gemacht worden, den Berufsgenossenschasten Aufgaben zu übertragen,
welche außerhalb des B erciches des UnfallversicherungS-
Gesetzes liegen. Während den Zünftlern die Anordnung des
Ministers nicht gefallen wird, wird ste von denjenigen, welche in den
Berufsgenossenschaften den ersten Ansang einer corporativen Organi-
sation der Erwerbsstände erblicken zu dürfen glaubten, mit Genug-
thuung begrüßt werden. Die Vorstände der Berufsgenoffenschaftcn
sind übrigens derartig mit Arbeiten überhäuft, daß ihnen der neue
ZuwachS wvhi nicht immer willkommen sein wird. Sie ftlbst sind
wohl nur selten in der Lage, die geeigneten Personen in Vorschlag
bringen zu können und daher gezwungen, erst die Vorstände der
Sectionen und die Vertrauensmänncr zu hören, und somit werden
die Journalnummern eine wesentliche Vermehrung erfahren, wenn
von der Mitwirkung der Berufsgenossenschaften in größerem Umfang
Gebrauch gemacht werden würde. Dies glauben wir aber vorläufig
bezweifeln zu dürfen, weil in den meisten Fällen den Behörden in
ihren Beamten sachverständige Personen zu Gebote stehen werden.
jDer Neubau des Reichstagsgebäudesj auf dem Königsplatz
schreitet allmälig immer weiter vorwärts und bietet dem großen Nublikum
von Woche zu Woche ein immer neues Bild. Während von dem Bau
bisber von außen nur das starke aus Backsteinen aufgefüyrte Mauerwerk
auffiel, hat man jetzt begonnen, dies Mauerwerk mU grotzen Stein-
quadern zu umkleiden. Zahlreiche Arbeiter sind damit beschäftigt,
alle vier Autzensronten mit mächtigen Sandsteinguaderm zu versetzen.
Zu dem Sockel verwcndet man grauen Granit, welchcr in den
reichen Granitlagern des Fichtelgebirges gebrochen wird, während
die höher gelegenen Thcile des Erbgeschosses mit Sandsteinquadern
versetzt wcrden, von deren Umfang man sich einen Begrisf macheu kann,
wenn man hört, daß ein jeder dieser Blöcke ein Gcwicht von 50—80 Ctr.
hat- Diesc Sandsteinquadern werden in verschiedencn Theilen unseres
Vaterlandes gebrochen: in Groß-Warthau und in Rackwitz in Schlesien,
in Nesselberg in Hannover, in Burgpreppack in Baiern und in Bergheim
im Teutoburger Walde. Sämmtliche Brüche liefern vorzügliche, feinkörnige,
feste und vollkommen gleichmätzige Sandsteine. Alle diese Steine werden
schon in den Brüchen in derjcnigen Grötze und Form bearbeitet, welche sie
in dem Gesammtbau erhalten sollcn, wcrden dann auf der Eisenbahn
hierher gebracht, auf dem hiesigen Bauplatz nochmals nachgearbeitet,
mit Hilse einep bewcglichen Stahlbahn, welche ihre Geleise über
den ganzen Bauplatz und bis auf das Gerüst hinauf ausdehnt, hinauf
geschafst und dann mit Hilfe eiserner Krähne gehoben und in diejenige
Stelle eingesenkt, welche sie einnehmen sollen und welche sie auch qenau
ausfüllen. Es ist sehenswerth, mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit so
riesige Banstücke bewegt werden können. Auch im Jnnern des Hauses
wird vielfach Sandsteiu zu den Wandbekleidungen und Architekturtheilen
verwendet. Besonders die dem großen Verkehr dienenden Hallen, Flure
und Eingänge werden in dieser Weise ausgestattet. Zur Verwenbung ge-
langen hier Sandsteine aus Udelfangen bei Trier an der Mosel, aus
Bayerfeld in der Pfalz und aus Arzweiler und Pfalzburg im Elsaß. Die
Elsässer Steiue zeichnen sich durch einc schöne grau-blaue Färbung aus.
Jn der grotzen Wartehalle für das Publikum werden die Thür- und Fenster-
einfassungen, Pfeiler, Gurtungen und Gewölberippen auS diesen Steinen
hergestellt.
jZur Feststellung des Umfanges der Friedericianischen
Literaiurj wünscht der Cultnsminister zu erfahren, was in den
verschiedenen Universitäts- rc. Bibliotheken an Schriften dieser Art vor-
handen ist. Zu diesem Behufe hat er den Bibliotheksleitern ein Ver
zeichniß von Ausgaben und Uebcrsetzungen der Werke Friedrichs des
Großen mit dem Ersuchen zugehen lassen, genau festzustellen, welche von
den darin verzeichneten Schriften in der dortigen Bibliothek vorhanden
sind, und eine eingeheude Untersuchung vorzunehmen, ob sich noch Schriften
Ausgaben und Uebersetzungen der Friedericianischen Literatur vorsinden
wclche in das Verzcichniß nicht aufgenommen worden sind.
sVon ciner unschuldig erlittenen Verhaftungj weiß das aus
Mansfeld gebürtige Dienstmädchen Louise Nonncnberg zu erzählen, welches
seit dem März d. Js. bei dcm Fabrikanten R. in der Zimmerstraße 37
in Condition steht und hier allseitiges Vertrauen genießt. Am Mittwoch
den 20. d. Mts. srüh, crschien, dem Bericht der „B. B.-Ztg." zufolge, in
der Wohnung des Fabrikanten R. ein Schutzmann, welcher den Auftrag
hatte, die N. nach der Polizeiwache in der Lindenstraße zu sistiren. Es
wurde ihr eröffnet, daß sie eines Diebstahls beschuldigt sei, den ste im
Jnbre 1882 in Halle a. S. ausgeführt haben sollte, und nun nach Halle
befördert werden würde, um sich dort zu verantworten. Das Mädchen
wurde alsdann nach dem Molkenmarkt befördert, verblieb hier eiue Nacht
und wurde dann unter Aufsicht eines Transporteurs am Donnerstag
Morgen per Eisenbabn nach Halle überführt, wo sie in das dorttge Ge-
fängniß eingcliefert wurde. Da mehrere Tage vergingen, ohne daß der
Fabrikant R. über den Ausgang der Sache irgend eine Nachricht erhielt,
richtetc er an die Staatsanwaltschaft zu Halle ein bczügliches Schreiben
auf welLes er zwar bis beute, trotz einqelegter Rückfrancatur, keine Ant
wort erhalten, das wahrscheinlich aber zur Folge hatte, daß auf Dinstag,
den 24. d. Mts. ein Termin anberaumt wurde, in welchem das Dienst-
mädchen Nonnenberg der Bestohlenen gegsnüber gestellt wurde. Jetzt
stellte es sich heraus, daß die Verhaftete gar nicht die Diebin sei und die
Bestohlene das Mädchen nie gesehen habe! Die Folge war, daß das arme
Mädchen sosort aus der Untersuchungshast entlassen wurde, in der sie stch
fünf Tage besunden hatte. Das überaus brave Mädchen, dem die besten
Zeugnisse zur Seite stehen, war vor ihrer Berliner Stellung vier Jahre
bei einerHerrschaft in Eisleben bedienstet und genoß auch dort ungetheiltes
Vertrauen. Jeßt befindet sich dieselbe wieder in Berlin in ihrer alten
Stellung. Offenbar liegt eine Verwechselung in der Person vor oder die
eigentliche Diebin hat Angaben über ihre Person gemacht, welche auf die rc.
Nonnenberg passen. Eine Aufforderung zum genchtlichen Termin in Halle.
welche ihr zugesandt sein soll, will das Mädchen nicht erhalten haben.
fGerichisverhandlung.j Unter der pomphaften Ftrma „Deut-
ches Erport-Musterlager Union, Commanditgesellschaft W.
I. Schmidt u. Co." bestand hier ein Geschäft, welches der Kaufmanir
Karl August Julius Wilhelm Schmidt in den Jahren 1884 und 1885 alz
persönlich haftender Gescllschafter leitete und das im Decembee 1885 an die
Herren Arthur v. Krause und Paul Lagemann überging. Jm vorigen Früh-
ahr stellte es sich heraus, daß Schmidt während seiner Geschäftsleitung eine
bedeutende Anzahl von Betrügereien sich hatte zu Schulden kommen lassen»
von denen die meisten in das Gebiet des Cautionsschwindels fallen. Wie dies
gewöhnlich in solchen FLllen geschieht, hat der Angeklagte in die gelesensten
Zeitungen Jnserate einrücken lasfen, durch welche er zur Bewerbung unr
die in seinem Geschäft vacant gewordenen Stellungen einlud, doch mußteir
die Candidaten selbstverständlich das nöthige Geld zu eincr entsprechenden
Caution haben. Der schlaue Mann hatte nicht schlecht speculirt, deun eL
meldeten sich der Bewerber mehr, als er brauchen konnte. Mit großer Be-
redsamkeit wußte er nun den jungen Leuten die Lage seines Geschäfts in
den glänzendsten Farben zu schildern und machte dadurch die Stellung-
suchenden so vertrauensselig, daß dieselben ihm unbedenklich ihre Cautioneir
in nicht urierheblichen Beträgen anvertrauten. So erzählte er einem
Kassenbuchhalter, welchen er gegen eine Caution von 5000 M. engagirte»
daß sein Geschäft glänzend sei, er wäre aber wiederholt von seinen Leutm
um größere Summen betrogen worden und müsse deshalb auf eine
Sicherstelluiig bedacht sein. Nebeubei bemerkte er noch, daß er bei der
Deutschen Bank ein Guthaben von 30 0M Mark habe, dasselbe aber zur
"eit nicht abheben könne, weil er sich mit demselben bei einem
orundstückskaufe für das Erportmusterlager Union bctheiligen müsse. Mit
diesem Guthaben, das in Wahrheit gar nicht eristirte, flunkerte der Ange-
klagte überhaupt jcdesmal, wenn es sich darum handelte, eine Cautiou zu
ergattcrn. Er zeigte den betreffenden Personen sogar ein auf seiuen
Namen lautendes Bankbuch vor, in welchem sich mehrere Eintragungm
über 10000 und 20 000 Mark befanden, die ordnungsmäßig mit zwer
Namensunterschriften und einem Stempel mit der Jnschrift „Deutsche Bank"
versehen waren. Nach der Anklage soll nun der Angeklagte zum Awecke
der Täuschung in ein altes Bankbuch eigenmächtig Eintragungen gemacht,
dieselben mit den sehr geschickt nachgemachten Unterschriflen versehen und
die Stempelungen mit einem cigens zu diesem Zwecke angefertigten
Trockenstempel ausgeführt haben. Der Angeklagte hat in der That durch
einen seiner Lehrlinge bei einem Stempelfabrikanten einen Gummistempel
genau nach dem Muster des Stempels aus einem alten Bankbuch der
„Deutschen Vank" bestellen lassen. Jn dem gestern in dieser Sache oor
der dritten Strafkammer des hicsigen Landgerichts I stattgehabten
Terinin leugnete der Angeklagte jede Schuld, indem er behauptete, er habe
die Geldbeträge als Geschäftseiniagen, nicht aber als Cautionen von den
betreffenden Personen verlangt. Wiewohl nun einige schriftliche Verträge,
welche dem Gerichtshof vorgelegt wurden, diese Angaben zu bestätigen
schienen, so wurde es durch die Beweisaufnahme unzweifelhaft, daß
der Angcklagte seine Bedienstcten durch verschiedenartige münd-
liche Abmachungen übcr die Bedeutung jener schriftlichen Fest-
setzungen za täuschen gewußt hatte. Die beklagenswerthen CommiL
haben von ihren Geldern niemals etwas wiedergesehen. Die Smnmen
hatte der Principal natürlich sofort nach dem Empfang derselben für sich
verwendet, und als er aus dem Geschäft austrat, da wies er die Gerupften
einfach auf den Weg der Klage. Jm gestrigen Teimine gab Schmidt
die Bestellung eines Gummistempels wohl zu, behauptete aber, derselbe
wäre nicht mit den Worten „Deutsche Bani", sondern mit der Bezeich-
nung „Giro-Conto bei der Deutschen Bank" versehen gewesen. Die An-
gabe ist aber osfenbar falsch, denn abgesehen davon, daß der Lehrling,
we lcher den Stempel bestellt hatte, diese Ausrede nicht bestätigte, so hatte
der Stempcl überhaupt nicht sür mehr als zwei Worte Raum- Uebri-
gens battc dcr Angcklagte die Gummlplatte des Stempels vor seiner Ver-
wie sie in früheren Jahrhunderten auf allen Hochschulen angetroffen
wurde und in Zachariä's unsterblichem Canonnisten ihr unvergängliches
Denkmal erhalten hat. Am 18. October 1386 eingeweiht, blühte
die Rupertina bald auf, zumal der scholastischen Lehrmethode in einem
Punkte, der noch heute bedeutsam ist, entschicden entgegengetreten
wurde. Es wurde verboten, die ganze Stunde mit Dictiren auszu-
süllen. Aber es ward auch verboten das Würfelspiel, das Herum-
ziehen in den Fechtschulen, das Schuldenmachen, das Nachtschwärmen,
das nächtliche Waffentragen, das Einbrechen in Gärten und Wein-
berge und schließlich sogar — die Fuchstaufe. Es muß jcdoch bis-
weilen nöthig gewesen sein, nicht nur gegen die durstige Jugend,
sondern auch gegen die trockmen Herren Profefforen einzuschreiten.
Wenigstens heißt es in dein Reformstatut von 1456, wclches dcn
großen Grundsatz unbeschränkter Lehr- und Lernfreiheit zum ersten
Male ausspricht, zugleich: „Und wir wollen auch, daß Jeglicher in
seiner Weise lese und lehre und Keiner von ihnen sich unterstehe, des
Anderen Lehre oder Kunst in Werken, Geberden oder Worten heimlich
oder öffentlich zu verachten, zu schmähen oder zu schänden"; eme Be-
stimmung, welche bis aus dieftn Tag nicht immer peinlich beobachtet
sein soll.
Die Verdienste der berühmten ^.Iivn mnter sind darum nicht
geringere; hier war es, wo in einer Zeit der Ketzergerichte und
Scherterhaufen der Humanismus gehegt und geschützt wurde; hier
reformirte Melanchthon den Unterricht, wie er zuvor die Reform der
Kirche vorbereitet; und hier rang stch nach langen düsteren Kämpfen
ein fteierer Geist siegreich wieder zur Herrschaft durch. Die schwcrste
Prüfungszeit für die Hochschule war die Herrschaft französirender
Fürsten und schließlich der Franzosen. Als vor einem Jahrhundert
die Universität ihr Jubiläum feierte, da zählte die durch den Pro-
testantismus und die Geistesfteiheit groß gewordene Rupertina neben
vier protestantischen 30 katholische Professoren, Dominicaner, ftanzö-
sifche Jesuiten, Franziscaner, welche den Mangel an dem elemen-
tarsten Wissen durch den Fanatismus des Buchstabengiaubens cr-
gänzten. „Gellert hieß", wie Oertzen berichtet, „cin Frcigeist, Kant's
Name ward Hunden beigelegt, ein ehrenwerther Mann, wie der
Pater Trunk, ward durch Ketzerprocesse zu Tode gequält, weil er das
Betcn zu Christi Blutstropfen für Aberglauben erklärt, den Worten
Elohim und Adonai die Kraft, Tcufel auszutreiben, abgesprochen
hatte." Das war die Hochschule unter der wälschen Herrschaft.
Aber je tiefer der Schatten, um so heller leuchtete ihr Glanz
nach der Wende des Jahrhunderts. Thibaut, Klüber, Martin
Zachariae machten mit einem Schlage die juristische Facultät zu der
ersten in Deutschland. Bauer, Ewald, Marheinicke, de Wette, Neander,
Paulus, Breith, Voß erhoben die Wissenschast zu neuer Blüthe —
wer zählt die Sterne, nennt die Namen, die hier auf allen Gebieten
des nationalen GeisteslebenS neue Bahnen eröffneten? Welche
Ruhmestafel bildet das Verzeichniß der Heideiberger Professoren von
1800 bis auf diesen Tag? Und weiches Lob wäre ehrenhafter als
der innige Dank und die treue Liebe, welchc Tausende bewährter
Männer ihr Leben lang Heidelberg entgegenbringen? Hier am blumigen
Strandc des Neckar fließt in reinster ungetrübter Fülle der Jung-
brunnen akademischer Freiheit; hier fließt unerschöpfliches lauteres
Gold aus dem Schooße deutscher Wiffenschaft . . .
Alt Heidelberg, du feine! Dcr Dichier hat Recht: „Wenn ein
Unglücklich er mich ftagt, wo xp lebkn möchte, um dem lauernden
Kummer dann und wann eine Stunde zu entrücken, so nenne ich
ihm Heidelberg, und wenn ein Glücklicher mich ftagt, welchen Ort
er wählen soll, um jede Freude des Lebens frisch zu kränzen, so nenne
ich ihm abermals Heidelberg."
Und Alle, die in der Neckarstadt geweilt und geschwärmt, geliebt
und gesungen, ste rusen freudig der Llmu mutev R.uxei-to-
Ouroln zu:
Vivss, erosous, florons — in
ustornuni!
alter von Lund.
Mus der ReichshaupLstadt.
Jch habe mich in meinem letzten Brrefe vorübergehend mit den
Bcrliner Strohwittwern beschäftigt und zum Ruhme dersclben gesagt,
was ich verantworten zn kömicn glaubte; diese harmlosen Bemerkungen
haben einige — zumeist Berliner — Leser der „Bresiauer Zeitung" zu
Aeußerungen veranlaßt, die ich, soweit es sich um sachliche Erörte-
rungen und allgcmein interesfirende Dinge handelt, hier wieder-
geben will, ein Beginnen, welches dem Chroniqueur in dieser ereigniß-
armen und thatenlosen Sommerzeit nicht vcrwehrt werden darf. l
ist ja ein offenes Geheimniß, daß Berlin jetzt gerade so langweilig
ist, wie irgend eine mecklenburgische oder pommersche Kreisstadt, und
über die paar nicht gerade welterschütternden unpolitischen Ereignisse,
die sich innerhalb der Mauern Berlins in den letzien vierzehn
Tagen abgespielt haben, und die dem Feuilletonistcn keinen sastigen
Stoff bieten, smd Jhre Leser bereits genügend unterrichtet. Jch
darf somit dicses Ertempore wohl wagen und lasse die erwähnten
strohwittwerlichen Aeußerungen hier folgen. Jch kann mich dabei dcs
Gedankens nicht erwehren, daß an diesem Briefsegen, der über meinem
Haupte ausgegoffen wurde, die neue Packetfahrtgesellschast und die
„Hansa" ihrcn Antheil haben, denn seit diese beiden Gesellschasten der
Post ins Handwerk pfuschen und die Briefbeförderung und Bestellung
innerhalb Berlins zu wahren Schleuderpreisen (drei Pfennig für den
geschlosienen Brief, zwei Pftnnig für Dmcksachen) besorgt, liegt die
Versuchung, Briefe zu schreiben, noch näher, und wenn man vor-
dem für fünf Pfennige nicht -inmal das Recht hatte, Jemandem
etwas Unliebenswürdiges zu schretben oder Schuldner zu mahnen, so
gewähren die neuen Concurrcnz-Unternehmen den nicht uncrheblichen
Vortheil, daß man die gewichtigsten Briefe nur mit einer drei Pfennig-
Marke zu ftankircn braucht. Dieftr der Berliner Stadtpost ge-
fährlich werdenden Concurrenz hat stch auch der liebenswürdige Cor-
respondent bedient, der mir Folgendes schreibt:
„Jch danke Jhnen für dic warmen Worie, mit denen Sie die
vielfach angezwcifeite Moral der in Berlin zurückgeblicbenen männ-
iichen Familienoberhäupter so mannhaft vertheidigen. Jch habe Jhren
(hier folgen einige Epitheta, dercn Wiederholung mir die Bescheiden-
heit verbietet) Artikel roth angestrichen und ihn meiner in Landeck
weiienden Gattin zugesendet. Wie wird stch die Gute freuen! Jch
glaube, ste war nicht immer so ruhig, und als der Zug sich in Bewegung
setzte und die Taschentücher sichtbar wurden—die Frauen ziehensie hervor,
um damit zu winken, die Männer um einen Knoten darein
zu knüpfen, damit sie die davoneilende Gattin nicht vergessen — in
dieftm rührenden Augenblick der Trennung, rief sie mir noch aus
dem Coupkfenster zu: Aler, sei vernünstig! und zwar lauter, als ich
cs gcwünscht hätte. — Als ob ich irgend welche Veranlassung hätte,
unvernünstig zu sein! Vttt Wochen vor ihrer Abreise hqt metne
Frau sogar schcinbar ganz unauffällig, aber ebenso unmotivirt, einen
Dienstbotcnwechsel vorgenommen, und anstatt unserer anstelligen und
stets heiteren, nebenbei gesagt ziemlich hübschen Bertha eine Auguste
engagirt, die ungefähr doppelt so alt ist wie ihre Vorgängerin und
eine merkwürdige Häßlichkeit besitzt, so daß mich, obwohl ich sonst nicht
gruselig bin, eine GLnschaut überlauft, wenn Auguste ins Zimmer
tritt. Außerdem ist meine liebe Frau darauf gekommen, einen an-
sehnlichen Vorrath jener Cigarren zu bcstellen, die ich im trautem
Familienkreise zu rauchen pflege, 120 Mark das Tauftnd, wahrschein-
lich will ste damit vorbcugen, daß ich mir eine schwerere Sorte an-
gewöhne. Dagegenwar sie so aufmerksam, mir ein kleines Kistchen,welcheS
äußerlich sehr gut aussieht, auf den Schreibtijch zu stellen, welches sie miL
derselben Sorte anfüllte, nur Lhat sie hier ein Ucbriges, indem sie eigen-
händig jede Cigarre mit einem jener rothen Etiquettenringe versah, an
denen man sonst gute Cigarren zu erkennen Pflcgt. Sie hat dicse
Ringe im Lauf des Winters gesammelt, — aber nicht in unserm
Hause. — Die sicherste Garantie für mein zweifellvses Wohlverhalten
und unauffälliges Auftreten in Berlin scheint aber doch der Umstand
zn bieten, daß sie mir, um es mit deutlichen Worten zu sagen, das
Geld weggenvmmen hat, nicht etwa aus eincr bösen Absicht, sondern
einfach, weil sie es in Landeck braucht. Nun sttze ich — wie man
vulgär aber gemeinverständlich zu sagen pflegt, auf den Pfropfen —
und da man in meinen Kreisen selbst Skat nicht um Pfeffernüsse
oder was mir noch lieber wäre, um die „Ehre" spiclt, muß ich niich
seibst von dieser harmlosen Gemeinschast ausschließen, und meine Tage
und Abende in stillster Zurückgezogenheit verbringen. Jhre . . .
(hier folgt wieder eine bescheiden zu unterdrückende enthusiastische
Kritik meines Artikels) Schilderung hat somit den Nagel aus derr
Kopf getroffen und ich danke Jhnen hierfür im Namen mciner ge-
liebten in Landeck weilenden Gattin."
Etwas weniger gedrückt scheint das Gemüth eines andern Corre-
spondenten zu sein, aus dcffen Zuschrist ich nur solgende
Stellen herausnehme: „Keineswegs einverstanden bin ich mit
Jhrer Ansicht von der Beklommenheit des Strohwittwers mrd
seirrer Nicdergeschlagenheit. Jch bin seit circa 14 Tagerr
Strohwittwer, aber obwohl ich mit der zärtlichsten Liebe an den
Meinigen hänge, kann ich nicht verhehlerr, daß sich meine Seele seit
dieser Zeit sast unablässtg ergötzt, daß ich meine Verlassenheit, die
Sie sv elegisch betoncn, gar nicht empfinde und mich jeden Abcnd
mit dankbarem Herzen niederlege. . . . An der Bedtenung habe ich
nichts auszusetzen, ich werde wohlverpflegt und mit Zuvorkommenheit
oehandelt, gäbe es noch Hemdenknöpfe, die abreißen können, man
würde sie mir sofort wieder annähen, — kurz: ich bin das gerade
Gegentheil deS Strohwittwers, wie Sie ihn in der Breslauer Zeituns
vom letzten Sonntag schildern."
Es crscheint mir rricht überflüsstg, zu bemerken, daß der Brief deS
fidelen Strohwittwers aus Gastein datirt ist. Jch habe mir sagerr
lassen, daß es dort ganz erträglich zu leben sein soll, und ich erkläre
mir dadurch die Seelenheiterkeit dieses temporär getrennten Gatterr.
Jn einer anderen Tonart singt ein dritter Correspondent das Lied
vom braven Ehe-Manne ohne Frau. Derselbe schreibt nach einer
unwichtigen Einleitung: . . . „Zu den vielen Auswüchsen, die
unsere sociale Ordnung entstellen, gehört die Sitte, daß die
Frauerr auch solcher Männer, die an die Stadt gebunden stnd, Somrrrer-
reisen unternehmen zu müssen glauben, mit anderen Worten, aus 4