Diese Heitung erscheint täglich außer Sountags. Gratis-Beilagen:
Atittwvchs: „Blatter fnr Landwirthschaft rc."; Sonnabcnds: „Jllnstrirtes
Ulrterhaltungsblatt".
Preis durch die Post bezogen frei ins Haus vierteljährlich 3 .-4L 55 bei Ab-
holen von der nächsten Postanstalt 3 15 S>, bei der Expedition, für Hameln
frci ins Haus, 2 50 Z>. Einzelne Nummern 10 S>.
Stedaction nnd Expedition: Osterstraste 1S in Hameln.
Preis ftir Jnserate aus der Stadt Hameln 10 -ö, von auswärts 15 H die
Corpuszeile oder dcren Raum. Reclamen die breite Zeile 30 A>.
Anzeigett-Attnahme bei der Expedition uud sämmtlichen
Annoncen-Büreaus.
HamelU, Mittwoch, den 4. Auguft 1886.
Nr. 18«.
WSWWW!!>»IZ!«>!>>!I» ll!!!!» I! >!»!>! n
Bestellungen ans die Deister- und
Weserzeitung fnr die Monate August nnd
September werden von allen Postanstalten
zum Preise von 2 Mk. 4« Pfg„ bei Abholen
von der nächsten Postanstalt zum Preise von
S Mk. 1v Pfg», für die Stadt Hameln in
der Expedition, Osterstraste 1«, zum Preise
von 1 Mk. 7« Pfg. angeuommeu.
^ Das „erpreßte Geständmß".
Am 12. März 1886 flocht der socialdemokratische
Abgeordnete Heine in eine Reichstagsrede eine
Schilderung aus seiuemGefängnißleben ein, welche die
schwersten Beschuldigungen gegen die Gefängniß-
verwaltung in Halberstadt, insliesondere gegen den
Staatsanwalt Schöne enthielt. Letzterer wurdc ver-
dächtigt, sich ganz unerlaubter Mittel bedient zu habcn,
um von dem Gefangenen Heine ein Gcständniß übcr
vorgekommene Durchsteckereien zu „erpressen". Die
„FreisinnigeZeitung" beeilte sich, diese Beschuldigungen
gegen die preußischc Justizpflege außerhalb des Parla-
mentsberichts noch cxtra in einem Artikel ihren Lesern
vorzusetzen und sie mit dcr Bcmerknng zu versehen,
der Justizminister dürfe nicht dulden, daß Justizbeamte
Geständnisse zu erpressen suchen und, wenn die An-
gaben wahr scien, müsse gegen dcn Staatsanwalt
Anklage crhoben werden. Allerdings wurde nun An-
klage erhoben, aber nicht gegen den Staatsanwalt,
sondern gegen die „Frcisinnigc Zeitnng" wegen
Beamtenbcleidigung. Das Blatt berief sich zwar
durauf, daß wahrhcitsgetreue Preßbcrichte über Par-
lamentsverhandlungen straflos seien, indessen das Ber-
liner Landgericht erkannte am vorlctzten Dienstag nach
dcr Beweisanfnahme über die Wahrheit derHeine'schen
Angaben auf ciue Geldstrafc von 500 wegen Be-
leidigung des Staatsanwalts Schöne, weil einmal die
„Freisinnige Zeitung" die Rede Heine's mit eincr
Kritik versehe» habe, in Folge dessen der Artikel nicht
sowohl ein Bild der Verhandlungen gebe, als viel-
mehr in beleidigendcr Weise die in der Verhandlung
vorgebrachten Gedanken verbreite, und weil zweitens
die Angaben Heines' nicht wahr seien.
Wir wollen hier auf die Rechtsfrage nicht näher
eingehen. Der Proceß bietet nach einer andern
Richtung ein viel größeres Jnteresse, in politischer
Beziehung nümlich. Dcr Hauptangeklagte in diesem
Processe war eigentlich gar nicht die „Freisinnige
Zeitung", sondern der Abg. Heine, welcher nach der
Beweisaufnahme schwer belastet erscheint. Wirklich
angeklagt konnte er nicht werden, da nach der Ver-
fassung Parlamentsredeu dem richterlichen Urtheil
nicht unterliegen können.
Am 12. März 1886 sagte der Abg. Heine im
Reichstage:
„Die Sache ist einsach die, daß bei mir während einer sechs-
monatlicher Strashast cin Stück Wurst gefunden wurde m meiner
Zelle, und daß insolge dessen eine Anklage gegen mich crhoben
wurde wegen Beamtenbestechung — eine Strasthat, welche
mit sünf Jahr Gefängniß im Maximum bestrast wird. Nachdem
diese Anklage crhoben worden war, und nachdem ich jede Aus-
sage in der Voruntersuchung darüber verwcigert hatte, wie ich in
den Besitz dieicr Lturst gekommen war, wurde von dem Herrn
Staatsanwalt Schöne angeordnet, daß ich in eine sogenanntc
Arrestzelle gesperrt wurde, iu welche sast keinTageslicht Lrang,
in welcher selbst unter Mittag es mir sast nicht möglich war,
ohne Licht zu lesen."
Vor dem Strassenat, wo man die Worte freilich
andcrs wcigen muß als im Reichstage, sagtc dcrsclbe
Abgeordnete am Dienstag aus: „Jch bin von
den Beamten stets freundlich und human behandclt
worden, die Behandlung, die mir vom Gesängniß-
inspector und den Aufsehern zu Dheil wurde, kanii ich
nur als eine anständige bezeichnen." Aus der Beweis-
aufnahme ging ferner hervor, daß nicht ein Mal, son-
dern drci Mal Durchskckereien, nicht bloß von Wurst,
sondern auch von Geld, vorgckommcn waren; ferncr,
daß eine Untersuchnng wegeri Beaintcnbestechung über-
haupt nicht eingeleitet, sondern Heine nur darüber
vernommen wurde, wie und von wem er die verbotcnen
Dinge zugesteckt erhalten habe; endlich daß Heine nicht
in eiuc Arrestzellc, sondern nur in eine andere Zclle
gebracht worden ist, wclche für Durchsteckereien wenigcr
günstig gclegcn war.
Äm 12. März bcschrieb der Abgeordncte Heine
die eine Zelle wie folgt:
„Diese Zelle war so eng, daß, nachdem die nothwendigen
Utensilien darin placirt waren, ich leine drei Schritte Larin gehen
konntc, und daneben lag ein schwerer Verbrecher an zwei Ketten,
39. Jahrg.
welche alle Tage umgelegt wurden, durch welches Ketteugerassel
natürlicheriveise mein Nervensystem surchtbar in Anspruch ge-
nommen wurde. Noch mehr: es kam so weit, daß, da ich schon
als krank angesehen und von dem Herrn (Lcfängnißarzte als
krank geführt wurde, meine Krankheit so zunahm, daß ich sort-
während an Schwindelanfällen litt uud zu Boden fiel. Es war
mir uicht möglich, zur Freistunde hinauszugehen, ohne mich erst
eine ganze Weile festzuhalten und meine Augen erst an das Licht
zu gewöhnen."
Am Dienstag wollte derselbe Abgeordnetc
überhaupt nur vermuthet haben, daß es eineArrest-
zelle sei: jetzt hat er sich nur „einige Malc" an das
Tageslicht gewöhnen müssen, jetzt bcsinnt er sich auch,
daß der schwere Verbrecher nicht nnmittelbar ueben
ihm cingesperrt war. Jetzt stcllt sich auch durch die
übrigen Zeugen heraus, daß die Zclle genau so wie
nvch 5 andere beschaffen, und daß eine andere über-
haupt nicht leer war, sowie auch, daß Heine nicht ein
einziges Mal Beschwerde iu Halbcrstadt geführt, son-
dern gewartet hat, bis er auS dem Gefängniß heraus
war, um seiue unwahren Angriffe gegen die Beamten
zu richten.
Am 12. März schilderte der Abgeordnete Heine
seine verzweifelte Lage also:
„Der Acsängnißinspector rcdete mir zu und sagte zu mir;
Gestehen Sie doch ein, mein lieber Herr Heine (Lachen rechts):
denken Sie an Jhre Jrau und Kinder, Sie kommen aus dieser
Zelle nicht eher heraus, bis Sie nicht gestanden haben. Und der
Gesängnißwärter sagte auch: Was soll daraus werden? Es
bleibt i.ichts übrig: kriechen Sie zu Kreuz. Jch war deshalb
gezwungen, wahrheitSgeniäß zu gestehen, daß ich diese Wurst von
meiner Frau während ihres Besuches zugesteckt erhalten hatte."
Dagegen bekundete der Gefängnißinspector am
Dienstag eidlich, daß er ausdrücklich dem Heinc
bei seinem Zureden gcsagt habe, daß bci fernerer
Weigerung dcr Verdacht auf eiuem der Beamten
ruhen bliebe.
Selbst die Freisinnige Zeitung mnß zugeben, daß
festgcstellt sei, wie der AbgeordneteHeine die Vorgänge
im Gesängniß „erheblich übcrtriebcn", nnd, wie es
sich für dcn Staatsanwalt lediglich „um Maßnahmen
zur Aufrechtcrhaltung der Disciplin" gehandclt und
das Strasverfahren gegen Hcine nnr „in der crregten
Phantasie des Gefangenen" bestanden habe.
Man hat also wicder cinmal die Erfahrung gc-
macht, daß die svcialdcmokratischen „Führer"' die
^ Zm ZZanne der Schutd.
Nach dem Englischcn der Mrs. Niddell.
Bearbeitet von Constanze Baronesse von Gaudy.
(54. Fortsetzung.)
Wieder ging der Doctor zur Thür, schon hatte
er die Hand auf die Klinke gelegt, gfs xx sich besann
und umkehrte. Sie warf einen verstohlenen Blick auf
ihn, als er dicht an ihre Seite trat, dann, wie über-
rascht, faßte sie mit beiden Händen die Armlehnen
ihres Stuhles, und sah ihn mit entsetzten, glanzlosen
Augen an.
„Aengstigen Sie sich mcht," sagte er sanst, sanfter,
als er jcmals zu ihr gesprochen in jenen längst ver-
gangenen Tagen in Stratford. „Jch wollte Sie
nur über eine Quelle Jhrer Bcsorgniß beruhigcn.
Die Frage, welche Sie soeben an mich richtcn wollten,
ist, wcnn ich mich nicht sehr irre, die, ob ich mich
Jhrer nicht erinncre. Nein, nein, lassen Sie das,"
fuhr cr fort, als sic ihr sündiges Gesicht mit den
Hünden bedeckte; „Jhr Geheimniß ist bci mir sicher
aufgehoben. Jch würde mich schlecht für meinen
Beruf eignen, wenn ich nicht unter Umständen
stumm, taub und blind gegen Alles scin könnte, was
nicht zu dem Zustande meines Patienten gehört."
Sie zog die Hände vom Gesicht und streckte sie
laut weinend nach ihm aus.
„Hclfen Sie mir! Helfen Sic mir!" rieif sic.
Aber das war mehr verlangt, als er zu erfüllen be-
absichtigte.
Mit geringer Höflichkeit machte er seine Hände
von den ihrigen frei und dann, wie halb beschämt
über sein Ungestüm, blieb er schweigend vor ihr stehen,
während sie klagend sagte:
„Ach, Sie haßten mich von jeher!"
„Jch fühlte nie Zuneigung sür Sie," sagte er,
,,aber gerade aus diesem Grunde dürfen Sie mir
vertrauen. Wären Sie auch fiinfzig Mal Lady
Moffat, würde ich Sie dcunoch bedauern.
„Jch bin Lady Moffat!" rief sie aus. „Was
wollen Sie mit den Worten sagen, wenn ich es nicht
wäre?"
Er schüttelte traurig den Kopf.
„Sprechen wir nicht darüber," sagte er. „Was
Sie auch sind oder sein mögen, das gilt mir gleich.
Wenn Sie glauben, daß ich Jhnen güt thun wcrde,
will ich wiederlommen, wenn nicht, so sagen Sie es,
und ich bleibe fort. Jhre Jdentität mit einer Dame,
die ich in jüngeren Jahren gekannt habe, werde ich
nicht verrathen. Leben Sie wohl." Er reichte ihr
die Hand, um zu gehen.
Viellcicht aus dicsem Umstande schöpfte sie Arg-
wohn.
„Was meinten Sie damit," fragte sie, „als Sie
annahmen, ich sei nicht Lady Moffat?"
„Durchaus nichts," versctzte cr. „Jch bin gern
bereit, Sie für das zu nehmen, wofür Sie stch aus-
geben. So lange man mir dic Behandlung Lady
Moffats anvertraut, besuche ich Lady Moffat.
Wünschen Sie nicht, daß ich wiederkomme, so bleibe
ich fort."
„Nein, es wäre niir lteber, Sie kämen wieder,"
sagte sie nach einer kurzen Pause, „obgleich ich wohl
wissen möchte, „welch' ein böser Wmd Sie nach
Kensington geführt hat?"
„Jch käm einfach her, um hier die Praxis meines
Vctters zn versehen, während er krank in meinem
Wohnorte ist."
„Seit wir dieses Haus gckauft haben, habc ich
keincn Tag Ruhe genossen," bemerktc sie matt,
„niemals, niemals, niemals. Jch wollte, Palace
Gardens hättc klaftertief unter der Erde begraben
gclegen, ehc wir es gekannt."
„Sie haben um einen sehr hohen Einsatz
gespielt."
„Und verloren," erwidcrte sie, „und vcrloren."
„Wenn ich mir erlauben dürfte, Jhnen einen
Rath zu gebcn, —" er zögerte.
„Fahren Sie sort, sagen Sie Alles, was es auch
sein mag."
„So würde ich an Jhrer Stelle Sir John Alles
bekennen, was mein Gemüth belastete."
„Zu spät!" ries sie verzweiflungsvoll aus. „Zu
spät, es ist zu spär!"
„Wenn Sie mir bis dahin keine Botschaft sendeu,
wcrde ich Sie morgen wieder besuchen," sagte Doctor
Dilton. „Jch werde Jhnen sofort etwas schicken,
was Jhnen wohl thun wird."
Und ohne sich weiter zu verabschieden, verließ er
das Zimmer. Vor der Thür blieb er einen Augen-
Atittwvchs: „Blatter fnr Landwirthschaft rc."; Sonnabcnds: „Jllnstrirtes
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holen von der nächsten Postanstalt 3 15 S>, bei der Expedition, für Hameln
frci ins Haus, 2 50 Z>. Einzelne Nummern 10 S>.
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Preis ftir Jnserate aus der Stadt Hameln 10 -ö, von auswärts 15 H die
Corpuszeile oder dcren Raum. Reclamen die breite Zeile 30 A>.
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Annoncen-Büreaus.
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Nr. 18«.
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Weserzeitung fnr die Monate August nnd
September werden von allen Postanstalten
zum Preise von 2 Mk. 4« Pfg„ bei Abholen
von der nächsten Postanstalt zum Preise von
S Mk. 1v Pfg», für die Stadt Hameln in
der Expedition, Osterstraste 1«, zum Preise
von 1 Mk. 7« Pfg. angeuommeu.
^ Das „erpreßte Geständmß".
Am 12. März 1886 flocht der socialdemokratische
Abgeordnete Heine in eine Reichstagsrede eine
Schilderung aus seiuemGefängnißleben ein, welche die
schwersten Beschuldigungen gegen die Gefängniß-
verwaltung in Halberstadt, insliesondere gegen den
Staatsanwalt Schöne enthielt. Letzterer wurdc ver-
dächtigt, sich ganz unerlaubter Mittel bedient zu habcn,
um von dem Gefangenen Heine ein Gcständniß übcr
vorgekommene Durchsteckereien zu „erpressen". Die
„FreisinnigeZeitung" beeilte sich, diese Beschuldigungen
gegen die preußischc Justizpflege außerhalb des Parla-
mentsberichts noch cxtra in einem Artikel ihren Lesern
vorzusetzen und sie mit dcr Bcmerknng zu versehen,
der Justizminister dürfe nicht dulden, daß Justizbeamte
Geständnisse zu erpressen suchen und, wenn die An-
gaben wahr scien, müsse gegen dcn Staatsanwalt
Anklage crhoben werden. Allerdings wurde nun An-
klage erhoben, aber nicht gegen den Staatsanwalt,
sondern gegen die „Frcisinnigc Zeitnng" wegen
Beamtenbcleidigung. Das Blatt berief sich zwar
durauf, daß wahrhcitsgetreue Preßbcrichte über Par-
lamentsverhandlungen straflos seien, indessen das Ber-
liner Landgericht erkannte am vorlctzten Dienstag nach
dcr Beweisanfnahme über die Wahrheit derHeine'schen
Angaben auf ciue Geldstrafc von 500 wegen Be-
leidigung des Staatsanwalts Schöne, weil einmal die
„Freisinnige Zeitung" die Rede Heine's mit eincr
Kritik versehe» habe, in Folge dessen der Artikel nicht
sowohl ein Bild der Verhandlungen gebe, als viel-
mehr in beleidigendcr Weise die in der Verhandlung
vorgebrachten Gedanken verbreite, und weil zweitens
die Angaben Heines' nicht wahr seien.
Wir wollen hier auf die Rechtsfrage nicht näher
eingehen. Der Proceß bietet nach einer andern
Richtung ein viel größeres Jnteresse, in politischer
Beziehung nümlich. Dcr Hauptangeklagte in diesem
Processe war eigentlich gar nicht die „Freisinnige
Zeitung", sondern der Abg. Heine, welcher nach der
Beweisaufnahme schwer belastet erscheint. Wirklich
angeklagt konnte er nicht werden, da nach der Ver-
fassung Parlamentsredeu dem richterlichen Urtheil
nicht unterliegen können.
Am 12. März 1886 sagte der Abg. Heine im
Reichstage:
„Die Sache ist einsach die, daß bei mir während einer sechs-
monatlicher Strashast cin Stück Wurst gefunden wurde m meiner
Zelle, und daß insolge dessen eine Anklage gegen mich crhoben
wurde wegen Beamtenbestechung — eine Strasthat, welche
mit sünf Jahr Gefängniß im Maximum bestrast wird. Nachdem
diese Anklage crhoben worden war, und nachdem ich jede Aus-
sage in der Voruntersuchung darüber verwcigert hatte, wie ich in
den Besitz dieicr Lturst gekommen war, wurde von dem Herrn
Staatsanwalt Schöne angeordnet, daß ich in eine sogenanntc
Arrestzelle gesperrt wurde, iu welche sast keinTageslicht Lrang,
in welcher selbst unter Mittag es mir sast nicht möglich war,
ohne Licht zu lesen."
Vor dem Strassenat, wo man die Worte freilich
andcrs wcigen muß als im Reichstage, sagtc dcrsclbe
Abgeordnete am Dienstag aus: „Jch bin von
den Beamten stets freundlich und human behandclt
worden, die Behandlung, die mir vom Gesängniß-
inspector und den Aufsehern zu Dheil wurde, kanii ich
nur als eine anständige bezeichnen." Aus der Beweis-
aufnahme ging ferner hervor, daß nicht ein Mal, son-
dern drci Mal Durchskckereien, nicht bloß von Wurst,
sondern auch von Geld, vorgckommcn waren; ferncr,
daß eine Untersuchnng wegeri Beaintcnbestechung über-
haupt nicht eingeleitet, sondern Heine nur darüber
vernommen wurde, wie und von wem er die verbotcnen
Dinge zugesteckt erhalten habe; endlich daß Heine nicht
in eiuc Arrestzellc, sondern nur in eine andere Zclle
gebracht worden ist, wclche für Durchsteckereien wenigcr
günstig gclegcn war.
Äm 12. März bcschrieb der Abgeordncte Heine
die eine Zelle wie folgt:
„Diese Zelle war so eng, daß, nachdem die nothwendigen
Utensilien darin placirt waren, ich leine drei Schritte Larin gehen
konntc, und daneben lag ein schwerer Verbrecher an zwei Ketten,
39. Jahrg.
welche alle Tage umgelegt wurden, durch welches Ketteugerassel
natürlicheriveise mein Nervensystem surchtbar in Anspruch ge-
nommen wurde. Noch mehr: es kam so weit, daß, da ich schon
als krank angesehen und von dem Herrn (Lcfängnißarzte als
krank geführt wurde, meine Krankheit so zunahm, daß ich sort-
während an Schwindelanfällen litt uud zu Boden fiel. Es war
mir uicht möglich, zur Freistunde hinauszugehen, ohne mich erst
eine ganze Weile festzuhalten und meine Augen erst an das Licht
zu gewöhnen."
Am Dienstag wollte derselbe Abgeordnetc
überhaupt nur vermuthet haben, daß es eineArrest-
zelle sei: jetzt hat er sich nur „einige Malc" an das
Tageslicht gewöhnen müssen, jetzt bcsinnt er sich auch,
daß der schwere Verbrecher nicht nnmittelbar ueben
ihm cingesperrt war. Jetzt stcllt sich auch durch die
übrigen Zeugen heraus, daß die Zclle genau so wie
nvch 5 andere beschaffen, und daß eine andere über-
haupt nicht leer war, sowie auch, daß Heine nicht ein
einziges Mal Beschwerde iu Halbcrstadt geführt, son-
dern gewartet hat, bis er auS dem Gefängniß heraus
war, um seiue unwahren Angriffe gegen die Beamten
zu richten.
Am 12. März schilderte der Abgeordnete Heine
seine verzweifelte Lage also:
„Der Acsängnißinspector rcdete mir zu und sagte zu mir;
Gestehen Sie doch ein, mein lieber Herr Heine (Lachen rechts):
denken Sie an Jhre Jrau und Kinder, Sie kommen aus dieser
Zelle nicht eher heraus, bis Sie nicht gestanden haben. Und der
Gesängnißwärter sagte auch: Was soll daraus werden? Es
bleibt i.ichts übrig: kriechen Sie zu Kreuz. Jch war deshalb
gezwungen, wahrheitSgeniäß zu gestehen, daß ich diese Wurst von
meiner Frau während ihres Besuches zugesteckt erhalten hatte."
Dagegen bekundete der Gefängnißinspector am
Dienstag eidlich, daß er ausdrücklich dem Heinc
bei seinem Zureden gcsagt habe, daß bci fernerer
Weigerung dcr Verdacht auf eiuem der Beamten
ruhen bliebe.
Selbst die Freisinnige Zeitung mnß zugeben, daß
festgcstellt sei, wie der AbgeordneteHeine die Vorgänge
im Gesängniß „erheblich übcrtriebcn", nnd, wie es
sich für dcn Staatsanwalt lediglich „um Maßnahmen
zur Aufrechtcrhaltung der Disciplin" gehandclt und
das Strasverfahren gegen Hcine nnr „in der crregten
Phantasie des Gefangenen" bestanden habe.
Man hat also wicder cinmal die Erfahrung gc-
macht, daß die svcialdcmokratischen „Führer"' die
^ Zm ZZanne der Schutd.
Nach dem Englischcn der Mrs. Niddell.
Bearbeitet von Constanze Baronesse von Gaudy.
(54. Fortsetzung.)
Wieder ging der Doctor zur Thür, schon hatte
er die Hand auf die Klinke gelegt, gfs xx sich besann
und umkehrte. Sie warf einen verstohlenen Blick auf
ihn, als er dicht an ihre Seite trat, dann, wie über-
rascht, faßte sie mit beiden Händen die Armlehnen
ihres Stuhles, und sah ihn mit entsetzten, glanzlosen
Augen an.
„Aengstigen Sie sich mcht," sagte er sanst, sanfter,
als er jcmals zu ihr gesprochen in jenen längst ver-
gangenen Tagen in Stratford. „Jch wollte Sie
nur über eine Quelle Jhrer Bcsorgniß beruhigcn.
Die Frage, welche Sie soeben an mich richtcn wollten,
ist, wcnn ich mich nicht sehr irre, die, ob ich mich
Jhrer nicht erinncre. Nein, nein, lassen Sie das,"
fuhr cr fort, als sic ihr sündiges Gesicht mit den
Hünden bedeckte; „Jhr Geheimniß ist bci mir sicher
aufgehoben. Jch würde mich schlecht für meinen
Beruf eignen, wenn ich nicht unter Umständen
stumm, taub und blind gegen Alles scin könnte, was
nicht zu dem Zustande meines Patienten gehört."
Sie zog die Hände vom Gesicht und streckte sie
laut weinend nach ihm aus.
„Hclfen Sie mir! Helfen Sic mir!" rieif sic.
Aber das war mehr verlangt, als er zu erfüllen be-
absichtigte.
Mit geringer Höflichkeit machte er seine Hände
von den ihrigen frei und dann, wie halb beschämt
über sein Ungestüm, blieb er schweigend vor ihr stehen,
während sie klagend sagte:
„Ach, Sie haßten mich von jeher!"
„Jch fühlte nie Zuneigung sür Sie," sagte er,
,,aber gerade aus diesem Grunde dürfen Sie mir
vertrauen. Wären Sie auch fiinfzig Mal Lady
Moffat, würde ich Sie dcunoch bedauern.
„Jch bin Lady Moffat!" rief sie aus. „Was
wollen Sie mit den Worten sagen, wenn ich es nicht
wäre?"
Er schüttelte traurig den Kopf.
„Sprechen wir nicht darüber," sagte er. „Was
Sie auch sind oder sein mögen, das gilt mir gleich.
Wenn Sie glauben, daß ich Jhnen güt thun wcrde,
will ich wiederlommen, wenn nicht, so sagen Sie es,
und ich bleibe fort. Jhre Jdentität mit einer Dame,
die ich in jüngeren Jahren gekannt habe, werde ich
nicht verrathen. Leben Sie wohl." Er reichte ihr
die Hand, um zu gehen.
Viellcicht aus dicsem Umstande schöpfte sie Arg-
wohn.
„Was meinten Sie damit," fragte sie, „als Sie
annahmen, ich sei nicht Lady Moffat?"
„Durchaus nichts," versctzte cr. „Jch bin gern
bereit, Sie für das zu nehmen, wofür Sie stch aus-
geben. So lange man mir dic Behandlung Lady
Moffats anvertraut, besuche ich Lady Moffat.
Wünschen Sie nicht, daß ich wiederkomme, so bleibe
ich fort."
„Nein, es wäre niir lteber, Sie kämen wieder,"
sagte sie nach einer kurzen Pause, „obgleich ich wohl
wissen möchte, „welch' ein böser Wmd Sie nach
Kensington geführt hat?"
„Jch käm einfach her, um hier die Praxis meines
Vctters zn versehen, während er krank in meinem
Wohnorte ist."
„Seit wir dieses Haus gckauft haben, habc ich
keincn Tag Ruhe genossen," bemerktc sie matt,
„niemals, niemals, niemals. Jch wollte, Palace
Gardens hättc klaftertief unter der Erde begraben
gclegen, ehc wir es gekannt."
„Sie haben um einen sehr hohen Einsatz
gespielt."
„Und verloren," erwidcrte sie, „und vcrloren."
„Wenn ich mir erlauben dürfte, Jhnen einen
Rath zu gebcn, —" er zögerte.
„Fahren Sie sort, sagen Sie Alles, was es auch
sein mag."
„So würde ich an Jhrer Stelle Sir John Alles
bekennen, was mein Gemüth belastete."
„Zu spät!" ries sie verzweiflungsvoll aus. „Zu
spät, es ist zu spär!"
„Wenn Sie mir bis dahin keine Botschaft sendeu,
wcrde ich Sie morgen wieder besuchen," sagte Doctor
Dilton. „Jch werde Jhnen sofort etwas schicken,
was Jhnen wohl thun wird."
Und ohne sich weiter zu verabschieden, verließ er
das Zimmer. Vor der Thür blieb er einen Augen-