Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Valentin, Veit
Politisches, geistiges und wirtschaftliches Leben in Frankfurt am Main vor dem Beginn der Revolution von 1848/49 — Stuttgart: Union dt. Verlagsges., 1907

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.71759#0083
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Anstöße von Westen und Osten: die Julirevolution und der preußische Zollverein 71
seiner Mauern etwas bemerkte, was der Doktrin widersprach,
der fühlte in sich Pflicht und heiligen Beruf, es als Reaktion und
als das Böse zu bekämpfen. Die gelehrte Doktrin ward zum ge-
glaubten Dagma, das eine ganze Schicht der bürgerlichen Gesell-
schaft erfüllte und anspornte zum Predigen, Proselytenmachen,
Sektenbilden, zu Missionsreisen, zur Lobrede und Verdammnis.
Der Liberalismus hatte oft etwas Pfäffisches, so aufgeklärt er sich
gebärdete, er hatte auch seine Märtyrer, deren Schicksal nur leider
selten etwas von tragischer Größe zeigt. Es fehlt das Grandiose
und Prächtige — es fehlt die imponierende Kraft, die Herrscher-
macht, der Stolz, den große Verhältnisse geben — einerlei, ob sie
emporheben oder untersinken lassen. Oft ist es die Tragikomödie
des armen Schluckers, des verhungernden Literaten, ein dutzend-
mäßiges Elend, das verzerrt und kleinlich macht. Doch meine ich,
daß man den Pfadsuchern von damals mehr als ein mitleidig-
verächtliches Lächeln, auch mehr als eine geschmacklos-forcierte
Bewunderung zollen soll. Die Erkenntnis der damaligen Lebens-
umstände, der Anblick ihrer Entbehrung und ihrer Sehnsucht allein
kann uns lehren, daß die Worte dieser Menschen Taten, die
Predigt vom Ideal eine praktische Forderung, ihre tollkühnen
Unternehmungen Heldentorheiten waren. Ihre Ziele, die uns heute
bald selbstverständlich, bald unverständlich erscheinen wollen, waren
doch damals hoch wie die Sterne, und Menschen voll von Wärme
und tüchtiger Gesinnung in ihrem ehrlichen Streben danach leiden
und untergehen zu sehen, ist ein Anblick von bewegender, erschüttern-
der Kraft, auch wenn man nicht glaubte, daß die Geschichte, um
eine große Sehnsucht zu erfüllen, tausend kleine Hoffnungen
scheitern läßt.

Für das Hineinwachsen des Frankfurter Bürgertums in diesen
besonders im südwestlichen Deutschland stark ausgeprägten Libera-
lismus scheint mir der Generationenwechsel bedeutungsvoll zu sein.
Immer geringer wurde die Anzahl derjenigen, die noch die alte
Reichsstadt gesehen, die auf der Höhe des Lebens die napoleonische
Zeit mitgemacht hatten. Vor allem ist es ein Geschlecht von Juristen
gewesen, das nun mehr und mehr die Stadtpolitik kritisierte, die
Verfassung tadelte, auf die Reformen, wie sie der Liberalismus
predigte — auf Preßfreiheit, freiere Gestaltung der Gerichts-
verfassung, des Gewerbewesens drang. Ihre Laufbahn war typisch.
Sie studierten im nahen Heidelberg, wo die Burschenschaft als
 
Annotationen