Börnes Pariser Briefe 75
Die ersten Zeiten des revolutionären Julikönigtums sind den
Frankfurtern ganz besonders deutlich und mit hinreißender propa-
gandistischer Kraft dargestellt worden durch einen Landsmann,
durch Ludwig Börne. Seine Pariser Briefe, die im Herbst des
Jahres 1830 beginnen, wirkten wohl auf das gesamte deutsche
liberale Bürgertum stark ein — aber die Tatsache, daß sie an die
Frankfurter Freundin Jeanette Wohl ursprünglich gerichtet waren,
war der Grund, daß sie in der Vaterstadt ganz besonderen Eindruck
machten. Wenn Börne in seinem Eldorado der Freiheit, in Paris
schwelgte, dann mochten sich vor seinem geistigen Auge die Frank-
furter Zustände, die ihm so viel Bitternis bereitet hatten, in beson-
ders trüben: Lichte darstellen. Jedes Lob auf die goldenen Tage in
Frankreich ist in diesem Sinne nicht nur ein Angriff gegen Deutsch-
land, sondern ganz besonders gegen Frankfurt. Ob das alles so
ganz begründet war, das ist eine Frage, die den Zeitgenossen in
Erregung bringen konnte. Für uns ist es hauptsächlich wichtig, daß
den Frankfurtern der neue radikale Liberalismus in so starker, be-
zwingender, Wort für Wort offensiver Form entgegentrat. Wie
erschüttert ward die öffentliche Meinung durch Börnes Briefe!
Wie verletzend sprach er von den deutschen Dummheiten, von der
deutschen Bedientenhaftigkeit ! Die Stadt, die den Bundestag be-
herbergte, spürte das. In Frankfurt gab es in Börnes Augen ein
für allemal nichts als trübe deutsche Bundestage — das Pariser
Wetter war von Zucker, Milch und Rosen gemischt. Selbst diese
klimatische Frage schließt er mit seinem A und O, das, auch unaus-
gesprochen, durch jede Zeile klingt — „Aber wir Götter in Paris!"
Wenn Börne über die „Torheit der neuen Geldaristokratie"
klagte, so wußten seine Landsleute, daß es dergleichen nicht nur
unter dem Julikönigtum in Frankreich gäbe. Wer es noch nicht
Verstand, dem machten es die direkten Angriffe deutlicher. Höhnisch
fragt er (16. Februar 1831): „Haben die italienischen Nachrichten
nicht auf der Frankfurter Börse eingeschlagen? Sind nicht die
Metalliques geschmolzen? Schreien die Juden: O wai geschrien!?"
Oder er rechtfertigt seine Klagen über den Bankierminister Kasimir
Perier mit der Behauptung (11. Mai 1832): „Wenn der Jude
Rothschild König wäre und sein Ministerium aus Wechselmaklern
bildete, es könnte nicht niederträchtiger regiert werden." Die
Pfeile trafen. — Börne war jetzt Weltbürger. Was bedeutete noch
Frankfurt für ihn? „Nun wie schmeckt Ihnen Frankfurt?" fragt
er am 8. Oktober 1831 die Freundin. „Ich denke, wie Kamillen-
tee ... Mir hat es immer so geschmeckt. Eine Apotheke — alles
Die ersten Zeiten des revolutionären Julikönigtums sind den
Frankfurtern ganz besonders deutlich und mit hinreißender propa-
gandistischer Kraft dargestellt worden durch einen Landsmann,
durch Ludwig Börne. Seine Pariser Briefe, die im Herbst des
Jahres 1830 beginnen, wirkten wohl auf das gesamte deutsche
liberale Bürgertum stark ein — aber die Tatsache, daß sie an die
Frankfurter Freundin Jeanette Wohl ursprünglich gerichtet waren,
war der Grund, daß sie in der Vaterstadt ganz besonderen Eindruck
machten. Wenn Börne in seinem Eldorado der Freiheit, in Paris
schwelgte, dann mochten sich vor seinem geistigen Auge die Frank-
furter Zustände, die ihm so viel Bitternis bereitet hatten, in beson-
ders trüben: Lichte darstellen. Jedes Lob auf die goldenen Tage in
Frankreich ist in diesem Sinne nicht nur ein Angriff gegen Deutsch-
land, sondern ganz besonders gegen Frankfurt. Ob das alles so
ganz begründet war, das ist eine Frage, die den Zeitgenossen in
Erregung bringen konnte. Für uns ist es hauptsächlich wichtig, daß
den Frankfurtern der neue radikale Liberalismus in so starker, be-
zwingender, Wort für Wort offensiver Form entgegentrat. Wie
erschüttert ward die öffentliche Meinung durch Börnes Briefe!
Wie verletzend sprach er von den deutschen Dummheiten, von der
deutschen Bedientenhaftigkeit ! Die Stadt, die den Bundestag be-
herbergte, spürte das. In Frankfurt gab es in Börnes Augen ein
für allemal nichts als trübe deutsche Bundestage — das Pariser
Wetter war von Zucker, Milch und Rosen gemischt. Selbst diese
klimatische Frage schließt er mit seinem A und O, das, auch unaus-
gesprochen, durch jede Zeile klingt — „Aber wir Götter in Paris!"
Wenn Börne über die „Torheit der neuen Geldaristokratie"
klagte, so wußten seine Landsleute, daß es dergleichen nicht nur
unter dem Julikönigtum in Frankreich gäbe. Wer es noch nicht
Verstand, dem machten es die direkten Angriffe deutlicher. Höhnisch
fragt er (16. Februar 1831): „Haben die italienischen Nachrichten
nicht auf der Frankfurter Börse eingeschlagen? Sind nicht die
Metalliques geschmolzen? Schreien die Juden: O wai geschrien!?"
Oder er rechtfertigt seine Klagen über den Bankierminister Kasimir
Perier mit der Behauptung (11. Mai 1832): „Wenn der Jude
Rothschild König wäre und sein Ministerium aus Wechselmaklern
bildete, es könnte nicht niederträchtiger regiert werden." Die
Pfeile trafen. — Börne war jetzt Weltbürger. Was bedeutete noch
Frankfurt für ihn? „Nun wie schmeckt Ihnen Frankfurt?" fragt
er am 8. Oktober 1831 die Freundin. „Ich denke, wie Kamillen-
tee ... Mir hat es immer so geschmeckt. Eine Apotheke — alles