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Frankfurt vor der Revolution
als „liberales Nest". Grund dazu konnten ihm Nachrichten wie
etwa die folgenden geben*): in Frankfurt seien viele Emissarien
von Louis Philipp und von Belgien, die das linke Rheinufer be-
freien sollten, ein gewisser la Salle (!) ginge nach Holland, um den
Prinzen von Oranien zu bearbeiten, ein anderer, Denoyens, hätte
bei Rothschild zweitausend Franken erhoben und hielte Agenten
in den Bädern, auch in Trier, Koblenz, Mainz. Die Wahrheit
dieser Nachrichten lasse ich natürlich dahingestellt — für uns wichtig
ist, daß sie beweisen, in welchen Ruf die Stadt Frankfurt zu kommen
begann — daß die regierenden Kreise ebenso der Ansicht waren,
eine Bewegung müsse hier ihren Ausgangspunkt und ihre Zentrale
Haben, wie die Liberalen meinten, eine Revolution oder eine Agi-
tation hier, am Sitze des Zentralorgans des Deutschen Bundes,
müsse von besonderer Wirksamkeit sein. Die geistige Verfassung
des Frankfurter Durchschnittsbürgertums gab, wie wir wissen,
weder zu der einen noch zu der anderen Auffassung einen zureichenden
Grund, wohl aber konnten sie, weil diese Auffassungen einmal
bestanden, danach sich in bestimmter Weise entwickeln.
Den weiteren Fortschritt in der Liberalisierung des Bürgertunis
Haben wir nun zu verfolgen. Dafür ist die Entwicklung der Ge-
danken zur Emanzipation des Judentums von einer besonderen
typischen Bedeutung. Wir haben vorhin gesehen, wie ein Teil
der in der Frankfurter Konstitutionsergänzungsakte mit minderen
Rechten Ausgestatteten, und zwar die politisch völlig Rechtlosen,
die Landbewohner, vergebliche Anstrengungen machten, diesen
Zustand zu ändern. Erfolgreicher waren die Juden. Der Grund
dazu lag in der immer mehr die Kreise der christlichen Bürgerschaft
durchdringenden Überzeugung von ihrer menschlichen und deshalb
bürgerlichen Gleichberechtigung. Die Humanitätsideale der Auf-
klärung drängten sich jetzt, aufs neue gepredigt durch den liberalen
Doktrinarismus, der ja überhaupt die Ideale der Revolution und
der neudeutschen Bildung in ein System zu zwingen sucht — sie
drängten sich nun zur praktischen Ausgestaltung. Oft nahmen sie
noch recht bizarre Formen an. Interessant dafür ist die Stellung
Funcks, die er in einem „Der ewige Jud" überschriebenen Artikel des
Eulenspiegel einnimmt. Ihm kommt es darauf an, zu zeigen, daß
die Juden — wie es ja auch nicht zu leugnen ist — nach Geschichte
und Religionsform ein eigenes Volk seien, und er folgert daraus:
solange das noch der Fall ist, könnten sie „vernünftiger (!) Weise
') Nagler a. a. O. 6. April 1839, II, 123.
Frankfurt vor der Revolution
als „liberales Nest". Grund dazu konnten ihm Nachrichten wie
etwa die folgenden geben*): in Frankfurt seien viele Emissarien
von Louis Philipp und von Belgien, die das linke Rheinufer be-
freien sollten, ein gewisser la Salle (!) ginge nach Holland, um den
Prinzen von Oranien zu bearbeiten, ein anderer, Denoyens, hätte
bei Rothschild zweitausend Franken erhoben und hielte Agenten
in den Bädern, auch in Trier, Koblenz, Mainz. Die Wahrheit
dieser Nachrichten lasse ich natürlich dahingestellt — für uns wichtig
ist, daß sie beweisen, in welchen Ruf die Stadt Frankfurt zu kommen
begann — daß die regierenden Kreise ebenso der Ansicht waren,
eine Bewegung müsse hier ihren Ausgangspunkt und ihre Zentrale
Haben, wie die Liberalen meinten, eine Revolution oder eine Agi-
tation hier, am Sitze des Zentralorgans des Deutschen Bundes,
müsse von besonderer Wirksamkeit sein. Die geistige Verfassung
des Frankfurter Durchschnittsbürgertums gab, wie wir wissen,
weder zu der einen noch zu der anderen Auffassung einen zureichenden
Grund, wohl aber konnten sie, weil diese Auffassungen einmal
bestanden, danach sich in bestimmter Weise entwickeln.
Den weiteren Fortschritt in der Liberalisierung des Bürgertunis
Haben wir nun zu verfolgen. Dafür ist die Entwicklung der Ge-
danken zur Emanzipation des Judentums von einer besonderen
typischen Bedeutung. Wir haben vorhin gesehen, wie ein Teil
der in der Frankfurter Konstitutionsergänzungsakte mit minderen
Rechten Ausgestatteten, und zwar die politisch völlig Rechtlosen,
die Landbewohner, vergebliche Anstrengungen machten, diesen
Zustand zu ändern. Erfolgreicher waren die Juden. Der Grund
dazu lag in der immer mehr die Kreise der christlichen Bürgerschaft
durchdringenden Überzeugung von ihrer menschlichen und deshalb
bürgerlichen Gleichberechtigung. Die Humanitätsideale der Auf-
klärung drängten sich jetzt, aufs neue gepredigt durch den liberalen
Doktrinarismus, der ja überhaupt die Ideale der Revolution und
der neudeutschen Bildung in ein System zu zwingen sucht — sie
drängten sich nun zur praktischen Ausgestaltung. Oft nahmen sie
noch recht bizarre Formen an. Interessant dafür ist die Stellung
Funcks, die er in einem „Der ewige Jud" überschriebenen Artikel des
Eulenspiegel einnimmt. Ihm kommt es darauf an, zu zeigen, daß
die Juden — wie es ja auch nicht zu leugnen ist — nach Geschichte
und Religionsform ein eigenes Volk seien, und er folgert daraus:
solange das noch der Fall ist, könnten sie „vernünftiger (!) Weise
') Nagler a. a. O. 6. April 1839, II, 123.