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Das 500jährige Jubiläum der Heidelberger Universität im Spiegel der Presse: Hannoversches Tagblatt — 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.17426#0001
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^ WoUtische Nachrichten.
Dentsches Neich.

* Berlin, 20. August. (Der Kaiser.) Ob«
wohl die Zeit der heutigen Ankunst des Kaisers vor-
her nicht bekannt gemacht war, hatte stch dennoch
ein recht zahlreiches Publikum vor dem Potsdamer
Bahnhose! angesammelt und begrüßte den beliebten
Herrscher in der herzlichsten Weise. Der Kaiser sah
sehr wohl aus und wurde nicht müde, nach allen
Eeiten hin für die ihm gespendeten Grüße freundlich
zu danken. Während er sonst den Weg durch die
Königgrätzerstraße und das Brandenburger Thor zu
wählen pflcgte, fuhr er heute durch die Leivziger
Straße, um gleich bei seiner Nückkehr das von der
Newyorker LLbensversicherungsgesellschaft an der Ecke
der Wilhelmstraße errichtete Prachtgcbäude, das mit
seinen farbigen Glasmosaiken cine Sehenswürdigkeit
ersten Ranges ist, in Augenschein zu nehmen. Der
Kaiser begab sich direct in sein Palais, wo er die
während seiner Abwesenheit ausgeführten baulichen
Veränderungen besichtigte und verschiedene Borträge
entgegennahm. Ein große Menschenmengc umstand
Stunden lang das Denkmal Friedrichs des Großen
in der Hoffnung, den Kaiser an seinem historischen
Eckscnster erscheiiien zu sehen. Diese Hoffnung wurde
erst gegen 3 Uhr erfüllt, als die Wachtparade, die
wcgen dcs großen Exercicrens zwei Stunden später
als sonst aufzog, vorbei kam. Der Kaiser zeigte sich
am Fenster seines Arbeitszimmers und wurde mit
begeisterten Hochrufen begrüßt. Als bald darauf
eirie Compagnie des Kaiser-Franz-Regimcnts mit der
Regimentsmusik anrückte, um die Fahne abzuholen,
zeigte sich der Kaiser wiederum längere Zeit. Tau-
seiide hatten sich inzwischen vor dem Palais ange-
sammelt und brachten dem Monarchen stürmische
Huldigungen dar, wofür derselbe in seiner leutseligen
Weise dankte. Die Fahnen, die während der geg'en-
wärtigen Uebungen auf dem Tempelhoser Felde be-
nutzt 'werden, wurden bis zur Rückkehr des Kaisers
in die Wohnung des betr. Regiments-Commandeurs
gebracht.

(Der Nachfolger desBarons vonCour-
cel in Berlin.) Äus Kreisen, die mit der hiesigen
französischen Botschaft in Verbindung stehen, verlautet,
daß nunmehr der Londoner Botschafter Waddington
zum Nachfolger des Barons de Courcel bestinimt sei.
Es soll auch bereits bei der dcutschen Ncgierung ver-
traulich angefragt worden sein, ob ihr dieser Vertreter
der französischen Republik event. genehm sein würde.
Es unterlicgt keinem Zweifcl, daß die Antwort unbe-
dingt bejahend lauten wird. Herr Waddington steht
hier' seit seiner Theilnahme am Berliner Congresse in
bestem Andenken und ist sicher, daß er überall das
größte Entgegenkommen finden wird. Es ist alle
Aussicht vorhanden, daß es dem Ministerpräsidentcn
de Freycinet gelingen wird, Waddington zur Annahme
des hiesigen Botschafterpostens zu bewegen. Jeden-
falls kann nian aus diesen Bemühungen cntnehmen,
daß der Leiter der französischen Politik ernstlich be-
strebt ist, qute Beziehungen zu Deutschland zu unter-
halten. Äls cventueller Nachfolger Waddington's in
London wird Gras Lefrcbvre de Behaine, der bisherige
Botschafter Frankreichs beim Vatican, aenannt.

(Die Commission zur Ausarbeitung des
deutschen bürgerlichen Gesetzbuches.) Der
Borsitzende der Commission für die Ausarbeitung des
Entwurfs eines deutschen bürgcrlichen Gesetzbuchs,
Wirkl. Geh. Rath Dr. Pape, welcher sich anfangs
Juli zum Kurgebrauch nach Homburg v. d. H. be-
geben hatte, ist gestern Abend wiedcr hier eingetrosfen.
Auch die Mitglicder der Commission, welche gleichfalls
nach Beginn der Ferienpause Erholungs- bezw. Bade-
reisen angetreten hatten, sind hierher zurückgekehrt und
wieder in Thätigkeit. Die regclmäßigen gemeinschaft-
lichen Sitzungen der Commmission werden dem Ver-
nchmen nach' jedoch erst anfangs Septembcr wieder
aufgenommen werden. Der Abschluß der Arbeiten
soll, wie bestimmt verlautet, um die Mitte des näch-
sten Jahres zu erwarten sein.

(Jcsuitengesetz.) Entgegen dem „Moniteur
de Rome" wird der „Natioiialzeitung" zuverlüssig
versichert, daß bei den Verhandlungen über die desi-
nitive Revision der kirchenpolitischen Gesetze die Auf-
hebung des Jesuitcngesetzes nicht in Frage gekommen sei.

PatsdittN, 20. August. (Ihre kaiserliche
Hoheit die Frau Kronprinzessin) hat mit

Auilletm.

Eutthront und verbannt.

Geschichtlicher Noman von Ewald Aug. König.

(35. Fortsetzung.)

Es ist kein Geheimniß, Mylord, erwiderte Mantel
mit einem tiesen Äthemzuge, der seine Befangenheit
verrieth, nur eine Bitte, die ich mir erlauben möchte,
an Sie zu richten. Wäre es Jhnen möglich, einem
jungen Mädchcn in einer christlichen Familie in
London ein Unterkommen zu verschaffen?

Sir Arthur Robinson ahnte sofort, daß dieses
junge Mädchen die Tochter des Kammerdieners wäre;
er erinnerte sich der Mittheilungen, die Seckcndorf
ihm gemacht hatte.

Das würde mir wolil nicht allzuschwcr werden,
sagte er voll freundlicher Herablasjung; bevor ich
aber eine bestimmte Antwort geben kann, muß ich
Jhre Gründe näher kennen, die Sie zu dieser Bitte
bewegen.

Das ist ein billiges Verlangen, fuhr Mantel
fort; ich habe mich dicser Gründe nicht zu schämen.
Die Bitte betrifft meine Tochter, die hinter meinem
Rücken sich von einem jungen Manne bethören ließ,
den ich nicht als meinen Schwiegersohn anerkennen
kann. Derselbe ist der Sekretär Jhrer Majestät.
Als ihr Schützling wird er mit ihr steigen, um dann
wieder eben so rasch zu fallen. Ich habe die Grafen
Struensee und Brandt geviertheilt auf dem Rade
gesehen, ich kenne auch das Schicksal ihrer Freunde;
vor jolchem Unglücke möchte ich mein einziges Kind
bewahren, und deshalb werde ich niemals die Hand
meiner Tochter einem Hofmanne geben.

Ich glaube, Sie gehen in Iyren Befürchtungm

Jhren königlichen Hoheiten den Prinzessinnen Victoria,
Sophie urid Margarethe heute Abend 7 Uhr die
Reise nach Jtalien angetreten. Se. kaiserliche und
königliche Hoheit der Kronprinz gab der Frau Kron-
prinzessin bis nach Großbeeren das Geleit.

* Schleskig, 20. August. (Verhaftung
von Socialdemokrateni) Gestern wurden di'e
hiesigen Führer der Socialdemokraten, Nagelschmid
und Schlichsing, verhaftet und der Staatsanwaltschaft
überwiesen.

* DrcsLen, 20. August. (Der Prinz Leo-
pold von Baiern) ist heute mit dem Adjutanten
Premierlieutenant v. Perfall und den Obersten Berg
und Malaise zur Theilnahme an den Btanövern hier
eingetroffen und im königlichen Schlosse abgcstieqcn.

" Münchc», 20. Aug'ust, (Dr. von Schmitt)
Mitglied der Reichscomniission für das Neichscivil-
rechh ist zum Oberlandesgerichts-Präsidenten in Nürn-
bcrg ernannt worden.

* Batzrcuts), 20. August. (Sc. kgl. Hoheit
Prinz Wilhelm) hat heute früh in Beglcitung
des Majors von Krosigk und dcs Legationssekretärs
Grafen zu Eulenburg die Sehenswürdigkeiten der
Stadt in Augenschein genommen. Im Laufe des
Vorniittags wird derselbe einer Uebung der 5. Jn-
fanteriebrigade auf dem Excrcierplatze bei'wohncn und
die Eremitage besuchen. Am Nachmittage gedenkt
Se. kgl. Hoheit der Vorstellung des „Paisifaw bci-
zuwohnen und Abends 10 Uhr abzureisen.

Oefterreich-LSngarn.

* Wicn, 20. August. (Serbische Anleihe.)
Die „Polit. Corresp." meldet aus Belgrad, der
serbische Finanzminister stehe wegen einer Änleihc auf
Grund von Eisenbahn-Annuitäten mit einem Ver-
treter des Comptoir d'Escomte in Unterhandlungen.

(Cholera.) Von gestern Mittag bis heute
Mittag sind in Tricst 16'Personen an der Cholcra
erkrankt und 3 gestorben.

Frankreich.

* (Die Eröffnung der frcnzösischen
Generalräthc) hat ohne irgend einen beiitt.kcns-
werthen Zwischenfall stattgefunden. Von 83 General-
räthen, welche zusammeng'etreten sind, besitzen 72 eine
republikanische und 11 eine conservative Majorität.
Die Itedcn der meisten Präsidenten gingen nicht über
die Aufforderung zum einträchtigcu'Ziisammenftehen
aller Republikaner hinaus. Nur Jules Ferry konnte
in seinem Vogesendepartement nicht umhin, wie das
vorige Mal, so auch jetzt eine etwas opportunistisch
gefärbte hochpolitische Rede zu halten. Er sagte
unter anderm: „Das allgemeine Stimmrecht,
welches früher mißbraucht werden konnte, ift majorenn
geworden; es hat sich bei den lehten Wahlen wahr-
haft conservativ gezeigt; es will aber auch die
Republik conserviren. Mögen die Monarchisten ihren
unsruchtbaren Protesten entsagen, niemand wünscht
mehr als wir die Bildung eincr starken, die Demokratie
mäßigcnd«! 'wnservativen Partei." Diefcr Aufruf zu
einer mit Hülfe der gemäßigten Monarchisten zu
bildenden republikanisch - conservativen Partei hat
indeß in den radicalen Kreisen von Paris, wie
man von dort meldet, eine nicht geringe Erbitterung
hervorgerufen.

* Paris, 20. August. (Tagesbericht.) Dcr
„Temps" erklärt die Nachricht, die in hiesigen Blättern
gebracht wurde, für unbegründet, daß Fränkreich dem
Vatican Vorschläge über die Art und Weise der Er-
nennung und über die Nationalität des päpstlichen
Bevollmächtigten für Peking gemacht habe; die Frage
stche noch auf demselben Punke wie bisher und die
Verhandlungen dauerten fort.

Der italienische Botschafter in Paris ist auf Ur-
laub nach der Schweiz abgereist. Waddington ist
heute nach London auf seine'n Posten zurückg'ekehrt.

900 Arbeiter der Porzellanfabrik Mähun-sur-Bävre
im Departcment Cher bei Vierzon haben die Arbeit
eingestellt.

Grosibritamrien.

"(DasirischeProgrammderRegierung)
wird zugleich ein festes und ein reformfieundliches
sein. Die amerikanischen Jrländcr gefallen sich bis
jctzt dem conservativen Cabinet gegenüber in Dro-
hungcn, die aber wohl mehr demonstrativ als ernst
gem'eint zu sein scheincn, da von der Nationalliga
dieDynamitpolitikausdrücklich perhorrescirt worden ist.

* LonÄoik, 20. August. (Unterhaus.) Unter-
staatssekretär Fergusson erklärt in Beantwortung einer
Anfrage, das Gerücht von einer Befetzung von Port
Lazare durch die Russen sei ein durchaus unbestätigtes,
der russische Minister von Giers habe dasselbe'am
25. v. M. sür unbegründet erklärt. Die Adreßdebatte
wurde hicrauf durch den Deputirten O'Connor
fortgesetzt.

Jtalien.

* (Ruhestörungen.) In Palermo herrscht scit
mehreren Tagen eine neue Cholera-Panik. Ein
Volkshaufe, der von Gasse zu Gasse anwuchs, zog
vorgestern vor das Munizipium und verlangte
energifchen Schutz gegen die drohende Gefahr. Äuf
die ausweichende Antwort des Bürgermeisters, welcher
erklärte, die Weisungen der Regie'rung abwarten zu
müssen, brach die Menge in Verwünschungen aus,
schleuderte Steine gegen das Rathhaus ünd zer-
trümmerte sämmtliche Fenster. Sodann zog der
Haufe durch die Stadt, erzwaug die Schli'eßung
sämmtlicher Gewölbe und die Näumung der Kaffee-
und Gasthäuser, warf überall die Fenster ein und
drang schließlich auf die auf dem Hauptplatze concer-
tirende Militaircapelle ein und zwang dieselbe zum
Rückzuge in die Kaserne. Der Bürgermeister requirirte
militairische Hülfe, da er weitere Ausschreitungen
erwartete.

* Rom, 20. August. (Feuer.) Jm Arsenale
von Castcllamare bei Neapel brach heute in dem Bau-
gerüste des Schiffes „Umberto" eine Feuerbrunst aus,
welche den Hintertheit dieses Schiffes zerstörte. Der
dadurch angerichtete Schaden wird auf 800,000 Fr.
gcschätzt.

Schwerz.

" Bcr», 20. August. (Gegen die Cholera.)
Anläßlich der drohenden Ausbreitung der Cholera in
Oberitalien ließ der Bundesrath die üblichen cholera-
polizeilichen Maßregeln sofort in Kraft treten, er-
neuerte die früheren bezüglichen Vorschriften für den
Gotthard-Bahnvcrkehr, für die Dampfschifffahrten
auf dem See von Lugano und für die Postfahrten,
untersagte die Durchfuhr von ungebeizten Häuten,
ungewaschener Wolle, Hadern, alten Kleidern und
Reisegeväck. Ausgenommen von letzterem Derbot ist
nur dack Gepäck,' das Reisende auf der Fahrt von
Jtalien nach der Schweiz initführen.

Niederlanöe.

* AmsterLlim, 19. August. (Die Anwer-
bungen für das niederländisch-indische
Heer) werden im Augenblick sehr energisch beirieben.
Än allen öffentlichen Plätzen, besonders an den Post-
gebäudcn und allen Briefschaltern, sind große An-
schlagzettel angebracht, in welchen die Bedingungen,
unter denen man in den Colonialdienst treten känn,
bekannt gemacht werden. Das Handgeld beträgt
nunmehr 300 Gulden und die Werbeprämie für den
Kopf 10 Gulden. Man scheint also doch einiger-
maßen zum Bewußtsein gekommen zu sein, daß das
Heer verstärkt werdeu müsse.

Schweden und Norwegen.

* Stockholm, 20. August. (DerKönig von
Portugal) ist heute Vormittag hier angekommen
und vom König, dem Kronprinzen, den Prinzen
Oscar und Eugen und von dcn Spitzen der Be-
hörden am Bahnhofe, wo eine Ehrencompagnie auf-
gestellt war, empfangen worden. Nach kurzem
Aufenthalt suhren die hohen Herrschaftcn, von zwei
Escadrons Husaren begleitet, nach dem königlichen
Schlosse. Die Straßen und viele Gebäude waren
festlich geschmückt.

Türkei.

*(Unterhandlnngen zwischen derPforte
und Serbien.) Einige türkische Blätter hatten
kürzlich behauptet, daß zwischen der Pforte und Ser-
bien Unterhandlungen betreffend den Abschluß eines
Auslieferungsverträges im Zuge seien. Aus autheii-
tischer Quelle kann jedoch die „Pol. Corr." dieses
Gerücht als gänzlich unbegründet bezeichnen. Die
einzigen Unterhandlungen, welche derzeit zwischen der
Psorte und Serbien geführt werden, betreffen den
Äbschluß einer Consular-Convension, und dicse
nehmen, wie bereits constatirt wurde, einen sehr
schleppenden Verlauf, indem nur einmal wöchentlich
Sitzungen der beidcrseitigen Bevollinachtigten statt-
finden. Bisher hat man sich blos über das Prinzip

der Neciprocität geeinigt und es handelt sich nun-
mchr darum, eine präcise Definition für die Stcvung
der Consularagenten zu finden, was besonders aus
dem Grunde Schwierigkeiten bietet, weil hierbei von
den Capitulationen abgesehen werden muß.

(Räubereien der türkischen Grenz-
Kurden.) Die türkischen Grenzkurden haben neuer»
dings räubensche Einfälle auf russisches und per-
sisches Gebiet verübt, was Reclamationen der Pcters-
burger und der Teheraner Negierung in Konstan-
tinopel zur Folge hatte. Die Pforte hat daher dem
Gouvcrneur von Erzerum den Befehl ertheilt, die zur
Unterdrückung der kurdischen Ausschreitungen noth-
wendigen Maßregeln zu crgreifen.

Amerika.

* Wiishington, 19. August. (Einberufung
von Schatzbonds.) Das Schatzamt hat fünfzehn
Millioncn Dollars dreiprocentige Schatzbonds von
1882 einberufcn. Die Derzinsung dcrselben hört mit
dem 1. October c. auf.

"Monicvidro, 20. August. (Beide Kammern)
votirten eine Ädresse an dcn Präsidenten, in welcher
der Entrüstung über das Attentat Ausdruck gegcben
wird. Anläßlich des Attentats wurden gegen 50
Personen verhastet.

Eine Heidelberger Jubiläumöfeier
in den v»er Wänden.

Das Iubclfcst hat begonncn; verlockcnd ist der Ruf der
Llinr» ms.tsr ain Aeckarstrandc in alle Wclt hinausgcdrunaen;
mau sollte glaubeu, vcrjüngend wie cin Zaubcrtrank müfsc er
allen ihren Züngcrn in dic Glieder gefahrcn sein, und keiner,
keiner dnrfe in den der Freude gewidmeten Augnsttugen ti»
Heidelbcrg fehlcn. Aber doch, wcnn in der riesigen Fcsthall?.
nach Semestern Apcll gchalten würde, wie viele würdcn bciM
Ramcnsanfrnfe fchlcn! Richt nur dcr Tod hält seine Beute fe'
auch das Leben hält seiue Beute fest, auch dgs Lebcu iä
manchen trotz alles Freiheitöstrebens nicht los. Auch in diesei
Tagcu gilt der oft gesungcne Vers:

Da schreibt mit düsterm Angcficht
Dcr cine Relationcn,

Der andre senfzt bcim Untcrricht,

Und der macht Recensionen,

Der schilt die sünd'ge Seele aus,

Und der flickt ihr verfallnes Haus.

Und ach, bei wie manchem ist es der ganz gMcin^
unprogrammmüßige Mangel am nsrvus rörnm, der aller Eehnj
fucht ünzertrennliche Zügel anlegt. Hier und da im großen
Dcutschen Reichc und anch auherhalb seiuer Grenzpfähle, wy
immcr fich eine erlesene Schaar unabkömmlicher alter Hcidel»
berger Hcrren zusammengefundcn, mag sich wohl ein Kletn»
Heidelberg constitnirt habcn, und bei cinem der Würde deS
FcsteS cntsprcchcndcn Stoffc manch Glas auf das Wohl der
slms umtsr. auf die alten Zeitcn, die alteu Frcunde und die
altc Treue geleect worden sein. Abcr abseits der Verkehrsstraße,
verschlagen unter Böotier, ohne mitfühlendes Frcundesherz ii»
dcr Nähe, versaucrt in der Trctmühle dcs glcich-
förmigen Broderwerbs. wcr ist das? Wohin dcr Zngendmuth
und Thatendrang, der diestBrnst gcschwellt? wohin dasFeuer
der Augen, das so mauchcm Heidelbcrger Kinde ins Herz

^ ^iort dcr Schläger an der Wand, das CorpSbild mit dem
vcrgilbtcn Bande nnd dcm durchlöcher^»-Arevis, dem An-
denken an so manchenLandcsvater, find fie die
der alten Burschcnherrlichkeit? 3st unter dem Staube dcn
rinas die Wände vcrdeckendcn Büchcr alle Erinnerung an daS
lustigc Einst bearabcn?

'Es ist gleich Mitternacht: d!e trüb brennende Lampe vcr-
sagt fast den Dienst, aber über scine Hcfte gebeugt, mcrkt cS
der cifrigc OrdinarinS dcr Tertia nicht; es find die letztcn
Extcmporalia, ausschlaggcbcnd für die Dersctzung, die bis
morgcn noch eorrigirt wcrdcn müffen. Abcr dcr Haufcn wird
immer kleincr, die Feder fiiegt, ihr rother Saft cntleert sich in
immer unwilligeren Strichen am Rande der Heftc, und immer
strenger wird das Tod oder Lcbcn verkündcnde Urtheil. End-
lich das letzte! 24 Fehlcr! Pcssime! Armer Ultimus! Dcine
Hoffnung äuf Bcrsetzung ist vernichtet!

Erschöpft sinkt oer pfiichttreue Mann zurück. Er nimmt
die Brille ab und reibt die entzündcten Augen. Er grcist
nach demZcitungsblatte, um sich von der lanaweiligen Arbeit
etwas zu erholen. Da steht der erste Festbcricht mit dcr Ncde
des Kronprinzen. Frcudig bewcgt legt er das Blatt wicder
fort und vcrsinkt in tiefes Rachsinncn.

Was ist ihm? Uehcrmannt ihn der Schlaf?

Nein, es regt sich, seinc Augcn starrcn unverwandt in
dcn rothen Lichtkreis der erlöschcndcn Lampe. Aber
er sicht wohl lieblichere Bilder, dcnn sein gefurchtcs Antlih
erhcllt sich, und zuwcilen scheint ein Blitz aus den matten
Augcn. Ja, er ist wicdcr jung, scine Gcdankcn fiicgcn cück-
wärts und fübren ihn wcit, weit in ein schöneres Land und
glücklichere Zcitcn. Heidelberg! welche Erinnerungen wcckt der
Klang dieses Zauber'wortes in seiner Sccle!

Es war in dcr dumpfen Schulstube des Ghmnasiums
seincr Vaterstadt, als zum crsten Male der Name der be«
rühmtcn Univerfität sein Ohr traf und in dem jugendlich
empfünglichcn Knabengcmüthe eine Vorstellung befestigte, die
nie wiedcr daraus weichen sollte. Der verehrte Lehrer crrählte
mit vaterländischer Entrüstuug von den Gräueln der Raub-
kricge Ludwig's XlV., schildcrte die Verwüstung der Pfalz

doch zu weit, saqte der Lord; ein zweiter Struensee
wird sobald nicht wieder aufstehen, und was den
Sekretär Ihrer Majestät betrifft, I'o wird er wohl so
klug sein, in seiner bescheidenen Stellung zu bleiben.

Dicse Klugheit traue ich keincm zu, den die Hof-
sonne bescheint. Der eine steigt langsam, der andere
rasch, das ist der ganze Unterschied. Steigen will
jeder, der Herr Sekretär ist noch sehr jung, er will
es sicher. Es ist nicht meine Schuld, daß ich die
beiden jetzt trennen inuß; nur mit schwerein Herzen
lasse ich mcine Tochter in die Fremde ziehen. Jch
wollte sie Anfangs zu meinen Verwandten schicken,
aber ich fürchte, daß der Sekretär kühn genug ist,
sie dort heimlich aufzusuchen. Hingegen wenn sie
die Güte haben wollten, meine Bitte zu erfüllen
und jedem anderen den Aufenthaltsort meiner
Tochter zu verschweigen, so würde ich beruhigt sein.

Sir Arthur Robinson blieb einige Minuten in
Nachdenken versunken; er gedachte seiner eigenen hoff-
nungslosen Iugendliebe, und die Lust wändelte ihn
an, 'das junc;e Paar unter seinen Schutz zu nehmen.
Er konnte die Neigung dieser beiden jungen Menschen-
herzen prüsen, und erwies sie sich als edel, so wollte
er ihnen treu zur Seite stehen.

Kann Ihren Entschluß sonst nichts ändern?
fragte cr ernst.

Nichts, Mylord!

Und in welcher Eigenschaft soll Jhre Tochter
untergebracht werden?

Ich will das Jhrem Ermessen überlassen, ant-
wortete Mantel; meine Tochter ist in allen Dingen
geschickt, in der Küche sowohl, wie in allen Hand-
arbeiten; sie hat ein freundliches Wesen und auch
die nöthigen Schulkcnntnisse. Die englische Sprache
kennt sie freilich nicht, aber sie kann zur Noth fran-
zösisch sprechen und fie wird auch drüben die Landes-
sprache bald erlernen. Wenn es vrrlangt wird, bin

ich bereit, jährlich eine Summe Geldes zu zahlen, die
allerdings nicht groß sein dürfte —

Das wird nicht nöthig sein, unterbrach ihn der
Lord. Wer arbeiten will, braucht nicht Geld dazu
zu legen. Aber so rasch, wie Sie es vielleicht wün-
schcn, wcrde ich Ihre Bitte nicht erfüllen können; ich
muß heute noch abreisen, und Sie wissen, wie ge-
fahrvoll diese Reise ist. Jch darf die Derantwortuiig
nicht übernehmen, Jhre Tochter an diesen Gefahrcn
Theil nehmen zu laffen; zudcm muß ich auch vorher
drüben eine Unterkunft für sie gefunden haben.

Und wann gedenken Mylord zurückzukehren?

In fünf bis sechs Wochen, wenn ich drübcn
nicht lange aufgehalten werde.

Und dann würden Sie meine Tochter mit-
nehmeii?

Jch will es Jhnen versprechen.

Georg Mantel sah ein, daß er jetzt nicht rnehr
erreichen konnte; er nahm mit einer tiefen Verneigung
Abschied.

Eine Stunde später, als der Abend angebrochen
war, rollte der Wagen des französischen Käufmaiins
Julicn Leclerc zum Thore hinaus. Nachdem er in
anderer Richtung eine kurze Strecke weit gefahren
war, kehrte er wieder zurück, um die Sträße zum
Zahrendorfer Walde einzuschlagen.

7. Capitel.

Der Zahrendorfer Wald, der heute von der Bild-
fläche verschwunden ist, war zu jener Zeit ein dichtes
Nadelgehölz auf der Verkehrsstraße, die von Harburg
nach Celle führte. Jn diesem Walde stand ein Post-
haus, wo die Pferde gewechselt werden und die Rei-
senden sich mit Speise und Trank erfrischen konnten.
Selten übernachtete hier ein Reisender, welcher init
der Post ankam; dagegen blieben die Frachtfuhr-
werke und die Handwerksgesellen in der Regel in
diesem Hause über Nacht. Stand das Haus auch

einsam, jo herrschte doch immer Leben in ihm, und
wcr hier einkehrte, fand keinen Grund, sich zu be-
klagen, wcnn er nicht die Grobheit des Wirthes un-
vorsichtigerweise herausforderte.

Jn diesen Wald bog von der Harburger Seite
eines Morgcns ein Reiter ein, deffen Anblick einen.
furchtsamcn Wanderer wohl crschreckcn konnte.

Er trug hohe Stiefel mit mächtigen Sporen und
cinen kurzcn Rock von grobem Tuch. Dcr Schlapp-
hut war Üef in die Stirne gerückt, nnter welcher die
lebhaft funkelnden Augen nach allen Richtungen aus«
spähten; dcr lange Schnurrbart verlieh dem qe-
bräunten Gesichte einen martialischen Ausdruck. An
dem Ledcrgurt, den er um den Leib trug, hing ein
breiter Säbel; aus dem Gurt selbst ragten der Griff
eines Dolches und die Kolben zweier Pi'stolen hervor;
ebenjo enthielten die Satteltaschen zwei schwere Reiter-
pistolen.

Es war still und einsam in dem Walde. Nie-
mand bcgegncte dcm 'Reiter, der von Zeit zu Zeit
sein Pferd anhielt und sich in den Stcigbügcln
emporhob, um mit forschendem Blicke in die Ferne
zu schauen. Plötzlich vernahm er eiu rollendes Ge-
räusch, das sich näherte.

Cs wird die Postkutsche sein, murmelte er, von
jener Scite kann iiiein Mann nicht kommen. Teufcl,
wenn er schon dicse Strecke passirt hätte! Pah, ich
wcrd's im Posthause erfahren, dann jage ich ihm
nach; so rasch kann er nicht fahren, daß ich ihn nicht
einhole!

Wenn nur mein Kundschafter mich nicht falsch
berichtet hat! nahm er nach einer Weile sein Selbst-
gcspräch wieder auf, währcnd er scin Roß in einen
Scitenwcg hineinlenktc. Hier liege ich am Ende und
laure, während der Dogel mir auf einem andervrr
Wege entflieht.

(Fortsetzung solgt.)
 
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