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Frankfurt vor der Revolution
Die großherzogliche Zeit hatte das auf „Reichshofratsbeschlüsselt,
Erkenntnissen auswärtiger Rechtsfakultäten und Senatsbeschlüssen"
beruhende Zunftrecht unerschüttert gelassen. Jedes einzelne Hand-
werk besaß nach wie vor seine eigenen, von denen der andern ver-
schiedenen Bestimmungen über Lehrzeit, Wanderzeit, Gesellenzeit,
Mut- (oder Sitz)zeit, Fertigung des Meisterstücks. Sie wurden
von den Geschworenen des Handwerks selbst, die unter obrigkeit-
licher Leitung und Beeinflussung gewählt wurden, gehandhabt.
Das jüngere Bürgermeisteramt hatte die oberste Kontrolle.
Ein leitender Gedanke lag dem ganzen System zu Grunde.
Es ist der des Nahrungsschutzes. Das Ziel war, einer be-
stimmten, ja nicht zu großen Anzahl technisch gebildeter Arbeiter
innerhalb ihrer Sphäre eine unabhängige, auskömmliche Tätigkeit zu
sichern; die Voraussetzung zur Erreichung dieses Zieles war Gleichheit
der Befähigung — deshalb die Forderung eines Meisterstückes —
Gleichheit des Arbeitsumfanges — deshalb uniforme Regelung
der Gehilfenzahl — Gleichheit der äußeren Arbeitsbedingungen —
deshalb das Verbot des gegenseitigen Eingreifens in das Arbeits-
gebiet und das Fernhalten der auswärtigen Konkurrenz. Zur-
Veranschaulichung dieser Grundsätze hebe ich einzelne Bestimmungen
heraus.
Bei den Schreinen: durfte kein Meister mehr als sechs Gesellen
Halten. Jährlich konnten nur drei Meister ausgenommen werden,
abgesehen von den Gesellen, die durch Heirat einer Meisterswitwe
das Meisterrecht erlangten. Letzteres war ein häufig benutztes
Mittel und gab zu so viel Mißbräuchen Gelegenheit, daß sich der
Senat wiederholt bemüßigt fand, durch Feststellung von Alters-
grenzen allzu groteske Verbindungen zu hiudernch. Die Geschichte
vom jungen Gesellen, der auf keine Weife trotz aller Anstrengungen
Meister werden konnte und deshalb sich im Bürgerspital eine möglichst
alte und totkranke Meisterin aussuchte, sie heiratete, dadurch Meister-
würde und nun die Enttäuschung erfuhr, daß die Gute noch lange
lebte und gesund wurde — diese Geschichte, die der Verfasser der
sekretariats Frankfurt 1899 eine Darstellung von Paul Kampffmeyer
erfahren, deren klangvoller Titel „Vom Frankfurter Zunftgesellen zum klaffen-
bewußten Arbeiter" eine den Wert einer „geschichtlichen Abhandlung" beein-
trächtigende Tendenz verrät. Ich habe einige Daten benutzt.
H Senatsakten X. 3. Der Senat charakterisiert diese Ehen als „gleichsam der
Natur und Vernunft zum Trotz, zum wahren Nachteil der Mitmeister und des
gemeinen Wesens. Berichte, geistliche Behörden und Polizei kennen das daraus
entspringende Unglück und schändliche Beispiel."
Frankfurt vor der Revolution
Die großherzogliche Zeit hatte das auf „Reichshofratsbeschlüsselt,
Erkenntnissen auswärtiger Rechtsfakultäten und Senatsbeschlüssen"
beruhende Zunftrecht unerschüttert gelassen. Jedes einzelne Hand-
werk besaß nach wie vor seine eigenen, von denen der andern ver-
schiedenen Bestimmungen über Lehrzeit, Wanderzeit, Gesellenzeit,
Mut- (oder Sitz)zeit, Fertigung des Meisterstücks. Sie wurden
von den Geschworenen des Handwerks selbst, die unter obrigkeit-
licher Leitung und Beeinflussung gewählt wurden, gehandhabt.
Das jüngere Bürgermeisteramt hatte die oberste Kontrolle.
Ein leitender Gedanke lag dem ganzen System zu Grunde.
Es ist der des Nahrungsschutzes. Das Ziel war, einer be-
stimmten, ja nicht zu großen Anzahl technisch gebildeter Arbeiter
innerhalb ihrer Sphäre eine unabhängige, auskömmliche Tätigkeit zu
sichern; die Voraussetzung zur Erreichung dieses Zieles war Gleichheit
der Befähigung — deshalb die Forderung eines Meisterstückes —
Gleichheit des Arbeitsumfanges — deshalb uniforme Regelung
der Gehilfenzahl — Gleichheit der äußeren Arbeitsbedingungen —
deshalb das Verbot des gegenseitigen Eingreifens in das Arbeits-
gebiet und das Fernhalten der auswärtigen Konkurrenz. Zur-
Veranschaulichung dieser Grundsätze hebe ich einzelne Bestimmungen
heraus.
Bei den Schreinen: durfte kein Meister mehr als sechs Gesellen
Halten. Jährlich konnten nur drei Meister ausgenommen werden,
abgesehen von den Gesellen, die durch Heirat einer Meisterswitwe
das Meisterrecht erlangten. Letzteres war ein häufig benutztes
Mittel und gab zu so viel Mißbräuchen Gelegenheit, daß sich der
Senat wiederholt bemüßigt fand, durch Feststellung von Alters-
grenzen allzu groteske Verbindungen zu hiudernch. Die Geschichte
vom jungen Gesellen, der auf keine Weife trotz aller Anstrengungen
Meister werden konnte und deshalb sich im Bürgerspital eine möglichst
alte und totkranke Meisterin aussuchte, sie heiratete, dadurch Meister-
würde und nun die Enttäuschung erfuhr, daß die Gute noch lange
lebte und gesund wurde — diese Geschichte, die der Verfasser der
sekretariats Frankfurt 1899 eine Darstellung von Paul Kampffmeyer
erfahren, deren klangvoller Titel „Vom Frankfurter Zunftgesellen zum klaffen-
bewußten Arbeiter" eine den Wert einer „geschichtlichen Abhandlung" beein-
trächtigende Tendenz verrät. Ich habe einige Daten benutzt.
H Senatsakten X. 3. Der Senat charakterisiert diese Ehen als „gleichsam der
Natur und Vernunft zum Trotz, zum wahren Nachteil der Mitmeister und des
gemeinen Wesens. Berichte, geistliche Behörden und Polizei kennen das daraus
entspringende Unglück und schändliche Beispiel."