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„Kaum war die heilige Familie aus Bethlehem geflohen, da kamen
die Soldaten des Herodes. Sie töteten die unschuldigen Kinder und
suchten Jesus. Dann eilten sie zu einem Felde, bei dem ein Bauer
stand. Als dieser eine Stunde vorher beschäftigt war, es zu bestellen
und Samen auszuwerfen, hatte der heilige Joseph ihm aufgetragen:
Wenn die Soldaten kommen und nach uns fragen, so antworte: „Als
ich hier den Samen ausstreute, da sind Joseph und Maria mit dem
Kinde vorbeigeritten.“ Alsogleich keimten die Körner, wuchsen auf
und bildeten Aehren. Die Aehren waren reif als die Soldaten sich
nahten. Sie fragten den Bauern: „Sind hier nicht Leute mit einem
Kinde vorbeigeflohen?“ Er antwortete: „Ja, als ich das Feld besäte,
dessen Aehren ich jetzt eben abmähe, sah ich sie nach Aegypten
eilen“. Da dachten die Soldaten, das wäre vor drei Monaten gewesen.
Sie kehrten um, und die heilige Familie war gerettet.
Auch Künstle14) berichtet das Wunder. Er nennt Weizen als die
Art des Getreides und schiebt zwischen Saat und Ernte den Zeitraum
einer Nacht.
Um die Wende des 15. und 16. Jahrh. tauchen die Darstellungen
des Themas in der Kunst auf, erleben eine kurze Blüte und verschwin-
den nach wenigen Jahrzehnten wieder. Das Ganze scheint fast eine
Schulangelegenheit gewesen zu sein. Mit verschwindenden Ausnahmen
stammen die Darstellungen aus den Niederlanden. Besonders der Kreis
um Gerard David und seinen Schüler Patinir hat die Gestaltung des
Wunders gepflegt, aber auch der Miniaturmalerei der Zeit ist sie
geläufig, und hin und wieder findet sie sich auf Bildteppichen.
Allerdings gibt es schon 100 Jahre früher ein Beispiel, das aber
völlig vereinzelt dasteht. Eine Miniatur — unter Mitwirkung des
Meisters Johann von Brügge — der Bibel Karls V., im Meermanno-
Westreenianum-Museum im Haag178) zeigt das Wunder neben der
„Flucht“.
Rechts, auf kleinerem Raume, flieht die Familie, und links —-
kompositionell davon getrennt — steht vor gereiftem, ährentragenden
Korn ein Bauer, das Säetuch, in das er hineingreift, über der Schulter.
Daneben drei bewaffnete Verfolger, deren Führer ihn ausfragt.
Fern vom niederländischen Kunstkreis, aus Italien, ist mir nur
eine einzelne Darstellung bekannt geworden: das Fresko Peruzzi’s in
San Onofrio in Rom123), nach 1504 geschaffen.
Die Legende muß aber auch hier zu den bekannten gehört haben,
denn der Künstler kann sich andeutender Angaben bedienen, um das
Geschehen zu erzählen. Er gibt links im Mittelgründe, als Symbol für

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