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Valentin, Veit
Politisches, geistiges und wirtschaftliches Leben in Frankfurt am Main vor dem Beginn der Revolution von 1848/49 — Stuttgart: Union dt. Verlagsges., 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.71759#0127
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„Pauperismus" im Handwerkerstande

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Die bei fast allen Gewerben zu beobachtende Erscheinung ist
eine Vermehrung der Werkstätten in dem Zeiträume von 1825
bis 1836, dann eine mehr oder weniger starke Verminderung.
Immer erscheint 1836 als das kritische Jahr für das Handwerk,
und so bestätigen die Zahlen die Ausführungen von vorhin.
Die große Not, der „Pauperismus" des Handwerks in den
Vierzigerjahren tritt uns überall aus Zeitungen, Zeitschriften und
Broschüren entgegen. Die Wohltätigkeitsbehörden, wie der Frank-
furter Almofenkasten, klagten über den großen Andrang der Hilfs-
bedürftigen. Vereine, wie die Gesellschaft zur Beförderung nützlicher
Künste und deren Hilfswissenschaften, die Gewerbeschule, die Ge-
werbevereine, die Gesellschaft zur gewerblichen und moralischen
Unterstützung notleidender Handwerksmeisters, die Sparkasse, der
Verein zur Beförderung des Handwerks unter den Israeliten —
sie alle suchten der in Not befindlichen gewerblichen Bevölkerung
aufzuhelfen.
Wir lesen in der Gemeinnützigen Chronik zum Beispiel einen
rührenden Aufruf an alle Besitzenden, trotz „Schauer- und Hiobs-
posten von fremden Handelsplätzen", trotz dem „Eisbruch aller
Börsen" möchten sie ihren Luxus ja nicht vermindern, um so die
Lage der Besitzlosen nicht noch zu verschlimmern. So ward die
organische Krankheit des Handwerks noch fühlbarer durch die große
Wirtschaftskrise vor dem Ausbruch der Revolution. Seltsame
Hilfsprojekte werden ausgeheckt. Als bekannt wurde, daß im
Nassauischen die Seidenindustrie eingesührt werden sollte, erhob
sich sofort in der Gemeinnützigen Chronik eine Stimme, die vor-
wurfsvoll fragte, warum man nicht diesen Gedanken auch in Frank-
furt aufgriffe. Es gäbe doch genug Arme Hier. Das Pflegamt des
Waisenhauses mußte klagen, daß die Lehrlinge nicht mehr in der
alten meisterlichen Zucht wären, ohne die Rückkehr zu den
früheren patriarchalischen Zuständen sei eine Besserung der Notlage
nicht zu erhoffen. Andere hielten eine Besserung überhaupt nicht
mehr für möglich; „die Anzeichen werden immer mehr, daß der
Gewerbestand allmählich ganz verschwinden und an dessen Stelle
nur große industrielle Etablissements treten werden," heißt es einmal
in der Chronik. Das waren die Weitsichtigeren, die so sprachen,
aber mit Freude sahen sie diesem Entwicklungsprozeß auch nicht zu.
„Der Handwerksstand ist der Kern der Staaten. Niemals muß
p Diese veröffentlichte 1846 einen „Wegweiser auf dem Felde unserer Hilfs-
tätigkeit, verfaßt von M. May". Ich nenne außerdem noch die Schrift von I. F. O.
Wohlfahrt über den Pauperismus. Weimar 1845.
 
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