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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (3) — 1933 (Juli-August)

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Nr. 159-189 (1. - 31. Juli)
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Weihestimmung schwebte Wer der Stadt. Die
Häuser prunkten im stolzen Flaggenschmuck und
die Lust erzitterte freudig vom Brausen der Men-
ge. Festlich geschmückt wogten die zahlreichen Men-
schen die Straßen auf und ab. Ernst und feier-
lich erklangen die Elockentöne des Domes; weit-
hin wallfahrten sie durch den Aether, im Leuchten
der strahlenden Maiensonne.
Nur leises kaum hörbares Summen drang in
die abseits gelegene Buchenallee. Wie ausgestorben
dehnt sich die geräumige Straße unter den breit-
ästigen Bäumen im festlichen Erün. Vor den ver-
ödeten Läden eines großen Kaufhauses stand eine
einsame hohe Männergestalt, leicht gebückt, mit
flatterndem Eraubaar. Der zarte Frühlingswind
strich über seine tief gefurchte Stirn; doch achtete
er seiner nicht. Den Hut in der Hand zerknüllt,
verharrte er still und unbeweglich. Die dürren
Lippen waren fest geschlossen; seine harten Züge
verrieten wenig Leben; nur die stahlgrauen Au-
gen verbargen stillen Triumph. Wie gebannt haf-
teten die Blicke an dem gegenüberliegenden Kauf-
mannsschild.
Vom Norden der Stadt tönten die Fanfaren;
gleich setzte der schlagende Takt eines Marsches
ein. Hans Heinze fuhr auf und sah verwundert
umher. Nur mühsam schüttelte er die wild-wehen
Gedanken von sich wie lästige Fieberträume.
Dann schlich er weiter in lässiger Haltung, ziellos,
in sich versunken. Die Erinnerung brannte wie
glühendes Feuer. Verschwundene Bilder drängten
sich immer von neuem auf. Vor ihm steht Lhaim
Mendelsohn, der Ehef der Firma Mendelsohn 8-
Co. Sein listiges Auge mustert Heinze höhnisch;
unheilverkündetes Schweigen lastet zwischen ihnen
— und dann — war plötzlich das harte Wort ge-
fallen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel: ich
habe für Sie keine Verwendung mehr, Sie sind
entlassen. Noch heute steigt ihm die Schamröte
ins Gesicht — gedemütigt hatte er vor dem Frem-
den gestanden — er hätte um das kärgliche Stück
Brot betteln sollen. Doch nur einen Augenblick
währte das lähmende Entsetzen, einen Augenblick
nur duckte sich der Stolz vor dem kommenden
Elend. Dann war die Erkenntnis hell aufse-
flammt. Seiner Gesinnung wegen mußte er den
Dienst verlieren — wurde fortgejagt, wie ein
Hund von einer fremden Tür. Da war der uner-
bittliche Mann in ihm erwacht, das alte unbe-
zwungene Sachsenblut war zum Durchbruch ge-
kommen. Voll Trotz hat er dem Fremdling die
Wahrheit ins Gesicht gespien und wie ein Sie-
ger war er fortgegangen — er, der nunmehr dem
Hunger Preisgegebene und Obdachlose. Dann aber
kam der graue Alltag daher, mit seinen ungezähl-
ten kleinen Sorgen, der nüchterne Kampf ums
tägliche Brot. Bittere Tage des Grauens lösten

Sas Erbe
Von Edgar Hans Günther.
di« hoffenden Stunden in dumpfe Verzweiflung
auf. Die Familie rief nach Nahrung, nach Klei-
dung, nach einem Obdach. Gar zu oft mußte er
von seinen Arbeitskameraden die Vorwürfe an-
hören: er selber trage die ganze Schuld; sein
Schicksal und das der seinen habe er leichtfertig
aufs Spiel gesetzt. Da hatte er das Schweigen ge-
lernt — jenes gequälte der unschuldig Verfolg-
ten. Sie wollten ihn nicht verstehen. Auch hun-
dertmal im Tage konnte er es ihnen erläutern,
sie lebten nur für ihre kurzsichtigen Interessen
und dachten nicht mehr. So verbiß er sich in sich
selbst und rang sein entsagungsreiches Leben wei-
ter. Für ihn, Sans Heinze, war der Krieg noch
nicht zu Ende. Der große Kampf um die Befrei-
ung seines Volkes hatte erst begonnen. Sie gin-
gen alle mit mitleidigem Lächeln über seine Op-
fer hinweg — doch er wußte es besser als sie. Das
deutsche Volk benötigte die Männer, deren Be-
kennermut den Grundstein legen sollte zum neuen
Reich. Und heute hat er recht behalten. Ein mat-
tes Lächeln huschte verstohlen Wer die verwitter.
ten Züge; doch verbarg es sich gleich ängstlich un-
ter der düsteren Miene. Aber dann war auch der
schrecklichste Tag des Lebens gekommen. Mit hun-
dert anderen in Hamburg eingeschifft, versuchte
er drüben, jenseits des groben Meeres, sein Glück
zu finden. Die letzten Reste des verschwinden-
den Vaterlandes hatte er in sein fieberndes Herz
hineingetrunken. Dann war sie verschwunden, die
teure, deutsche Heimat! Für lange Jahre entwi-
chen. Mit halb geschlossenen Augen lehnte er sich
an einen Baum — die würzige Luft des ersten
Frühlings koste ibn, doch merkte Heinze nichts da-
von, denn seine Gedanken schwammen noch weit
drüben in halb versunkener Ferne. Erschütternd
zog sein Leben an ihm vorbei. Es waren rauhe
Jahre gewesen; von einer Stelle zur anderen ge-
jagt, hatte er sich durchhungern müssen, um den
Seinen das Notdürftigste senden zu können. Zehn
Jahre hartes Dasein, rücksichtsloser Kampf um das
nackte Leben; und tief im Herzen die nagende
Sehnsucht nach Weib, Kinder und Heimat. Heinze
schritt weiter. Sein Kopf war müde herabgesun-
ken und die Arme baumelten untätig umher.
Sein Auge glitt weltverloren an der vertrau-
ten Umgebung ab, so ging er einher; fremd und
abgestumpft. Seit dem Grubenunglück war er ge-
brochen, wie eine Eiche im Herbstessturm. Behut-
sam strich er sein Saar aus der Stirne zurück.
Einst war er ausgezogen als kampfbereiter star-
ker Mann — ein müder Greis war heimgekehrt.
Noch gestern abend brannte die heimliche Freu-
de rührender Ueberraschung. Doch heute war sie
ihm zögernd entglitten — mit jedem Schritt der
heimwärts führte. Drei Stunden weilte er bereits
in seiner Vaterstadt und mutlos hatte er den

Weg noch nicht gefunden — Unsicher tastete Hein-
ze an den verschossenen reiseverstaubten Kleidern.
Die Alle« war zu Ende, noch einen letzten kurzen
Blick warf er zurück: Nun war er gerächt. Men-
delsohn hatte gebüßt — zehnmal gebüßt; doch
dies half Heinze nichts mehr. Er trieb abseits
von allem Glück, als führerloses Wrack in den
Sturmfluten der allgemeinen Erhebung.
Dicht gedrängt standen die Menschen am Geh-
steig. Keiner achtete des alten Mannes, der sich
schüchtern zu ihnen gesellte. Jetzt kamen sie
heran mit klingendem Spiel und schwerem
Schritt. Der Boden dröhnte unter dem gleichen
Takt und die Luft erbebte vom jubelnden Auf-
schrei. Doppelt vereinsamt stand Heinze unter der
zukunftsfrohen begeisterten Menge. Was wollte
er hier? Er hatte das Lachen, das Hoffen und
Weinen verlernt. Er war alt. Aelter als sein
Taufschein bezeugte; sein Leben zerschellte, freud-
los entflohen.
Hans Heinze starrte gedankenschwer und welt-
entfremdet in die heranmarschierenden Kolonnen.
So stand er da, herausgerissen aus dem Leben,
sich selbst zur Last und teilnahmslos an seiner
Umwelt. Da traf ibn ein glückbeseligter Jungen-
blick. Mitten aus den Reihen sahen zwei treu-
herzige Blauaugen voll heißer Dankbarkeit zu
ihm, als wollten sie sagen: wir danken euch mit
der ganzen Inbrunst unserer jungen Seelen. Daß
wir hier marschieren dürfen, der freien deutschen
Zukunft entgegen, ist euer Werk! Die leuchten-
den Knabenaugen verschwanden mit dem schlan-
ken biegsamen Körper, der sich unter den eisernen
Klängen des Marsches straffte. Es blieb nur der
belebende Eindruck zurück, wie Morgentau auf
sonniger Heide. Ein Zittern lief, durch den mäch-
tigen Körper. Hans Heinze batte ihn erkannt:
sein eigen Blut — den innig ersehnten Sohn.
Erstickende Rührung wallte in Heinze auf und
seine feuchten Blicke klammerten sich an den Ver-
schwindenden. Die befreite Seele fühlte in dem
müden alten Körper eine neue Melodie schwin-
gen — die mit weiser Erkenntnis wie Silber-
schein das graue Sauvt erlösend umhüllte.
Dort schritt ein Stück herrlicher deutscher Zu-
kunft dem Hellen Lichte entgegen. Aus der dor-
nenvollen Vergangenheit des alten Heinze erhob
sich strahlend der neue deutsche Morgen. Schwer
atmend bewegte sich die breite Brust und die ver-
krampften Finger zuckten in starker Erregung. —
Allmählich dämmerte die tiefe Einsicht lindernd
auf. Hans Heinze wurde es Gewißheit: der dort
wird nie ein Arbeitssklave sein wie ich es war
— wird nie von Fremdlingen sein Brot erbetteln
müssen; wird niemals hungern müssen, weil er
als Deutscher sich bekennt. Dort geht im Hellen

Maientag ein freier deutscher Man« am Tag der
deutschen Arbeit. Die fremden Ketten, die sich ge-
tragen bis zum heutigen Tage find siegreich ge-
sprengt. Was liegt daran, wenn ich auch selbst im
Kampf zerschellte? Dafür schreitet die deutsche
Freiheit ihrer sonnigen Zukunft entgegen.
Kans Heinze war nun Glied geworden in die-
ser siegesfrohen Menschenmenge. Der verdorrte
Baum hatte wieder Wurzel gefaßt im jungen
Erdreich der deutschen Heimat.
Seit langem waren die braunen Kolonnen vor-
übergezogen und noch immer stand der unbekann-
te SA.-Mann von der alten Garde als Wahrzei-
chen seiner großen Zeit. Er hatte zur deutschen
Hoffnung wiodersefunden — ein neuer inhalts-
beschenkter Geist hielt seinen feierlichen Einzug in
Hans Heinze. Gedämpft hallten von ferne die
siegreichen Wort«: „Der Tag für Freiheit, und
für Brot bricht an"!
Wer das §erz auf -em „rechten Fleck"
trügt...
Die Menschen tragen im allgemeinen das Herz
auf der linken Seite. Das ist normal und geht
mit rechten Dingen zu. Aber was die Regel ist,
wirkt langweilig. Schon die alten Römer haben
diese Tatsache durch den präzisen Spruch erhärtet:
„Variatio delectat." Man interessiert sich nur
für das, was von der Schablone abweicht. Da
ist z. B. der Fall des Friseurgehilfen Franz Ivan
aus Miskole in Ungarn. Er versteht sich ebenso-
gut auf Herren- wie auf Damenfrisuren. Er ist
dienstbeflissen, geschickt, höflich, ja galant. Aber
deswegen wäre er noch nicht interessant zu nen-
nen. Er würde im Grau des Alltags versinken,
wenn nicht zufällig während eines längeren War-
tens die Sensation im Kreise der Damenkund-
schaft eklatiert wäre, daß er das Herz auf der
rechten Seite trage. Und das kam so. Mana de-
battierte über die Liebe. Alle stimmten darin
überein, daß es heute keine richtige Liebe mehr
gebe.
Die Romantik sei erstorben, als ob das Herz,
dieser empfindsame Seismograph, zu Stein ge-
worden oder — auf die rechte Seite gerutscht
wäre... Und da ertönte plötzlich die melancho-
lische Stimme des Friseurgehilfen: „Ich trage das
Herz aus der rechten Seite!" Betroffene, zweifelnde
Stille folgte diesem Geständnis, — dann begann
er zu erzählen: „Auch ich wußte lange Zeit nichts
von meiner anormalen Herzlage. Heute bin ich
26 Jahre alt; noch 1925 wurde ich bei einem Fuß-
ballkampf getreten, fiel in Ohnmacht und später
teilte mir der Arzt mit. daß ich das Herz nicht
links, sondern rechts trage. Im vorigen Jahrs
erfuhr ich andererseits nach einer Operation, daß
ich den Blinddarm — auf der linken Seite hatte!"
Ms man ibn nun fragte, wie er sich bei dieser
verkehrten „Inneneinrichtung" fühle, erklärte er.
daß er nicht die geringste Klage habe: Er sei zu-
frieden, nicht nervös, ja glücklich und sogar ver-
liebter Bräutigam...


53. Fortsetzung.
Ende November durfte ich nach bestandener
Prüfung Alleinherrscher auf der Ponte werden, im
Rhein von Mostheim kannte ich jetzt jeden Kringel
und jeden Kieselstein.
Mit dem Geld wurde es immer schlechter. Ich
verdiente alle Tage mehr, doch reichte manchmal
die Einnahme von zehn Stunden nur für ein
halbes Roggenbrot. Wollten Franzosen aufs rechte
User, blieben sie den Fahrpreis schuldig. Mahnen
durfte ich nicht, Papa Wcndland hatte es mir
verboten. Einmal wagte ich dennoch, meine Taxe
zu fordern, da brannte mir der Lümmel mit mä-
nadenbafter Wut seine Reitgerte ins Gesicht. Ein
Offizier! Sein Putzer spuckte mich an, er batte
etwas gelernt. Ich duldete es, ich hatte Frau und
Kind. Auch hörte ich in der Sonntagspredigt, daß
jedes Erdulden ein Opfer und jedes Opfer eine
Gnade sei.
Zuweilen mußten wir Gäste aus Koblenz oder
Köln beneiden, die sich über die Umgangsformen
der Amerikaner und Engländer äußerten: Verge-
waltigungen, Morde, Diebstähle und andere
Scheußlichkeiten wären unmöglich. Wb sich ein
dankee oder ein Tommy übel benähme, dort
würde er von seinen eigenen Kameraden ge-
züchtigt!
In Mostheim? Der alte Ortskommandant
wurde versetzt, er sollte sich nicht bewährt haben
Sein Nachfolger, der dritte schon seit 1918, begann
keine Tätigkeit im Sinne der neuen Parolen: Am

heiligen Abend mußte der Küster Gottlieb Dona-
tus, Vater von nunmehr sechs unmündigen Puten,
innerhalb fünfzehn Minuten wiederum sein Bün-
del packen. Frohe Weihnachten. Man schob ihn
ab ins unbesetzte Deutschland. Ursache: Einer sei-
ner Jungens batte dem Ortsbonzen die Zunge
gezeigt. Mon dien, provocateur, provocateur! Dio
Früchte des Sieges gerieten in Gefahr! Der jour
de gloire war arrive! Dabei hatte sich die Küster-
srau noch verzweifelt vor dem Würdenträger der
großen Nation aus die Knie geworfen. Was aus
ihren Kindern werden sollte! Ob der Herr Orts-
kommandant nicht auch römisch-katholisch sei . . ..!
Das unselige Menschenkind. Maria nahm sich
den ältesten Buben ins Haus, mehr konnten wir
nicht tun, seitdem schuftete ich für vier.
Und bei Lorch brach der Nollichberg auseinan-
der, als empörten sich die Steine und Felsen der
Landschaft.
Die Tage glichen sich wie welke Blätter, das
Weihnachtsfest ging vorüber, die Silvesternacht
ebenfalls, wir kauften uns keinen Kalender mehr.
Was hatte er für einen Zweck? Wir rechneten
nur noch nach Blüten und Trauben, nach Most
und Eisschollen. Eines Abends kam ich mit 206
Mark heim, ich hatte eine amerikanische Vergnii-
gungsgesellschaft über den Strom gesetzt. Die
Leute wollten sich auch einmal die Schlachtfelder
! Deutschlands betrachten. Maria rannte am näch-
' sten Morgen nach Bacharach, um ein Paar längst
notwendig gewordene Schnürschuhe zu kaufen,

aber das Geld langte nur noch für zwei Holz-
pantinen, die man am Waschtrog tragen konnte.
Und alte Rentner kamen, frühere Hausbesitzer
und Geschäftsleute. Sie boten Kleider. Sessel,
Grammophone und Standuhren seil, um einen Ei-
mer Kohlen oder ein paar Kartoffeln zu erben.
Die Zeitung schrieb, es würde noch viel toller
werden . . .
Die Franzosen saßen jetzt auch.in Frankfurt,
ihre Maschinengewehre funkten durch die Straßen.
— Dies las ich in den gleichen Tagen in einem
heiligen Buch: Der gerechte Sieger freuet sich sei-
ner Gnade und erlöst sich durch Milde!
Nein, wir zählten die Tage und Monate nicht
mehr, weil man nur noch Sinnvolles zählen mochte.
Dennoch rechnete ich eines Morgens das Datum
aus. Sebastian war in seinem Waschkorb wach
geworden, hotte wieder Bläschen gespuckt und Flie-
gen gefangen. Maria und ich lagen noch in den
Federn, als ich dem Buben zuschnalzte. Der
Knirps reckte sich hoch, seine Pupillchen glühten:
„Bata! Vata!"
Moria schrie vor Glück. Es war an einem 3.
November, morgens um 6 Uhr, das Kaffeewasser
kochte schon, alle Leute, die Hubertus hießen, hat-
ten Namenstag, auf dem Kalenderblatt, das wir
zum erstenmal wieder in die Hand nahmen, stand
der Spruch: „Auch wenn du dich nicht für wert
hältst, kann die Freude zu dir kommen!" Darun-
ter: „Krebssuppe nach Feinschmecker Art, Reh-
braten in Rahm, Vanille-Eis."
Jede Gemeinde gab eignes Notgeld aus. Bn^
Meißen prägte man Fünfhundertmarkstücke aus
braunem und weißem Porzellan. Die braunen
sahen aus wie Tabletten gegen Spulwürmer, die
weißen wie scharfe Pfefferminzchen. Wüste Zeit:
Man planschte in den Tausendern, aber der Ma-
gen bellte wie ein Neufundländer.
„Vata! Vata!" — Ich hatte meinen Humor
wieder. Maria nahm mir den Bengel ab, weil
er schon blau anlies vom Drücken. In unserm
Keller geschah ein Volksfest. Pankraz Wendland

mußte Riesling von 1921 stiften. Er tat es so-
fort, denn er war wieder voll wie eine Senke.
Doch hieß es immer schon, es sei nicht gut, daß
der Mensch übermütig werde. Ich hatte meine
Ponte am Abend des gleichen Tages verankert,
die rote Laterne blinkte frisch mit Petroleum ge-
tränkt im Mast, da erschien ein ortsfremder Ge-
selle am User und fragte mich: „Sie sind der
Fährmann Manes Himmerod?"
Ich brauchte das nicht zu verheimlichen.
„Mich kennen Sie nicht?"
Ich verneinte das und betrachtete mir den Kerl
genauer. Er hatte etwas vom Benimm meines
Kompagniefübrers Quambusch. Ich schlug danach:
„Sie waren Offizier in Preußen!"
Er zog mich ins Gebüsch der Weiden, starrte
mich an. So blickte nur ein Prüfender, die Dun-
kelheit sorgte für eine unheimliche, theaterkafte
Beleuchtung. Der Bursche sah weiß und toten-
gräberisch aus, ich ertrug aber seinen Blick, was
er suchte, sollte er finden, meine Seele konnte nur
schwarz für einen feindseligen Späher sein. Der
Fremde sprach keine Silbe mehr, er drehte nur
jenes Knopfloch nach außen, in dem man im
Sommer eine Blume zu tragen pflegt. Ich er-
kannte im Zwielicht das Zeichen eines geheimen
Ordens, schwarzes Schwert auf elfenbeinernem
Wavpengrund. Und erschrak nicht vor dieser Ent-
hüllung, weil sie mich nicht ärgerte. Der Selt-
same hob die Brust voll Luft, ließ meine Hand
locker: „Himmerod, es kann schon heute losgehen,
es kann auch noch Wochen dauern-!"
„Was?"
Der Fremde steckte mir einen Brief in die Rock-
tasche, griff achtern nach seiner Hose, quetschte mir
ein kaltes Stück Eisen in die Faust.
„Revolver —-?"
„Verschwinden lassen, wir brauchen Sie!"
„Ich hab Frau und Kind!"
„Ich auch! Darum geht es ja!"
„Wozu das alles?"
„Bries lesen." (Fortsetzung folgt.)
 
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