Bestellrmgen
auf das „Tageblatt", rvelches mit
Ausnahme Montags täglich erscheint,
nehinen alle Kaiserl. Postämter zum
Preis von Mk. 2,10 ohne Zustel-
lnngsgebühr, sowie die Expedition
zu M. 2,25 frei ins HauS gegen
Vorausbezahlung, an.
nehmen auSivärtS all« Nnnoneen-
Büreaus, in Wilhelmshaven die
Expedition entgsgen, und ivird die
fünfgespalteneCorpuszeile oder deren
Raum für hiesige Znserenten mit
10 Pf., fiir Auswärtige mit 15 Pf.
berechnet.
Nedaktion u. ExpedMon: Krsllprivzelljtrllße Ar. 1.
Publikations-Organ für säMmtliche Kaiserliche, Kömgliche und stiidtiscke Behörden, sowie sür die Gemeinden Neustadt-Gödeus und Bant.
Nr-. 181.
Donnerstag, den 5. August 1886.
XII. Jahrgang.
Tagesüberfrcht.
Berlin, 3. August. Aus Gastein wird gemeldet: Se.
Majestät der Kaiser machte um drei Uhr dem hier einge-
troffenen Fürsten und der Fürstin Bismarck einen halbstündigen
Besuch.
Jn der Aula der Universität fand heute Mittag ein Fest-
act anläßlich des Geburtstages Friedrich Wilhelm's III. statt.
Als Vertreter des Hofes waren anwesend der Kammerherr
des Kaisers, Geh. Rath Graf Bernstorff, vom Cultusministe-
rium der Unterstaatssekretär Lucanus und Geh. Rath Althoff,
außerdem wohnten der Feier der Director der Museen, Geh.
Rath Schöne, der Kommandeur des Kadettenhauses und
andere hervorragcnde Persönlichkeiten bei. Die Feier begann
mit dem Gesang des Psalms: „Wohl dem, der ohne Wandcl
lebet", worauf der Rector Kleinert die Festrede hielt, worin
er die Beziehungen Friedrich's des Großen zur Universität
beleuchtete. An die Festrede schloß sich eine Mittheilung über
die Erfolge, Bewerbungen um Preisaufgaben und die Ver-
kündung neuer Preisaufgaben. Mit dem Gesang „Herr, ge-
denke unser nach Deinem Wortc" schloß die Feier.
Die Anwesenheit des Reichskanzlers in München wird
von den dortigen „N. Nachr." in einem Artikel gefeiert, der
mit den Worten schließt: Giebt uns Fürst Bismarcks An-
wesenheit hier doch eine neue Gewähr dafür, daß Baiern
unverbrüchlich und fest dem Leibe des deulschen Reiches einge-
fügt ist. Endiich hat unser geliebtes Vaterland die Stellung
errungen, die ihm einzig frommt, durch die es einzig der un-
seligen Jsolirung, der machtlosen Zwitterstellung entriffen wer-
den konnte, die es früher eingenommen. Als integrirender
Bestandtheil des dentschen Reiches, an deffen Entwickelung und
deffen Machtstellung es, unbeschadet seiner Selbstständigkeit,
den vollen ihm zukommenden Antheil hat, steht heute Baiern
als dcr zweitmächtigste Bundcsstaat des mächtigsten und ange-
sehensten Reiches der Welt da. Möge der Besnch des Reichs-
kanzlers dazu beitragen, das Bewußtsein des baierischen Volkes
von dieser Wandelung zu stärken und zu beleben, zum Heile
Baierns und Deutschlands! Und darum nvch einmal „Will-
kommen dem Rcichskanzler in München!"
Die socialistische Manifestation in Belgien am 15.
August beginnt den Behörden infolge der Amsterdamer Vor-
gänge wieder Besorgniffe zu bereiten. Man wird zwar die
Manifestation nicht verbieten, um den Ardeitern nicht neue
Ursache zu Agitationen zu geben, will abcr doch keine Maß-
regel versäumen, die Ruhe nnd Ordnung zu sichern. Jnfolge
deffen hat der bclgische Generalprocurator ein Rundschreiben
an alle Staatsanwälte des Königreichs gerichtet, um von diesen
übcr Zahl und Gesinnung der nach Brüssel kommenden Ar-
beiter unterrichtet zu werden. Diese Maßreget ist um so noth-
wendlger geworden, als der Züsammenhang zwischen den
Socialisten Nordfrankreichs, Betgiens und Hollands immer
deutlichcr zu Tage tritt. Die Seele der ganzen Bewegung
ist DOsuisseaux, der Verfasser des Volkskatechismus, welcher
gegenwärtig bekanntlich in Lille weilt, um dort die Berjährung
der gegen ihn ausgesprochenen Gefängnißstrafe abzuwarten.
Nach seiner im Blatte „En Avant" abgegebenen Erklärung
wird dieser Agitator 10 000 Demonstranten nach Brüffel
„schaffen".
Aus Brüffel depeschirt man der „Kreuzztg." unterm 2.
Aug.: „Der Gedanke, ein internationales Socialistengesetz zu
schaffen, gewinnt in Holland sichtlich Anhänger. Mehrere der
Regierung nahestehende Blätter rathen dem Minister des
Jnnecn, Dr. Heemskerk, einen derartigen Antrag den euro-
päischen Cabinetten zu unterbreiten." — Diese Nachricht be-
gegnet vielem Zweifel.
Die Moskauer Zeitung enthielt jüngst einen Artikel von
Katkoff, in welchem nahezu der Abschluß eines russisch-
französischen Bündnisses empfohlen wird. Der Köln.
Ztg. wird hierzu von Berlin geschrieben: Der Artikel findet
hier zwar eine gewiffe Beachtung, man ist aber nicht geneigt,
demselben eine thatsächliche Bedeutung beiznmeffen oder gar
an den bevorstehenden Abschluß eines solchen Bündnisses zn
glauben. Man braucht nnr daran zu erinnern, daß der fran-
zösische Botschafterposten in Petersbucg seit langcr Zcit unbe-
setzt und daß der Vertreter des Czaren zur Zeit nicht in
Paris weilt, um die Gewißheit zu erlangen, daß eS stch da-
bei nur um eine leere Drohung handelt. Wer damit geschreckt
werden soll, ist nicht recht ersichtlich; daß dcr Leiter der dent-
schen Politik die wirklichen Verhältnisse sehr kalten Blutes be-
rechnet und sich durch haltlose Drohnngen nicht ins Bockshorn
jagen läßt, dürfte doch in Pctersburg nachgerade ebenso be-
kannt sein wie in Moskau. Der Katkoff'sche Artikel erscheint
um so mehr als ein Lufthieb, als hier nach wie vor an der
Ueberzeugnng festgehalten wird, daß Rnßland vorläufig nicht
daran kenkt, stch vom deutsch - österreichischen Bündniffe zu
trennen, und daß die Begegnung des Herrn v. Giers mit dem
Fürsten Bismarck trotz der wiederholten Verzögerung dennoch
im Laufe dieses Mvnats erfolgen werde.
Das Resultat der am Sonntag in Frankreich voll-
zogenen Generalrathswahlen liegt nunmehr ziemlich vollständig
vor. Es sind bis heute 1401 Generalrathswahlen bekannt;
von den Gewähltcn gehören 829 den Republikanern, 402 den
Konservativen an. 170 Stichwahlen haben stattgefunden. Die
Republikaner habcn 69 Sitze gewonnen und 83 verloren.
Die Monarchisten haben akso bisher 14 Sitze gewonnen.
Der in hvlländischcn Diensten stehende englische Dampjer
„Hok Canton" aus Glasgow wurde auf der Reise von
Penang nach Atchin von 200 Seeräubern angegriffen, die stch
dem Schiffe in 3 Bootcn genähert hatten. Es cntspann sich
ein mörderischer Kampf, in welchem der Führer des Schiffes,
Kapitän Handson, der erste Jngenieur und der erste Steuer-
mann getödtet wurden. Die übrige Mannschaft wurde über-
wältigt und sammt der Wittwe des Kapitäns in die Gefangen-
schaft geschleppt. Die Seeräuber verlangen ein Lösegeld von
50 000 Dollars für die unglückliche Schiffsmannschaft. Die
holländischen Behörden in Atchin haben drei Kriegsschiffe und
400 Soldaten nach dem Schauplatze der Ausschreitnng ent-
sandt, um die Seeräuber zu verfolgen. — Die Affaire ist
geeignet, aufs Neue Differenzen zwischen England und Holland
heraufzubeschwören, denn schon frnher hat zu wiederholten
Malen wegen ähnlicher Vorgänge die englische Regiernng
encrgische Reklamationen erhoben, bezw. der holländischen Re-
gierung die Anwendung von energischen Maßregeln gegen die
dem Namen nach unter holländischer Oberhoheit stehenden
Atchinesen angedroht.
Das Jubelfest in Heidclberg.
I.
Anf ein halbes Jahrtausend rnhmvoller Geschichte blickt
in diesen Tagen das „stntiuin Ilsiässstsr^snss^, wie man
es zu scholastischer Zeit hieß, die Universttät, wie wir sie heute
nennen, zurück. Die Ruprecht-Carolinische ist die älteste unter
den Hochschulen des deutschen Reiches. Mit der lieblichen,
fröhlichen und gelehrten Stadt am Neckar, mit all' den vielen
Tausenden aus alle» deutschen Landen, die hier in geistiger
Arbeit und frohem Genießen Jahre sonniger Jugend verlebt
haben, feiert also das deutsch Reich dieses Fest als das
fünfhundertjährige Jubiläum seines Universttätswesens, als
einen ruhmvollen Erinnerungstag seines Geisteslebens.
Es war Rnprecht der Erste, der den Gedanken faßte, in
sciner schönen und getreuen Residenzstadt ein „stnäiuiii" zn
gründen, und dieser Plan stellte für die Verhältniffe der Zeit
und für die Person, von dem er ausging ein wahrhaft
staunenswerthes Unternehmen dar. Denn Ruprecht war doch
nur der Herr eines kleinen, wenn auch reichen Ländchens und
er war, wie er selbst bezeugte, ein gar ungelehrter Mann.
Aber einen rechten Blick hatte er dafür, daß der Geist eine
größere Macht und eine stärkere Waffe sein könne, als der
schärfste Stahl, und der ungelehrte Ruprecht hat stch durch
die Hochschule, durch „seine liebe Tochter", wic er sie hieß,
unsterblichen Ruhm erworben und ein segensreiches Fortwirken
auf die Geschlechter kommender Zeiten. Sein Geschlecht ist
längst erloschen, doch es lebt fort in den vielen tausend gei-
stigen Söhnen dieser seiner „lieben Tochter".
14 Der krnmme Daumen.
Roman von F. du Boisgobey.
(Fortschmig.)
„Und diese Feinheit war auch so etwas," fuhr Courapied
bitter fort, „das dem gewissenlosen Weibe, der Amanda gerade
gefiel. Er muß ihr ein nobles Leben haben in Aussicht stellen
können, daß ste ihm gefotgt ist."
„Wohin glauben Sie, stnd die Beiden von hier aus ge-
gangen?"
„Der Teufel soll mich holen, wenn ich eine Ahnung da-
von habe!"
„Sollten sie nicht bei ciner anderen Truppe Engagement
genommen haben?"
„Die Beiden?" Nimmermehr! Alle Truppen, die sinen
befferen Künstler gebrauchen und bezahlen können, besuchen die
nämlichen Märkte und Messen, nichts wäre also leichter, als
sie da wiederzufinden. Wenn nicht auf dem Markt von
Neuilly, würden wir sie auf dem von Saint Cloud oder einen
der anderen treffen. Nein, Zick-Zack wird sich gar so leicht
nicht finden laffen, und außerdem glaube ich überhaupt nicht
an ein solches Engagement. Amanda hat gewußt, was sie
that, als sie mitging, denn Amanda ist der Kunst überdrüsstg."
„Nun, und was dürften ste also begonnen haben? Sollten
sie in's Ausland gegangen sein?"
„Auch das nicht. Amanda liebt Paris zu sehr. Jch
habe so eine Jdee, als ob Beide hoch hinaus wollten und den
Plan haben, unter die Vornehmen zu gehen. Als Spieler
vielleicht, als Abenteurer, als Bauernfänger — was weiß ich
Es wird davon abhängen, wieviel Geld sie haben. Wieviel
hatte er von Jhnen gestohten?"
„Zwanzigtausend Francs."
„Oh, sehen Sie doch nur einmal an — ich sage Jhnen,
das ist wohl zwanzig Mal mehr als er braucht, um sich mit
ihr in ganz andere Leute zu verwandeln. Und Zcit erfordert
das ja auch nicht viel, wenn man Geld hat. Drei bis vier
Tage Zwischenzeit um seinen Plan vorznbereiten und die Sache
ist fertig."
„Jn dieser Zwischenzeit aber?"
„Jn dieser Zwischenzeit hat man sich in irgend ein kleines
und stilles Hotel garni zurückgezogen, vder in so ein Stückchen
Vorstadt von Paris, dort nach der 66tO äu tülioli/ hin oder
der Routö äs In, Rovolto — Gegenden, meine liebe Dame,
die Jhnen unbekannt sein werden, aber welche meine liebe
Amanda sehr gnt kennt. Es giebt keine beffere Gelegenheit
in der Welt als dort, wenn man ein Weilchen unbemerkt
logiren will . . . beim „Vater Rigolo" zum Beispiel, der nicht
nur Quartier, sondern auch AUes zur Hand hat, was man
braucht, um in kürzester Zeit ein anderer Mensch von Außen
zu werden. Er kleidet Jhnen Mann oder Weib von dem
Kopf bis zu den Füßen neu ein, ehe eine Viertelstunde Zeit
vergeht!"
„Gut. Suchen wir Zick-Zack in jener Gegend, von der
Sie sprechen."
„Wir? Sie, meine Dame? Ah, nicht doch! Das ist un-
möglich! Sie dorthin gehen! Sie würden nicht wieder zurück-
kommen! Wo denken Sie nur hin, wenn Sie das sagcn! Es
ist genug, wenn ich mich hinwage! Nicht einmal mit einem
kleinen Georget würde ich dorthin zu gehen unternehmen . . .
abcr bitte, entschuldigen Sie, wenn man vom Wolf redet, ist
er nicht weit, hier kommt mein kleiner Sohn!"
Camilla wandte den Kopf nach der Seite hin, nach der
Courapied's ansgestreckter Arm zeigte, und sah den Knabcn
herbeilaufen, den sie an jenem Abend in Bajozzokostüm auf
der Estrade bemerkt. Es war ein gutmüthiger, intelligent aus-
sehender kleiner Bursche von ctwa 12 Jahren mit frischrothem
Gesicht, blonden Haaren nnd in einem ärmlichen Leinwand-
Anzuge, zu groß und zu weit für seinen Körper, schmutzig und
zerrifferi in allen seinen Theilen. Der Knabe machte große
Augen, als er die mit seinem Vater sprechende vornehme Dame
erblickte, und unterbrach seinen Lauf, als sei er unschlüssig ob
er wagen dürfe näher zu kommen.
Camilla lächelte ihn freundlich an, um ihn zu ermuthigen
und Courapied rief ihm zu:
„Nur heran, mein Junge, komm' her! Alle Wetter, was
trägst Du da in dem Papier eingewickelt?"
„Brod, Vater, Brod, zum effen für Dich," sagtc der
Knabe mit gedämpfter Stimme. „Jch habe in einer Tabagie
die Kegel aufgesetzt und dafür einen Groschen bekommen. Da
bin ich hingelaufen und habe Brod gekauft — hier ist eS.
Für Dich allein; ich brauche nichts, ich habe wirklich keinen
Hunger."
„Bengel!" rief der Bajozzo gerührt und fuhr sich mit der
Hand über die Augen. „He, Du bist ein fleißiger Junge und
hast Dich zum Kegelaufsetzen angeboten, weil ein anderes En-
gagement fehlte; Du fütterst damit Deinen Vater, der still sitzt
und Dich hungern läßt. Komm' her, mein Junge, laß uns
theilen!"
Camilla nahm jetzt die Hand des wackeren Kleinen und
streichelte sein Gesicht. „Wie alt bist Du, mein Kind?" fragte
sie freundlich.
„Zwölf Jahr, meine Dame."
„Kannst Du lesen?"
„Jawohl — und schreiben auch," erklärte der Knabe eifrig.
„So hast Du also eine Schule besucht?"
„Nein, das nicht, meine Dame. Mama hat mir gelehrt
was ich kann."
„Ja, das stimmt," fügte Courapied kauend und mit dem
Kopf nickend hinzu. „Seine Mama, meine gute Selige, war
eine gescheidte Frau, die etwas gelernt hatte. Die Aermste
hat ihn unterrichtet so viel sie konnte."
„Jch werde Dir Deine Mama ersetzen, mein Kind," sagte
Camilla gütig. „Du hast ste wohl sehr geliebt?"
„Ach ja, meine Damc, von ganzem Herzen. Und ich
glaube, ich könnte Jhnen auch sehr gut sein."
Georget war schon ganz zutraulich geworden und blickte
zu dem jungen Mädchen, das ihm sehr zu gefallen schien, mit
einer Mischung von Herzlichkeit und Bewunderung auf.
„Dein Bater wird auch mit mir gehen," versetzte Camilla
auf das „Tageblatt", rvelches mit
Ausnahme Montags täglich erscheint,
nehinen alle Kaiserl. Postämter zum
Preis von Mk. 2,10 ohne Zustel-
lnngsgebühr, sowie die Expedition
zu M. 2,25 frei ins HauS gegen
Vorausbezahlung, an.
nehmen auSivärtS all« Nnnoneen-
Büreaus, in Wilhelmshaven die
Expedition entgsgen, und ivird die
fünfgespalteneCorpuszeile oder deren
Raum für hiesige Znserenten mit
10 Pf., fiir Auswärtige mit 15 Pf.
berechnet.
Nedaktion u. ExpedMon: Krsllprivzelljtrllße Ar. 1.
Publikations-Organ für säMmtliche Kaiserliche, Kömgliche und stiidtiscke Behörden, sowie sür die Gemeinden Neustadt-Gödeus und Bant.
Nr-. 181.
Donnerstag, den 5. August 1886.
XII. Jahrgang.
Tagesüberfrcht.
Berlin, 3. August. Aus Gastein wird gemeldet: Se.
Majestät der Kaiser machte um drei Uhr dem hier einge-
troffenen Fürsten und der Fürstin Bismarck einen halbstündigen
Besuch.
Jn der Aula der Universität fand heute Mittag ein Fest-
act anläßlich des Geburtstages Friedrich Wilhelm's III. statt.
Als Vertreter des Hofes waren anwesend der Kammerherr
des Kaisers, Geh. Rath Graf Bernstorff, vom Cultusministe-
rium der Unterstaatssekretär Lucanus und Geh. Rath Althoff,
außerdem wohnten der Feier der Director der Museen, Geh.
Rath Schöne, der Kommandeur des Kadettenhauses und
andere hervorragcnde Persönlichkeiten bei. Die Feier begann
mit dem Gesang des Psalms: „Wohl dem, der ohne Wandcl
lebet", worauf der Rector Kleinert die Festrede hielt, worin
er die Beziehungen Friedrich's des Großen zur Universität
beleuchtete. An die Festrede schloß sich eine Mittheilung über
die Erfolge, Bewerbungen um Preisaufgaben und die Ver-
kündung neuer Preisaufgaben. Mit dem Gesang „Herr, ge-
denke unser nach Deinem Wortc" schloß die Feier.
Die Anwesenheit des Reichskanzlers in München wird
von den dortigen „N. Nachr." in einem Artikel gefeiert, der
mit den Worten schließt: Giebt uns Fürst Bismarcks An-
wesenheit hier doch eine neue Gewähr dafür, daß Baiern
unverbrüchlich und fest dem Leibe des deulschen Reiches einge-
fügt ist. Endiich hat unser geliebtes Vaterland die Stellung
errungen, die ihm einzig frommt, durch die es einzig der un-
seligen Jsolirung, der machtlosen Zwitterstellung entriffen wer-
den konnte, die es früher eingenommen. Als integrirender
Bestandtheil des dentschen Reiches, an deffen Entwickelung und
deffen Machtstellung es, unbeschadet seiner Selbstständigkeit,
den vollen ihm zukommenden Antheil hat, steht heute Baiern
als dcr zweitmächtigste Bundcsstaat des mächtigsten und ange-
sehensten Reiches der Welt da. Möge der Besnch des Reichs-
kanzlers dazu beitragen, das Bewußtsein des baierischen Volkes
von dieser Wandelung zu stärken und zu beleben, zum Heile
Baierns und Deutschlands! Und darum nvch einmal „Will-
kommen dem Rcichskanzler in München!"
Die socialistische Manifestation in Belgien am 15.
August beginnt den Behörden infolge der Amsterdamer Vor-
gänge wieder Besorgniffe zu bereiten. Man wird zwar die
Manifestation nicht verbieten, um den Ardeitern nicht neue
Ursache zu Agitationen zu geben, will abcr doch keine Maß-
regel versäumen, die Ruhe nnd Ordnung zu sichern. Jnfolge
deffen hat der bclgische Generalprocurator ein Rundschreiben
an alle Staatsanwälte des Königreichs gerichtet, um von diesen
übcr Zahl und Gesinnung der nach Brüssel kommenden Ar-
beiter unterrichtet zu werden. Diese Maßreget ist um so noth-
wendlger geworden, als der Züsammenhang zwischen den
Socialisten Nordfrankreichs, Betgiens und Hollands immer
deutlichcr zu Tage tritt. Die Seele der ganzen Bewegung
ist DOsuisseaux, der Verfasser des Volkskatechismus, welcher
gegenwärtig bekanntlich in Lille weilt, um dort die Berjährung
der gegen ihn ausgesprochenen Gefängnißstrafe abzuwarten.
Nach seiner im Blatte „En Avant" abgegebenen Erklärung
wird dieser Agitator 10 000 Demonstranten nach Brüffel
„schaffen".
Aus Brüffel depeschirt man der „Kreuzztg." unterm 2.
Aug.: „Der Gedanke, ein internationales Socialistengesetz zu
schaffen, gewinnt in Holland sichtlich Anhänger. Mehrere der
Regierung nahestehende Blätter rathen dem Minister des
Jnnecn, Dr. Heemskerk, einen derartigen Antrag den euro-
päischen Cabinetten zu unterbreiten." — Diese Nachricht be-
gegnet vielem Zweifel.
Die Moskauer Zeitung enthielt jüngst einen Artikel von
Katkoff, in welchem nahezu der Abschluß eines russisch-
französischen Bündnisses empfohlen wird. Der Köln.
Ztg. wird hierzu von Berlin geschrieben: Der Artikel findet
hier zwar eine gewiffe Beachtung, man ist aber nicht geneigt,
demselben eine thatsächliche Bedeutung beiznmeffen oder gar
an den bevorstehenden Abschluß eines solchen Bündnisses zn
glauben. Man braucht nnr daran zu erinnern, daß der fran-
zösische Botschafterposten in Petersbucg seit langcr Zcit unbe-
setzt und daß der Vertreter des Czaren zur Zeit nicht in
Paris weilt, um die Gewißheit zu erlangen, daß eS stch da-
bei nur um eine leere Drohung handelt. Wer damit geschreckt
werden soll, ist nicht recht ersichtlich; daß dcr Leiter der dent-
schen Politik die wirklichen Verhältnisse sehr kalten Blutes be-
rechnet und sich durch haltlose Drohnngen nicht ins Bockshorn
jagen läßt, dürfte doch in Pctersburg nachgerade ebenso be-
kannt sein wie in Moskau. Der Katkoff'sche Artikel erscheint
um so mehr als ein Lufthieb, als hier nach wie vor an der
Ueberzeugnng festgehalten wird, daß Rnßland vorläufig nicht
daran kenkt, stch vom deutsch - österreichischen Bündniffe zu
trennen, und daß die Begegnung des Herrn v. Giers mit dem
Fürsten Bismarck trotz der wiederholten Verzögerung dennoch
im Laufe dieses Mvnats erfolgen werde.
Das Resultat der am Sonntag in Frankreich voll-
zogenen Generalrathswahlen liegt nunmehr ziemlich vollständig
vor. Es sind bis heute 1401 Generalrathswahlen bekannt;
von den Gewähltcn gehören 829 den Republikanern, 402 den
Konservativen an. 170 Stichwahlen haben stattgefunden. Die
Republikaner habcn 69 Sitze gewonnen und 83 verloren.
Die Monarchisten haben akso bisher 14 Sitze gewonnen.
Der in hvlländischcn Diensten stehende englische Dampjer
„Hok Canton" aus Glasgow wurde auf der Reise von
Penang nach Atchin von 200 Seeräubern angegriffen, die stch
dem Schiffe in 3 Bootcn genähert hatten. Es cntspann sich
ein mörderischer Kampf, in welchem der Führer des Schiffes,
Kapitän Handson, der erste Jngenieur und der erste Steuer-
mann getödtet wurden. Die übrige Mannschaft wurde über-
wältigt und sammt der Wittwe des Kapitäns in die Gefangen-
schaft geschleppt. Die Seeräuber verlangen ein Lösegeld von
50 000 Dollars für die unglückliche Schiffsmannschaft. Die
holländischen Behörden in Atchin haben drei Kriegsschiffe und
400 Soldaten nach dem Schauplatze der Ausschreitnng ent-
sandt, um die Seeräuber zu verfolgen. — Die Affaire ist
geeignet, aufs Neue Differenzen zwischen England und Holland
heraufzubeschwören, denn schon frnher hat zu wiederholten
Malen wegen ähnlicher Vorgänge die englische Regiernng
encrgische Reklamationen erhoben, bezw. der holländischen Re-
gierung die Anwendung von energischen Maßregeln gegen die
dem Namen nach unter holländischer Oberhoheit stehenden
Atchinesen angedroht.
Das Jubelfest in Heidclberg.
I.
Anf ein halbes Jahrtausend rnhmvoller Geschichte blickt
in diesen Tagen das „stntiuin Ilsiässstsr^snss^, wie man
es zu scholastischer Zeit hieß, die Universttät, wie wir sie heute
nennen, zurück. Die Ruprecht-Carolinische ist die älteste unter
den Hochschulen des deutschen Reiches. Mit der lieblichen,
fröhlichen und gelehrten Stadt am Neckar, mit all' den vielen
Tausenden aus alle» deutschen Landen, die hier in geistiger
Arbeit und frohem Genießen Jahre sonniger Jugend verlebt
haben, feiert also das deutsch Reich dieses Fest als das
fünfhundertjährige Jubiläum seines Universttätswesens, als
einen ruhmvollen Erinnerungstag seines Geisteslebens.
Es war Rnprecht der Erste, der den Gedanken faßte, in
sciner schönen und getreuen Residenzstadt ein „stnäiuiii" zn
gründen, und dieser Plan stellte für die Verhältniffe der Zeit
und für die Person, von dem er ausging ein wahrhaft
staunenswerthes Unternehmen dar. Denn Ruprecht war doch
nur der Herr eines kleinen, wenn auch reichen Ländchens und
er war, wie er selbst bezeugte, ein gar ungelehrter Mann.
Aber einen rechten Blick hatte er dafür, daß der Geist eine
größere Macht und eine stärkere Waffe sein könne, als der
schärfste Stahl, und der ungelehrte Ruprecht hat stch durch
die Hochschule, durch „seine liebe Tochter", wic er sie hieß,
unsterblichen Ruhm erworben und ein segensreiches Fortwirken
auf die Geschlechter kommender Zeiten. Sein Geschlecht ist
längst erloschen, doch es lebt fort in den vielen tausend gei-
stigen Söhnen dieser seiner „lieben Tochter".
14 Der krnmme Daumen.
Roman von F. du Boisgobey.
(Fortschmig.)
„Und diese Feinheit war auch so etwas," fuhr Courapied
bitter fort, „das dem gewissenlosen Weibe, der Amanda gerade
gefiel. Er muß ihr ein nobles Leben haben in Aussicht stellen
können, daß ste ihm gefotgt ist."
„Wohin glauben Sie, stnd die Beiden von hier aus ge-
gangen?"
„Der Teufel soll mich holen, wenn ich eine Ahnung da-
von habe!"
„Sollten sie nicht bei ciner anderen Truppe Engagement
genommen haben?"
„Die Beiden?" Nimmermehr! Alle Truppen, die sinen
befferen Künstler gebrauchen und bezahlen können, besuchen die
nämlichen Märkte und Messen, nichts wäre also leichter, als
sie da wiederzufinden. Wenn nicht auf dem Markt von
Neuilly, würden wir sie auf dem von Saint Cloud oder einen
der anderen treffen. Nein, Zick-Zack wird sich gar so leicht
nicht finden laffen, und außerdem glaube ich überhaupt nicht
an ein solches Engagement. Amanda hat gewußt, was sie
that, als sie mitging, denn Amanda ist der Kunst überdrüsstg."
„Nun, und was dürften ste also begonnen haben? Sollten
sie in's Ausland gegangen sein?"
„Auch das nicht. Amanda liebt Paris zu sehr. Jch
habe so eine Jdee, als ob Beide hoch hinaus wollten und den
Plan haben, unter die Vornehmen zu gehen. Als Spieler
vielleicht, als Abenteurer, als Bauernfänger — was weiß ich
Es wird davon abhängen, wieviel Geld sie haben. Wieviel
hatte er von Jhnen gestohten?"
„Zwanzigtausend Francs."
„Oh, sehen Sie doch nur einmal an — ich sage Jhnen,
das ist wohl zwanzig Mal mehr als er braucht, um sich mit
ihr in ganz andere Leute zu verwandeln. Und Zcit erfordert
das ja auch nicht viel, wenn man Geld hat. Drei bis vier
Tage Zwischenzeit um seinen Plan vorznbereiten und die Sache
ist fertig."
„Jn dieser Zwischenzeit aber?"
„Jn dieser Zwischenzeit hat man sich in irgend ein kleines
und stilles Hotel garni zurückgezogen, vder in so ein Stückchen
Vorstadt von Paris, dort nach der 66tO äu tülioli/ hin oder
der Routö äs In, Rovolto — Gegenden, meine liebe Dame,
die Jhnen unbekannt sein werden, aber welche meine liebe
Amanda sehr gnt kennt. Es giebt keine beffere Gelegenheit
in der Welt als dort, wenn man ein Weilchen unbemerkt
logiren will . . . beim „Vater Rigolo" zum Beispiel, der nicht
nur Quartier, sondern auch AUes zur Hand hat, was man
braucht, um in kürzester Zeit ein anderer Mensch von Außen
zu werden. Er kleidet Jhnen Mann oder Weib von dem
Kopf bis zu den Füßen neu ein, ehe eine Viertelstunde Zeit
vergeht!"
„Gut. Suchen wir Zick-Zack in jener Gegend, von der
Sie sprechen."
„Wir? Sie, meine Dame? Ah, nicht doch! Das ist un-
möglich! Sie dorthin gehen! Sie würden nicht wieder zurück-
kommen! Wo denken Sie nur hin, wenn Sie das sagcn! Es
ist genug, wenn ich mich hinwage! Nicht einmal mit einem
kleinen Georget würde ich dorthin zu gehen unternehmen . . .
abcr bitte, entschuldigen Sie, wenn man vom Wolf redet, ist
er nicht weit, hier kommt mein kleiner Sohn!"
Camilla wandte den Kopf nach der Seite hin, nach der
Courapied's ansgestreckter Arm zeigte, und sah den Knabcn
herbeilaufen, den sie an jenem Abend in Bajozzokostüm auf
der Estrade bemerkt. Es war ein gutmüthiger, intelligent aus-
sehender kleiner Bursche von ctwa 12 Jahren mit frischrothem
Gesicht, blonden Haaren nnd in einem ärmlichen Leinwand-
Anzuge, zu groß und zu weit für seinen Körper, schmutzig und
zerrifferi in allen seinen Theilen. Der Knabe machte große
Augen, als er die mit seinem Vater sprechende vornehme Dame
erblickte, und unterbrach seinen Lauf, als sei er unschlüssig ob
er wagen dürfe näher zu kommen.
Camilla lächelte ihn freundlich an, um ihn zu ermuthigen
und Courapied rief ihm zu:
„Nur heran, mein Junge, komm' her! Alle Wetter, was
trägst Du da in dem Papier eingewickelt?"
„Brod, Vater, Brod, zum effen für Dich," sagtc der
Knabe mit gedämpfter Stimme. „Jch habe in einer Tabagie
die Kegel aufgesetzt und dafür einen Groschen bekommen. Da
bin ich hingelaufen und habe Brod gekauft — hier ist eS.
Für Dich allein; ich brauche nichts, ich habe wirklich keinen
Hunger."
„Bengel!" rief der Bajozzo gerührt und fuhr sich mit der
Hand über die Augen. „He, Du bist ein fleißiger Junge und
hast Dich zum Kegelaufsetzen angeboten, weil ein anderes En-
gagement fehlte; Du fütterst damit Deinen Vater, der still sitzt
und Dich hungern läßt. Komm' her, mein Junge, laß uns
theilen!"
Camilla nahm jetzt die Hand des wackeren Kleinen und
streichelte sein Gesicht. „Wie alt bist Du, mein Kind?" fragte
sie freundlich.
„Zwölf Jahr, meine Dame."
„Kannst Du lesen?"
„Jawohl — und schreiben auch," erklärte der Knabe eifrig.
„So hast Du also eine Schule besucht?"
„Nein, das nicht, meine Dame. Mama hat mir gelehrt
was ich kann."
„Ja, das stimmt," fügte Courapied kauend und mit dem
Kopf nickend hinzu. „Seine Mama, meine gute Selige, war
eine gescheidte Frau, die etwas gelernt hatte. Die Aermste
hat ihn unterrichtet so viel sie konnte."
„Jch werde Dir Deine Mama ersetzen, mein Kind," sagte
Camilla gütig. „Du hast ste wohl sehr geliebt?"
„Ach ja, meine Damc, von ganzem Herzen. Und ich
glaube, ich könnte Jhnen auch sehr gut sein."
Georget war schon ganz zutraulich geworden und blickte
zu dem jungen Mädchen, das ihm sehr zu gefallen schien, mit
einer Mischung von Herzlichkeit und Bewunderung auf.
„Dein Bater wird auch mit mir gehen," versetzte Camilla