Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (3) — 1933 (Juli-August)

DOI Kapitel:
Nr. 190-220 (1. - 31. August)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.70558#0464
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Monkag, den 7. August 1933.


SnnMagelt Ser VolksWule
Suse« Zstzvle r«m G»v«vtstag

Sw MSner Somiai
Der erste Sonntag im August hat zur Freude
vieler Volksgenossen nach der Regenperiode Hoch-
sommerliches Wetter beschert. Dabei kamen selbst-
verständlich die Wassersportler voll und ganz auf
ihre Rechnung, so daß der Neckar ein buntbe-
lebtes Bild aufwies. An den Ufern und im Was-
ser herrschte fröhlicher Hochbetrieb, so vor allem
auf der Neckarwiese und an den anderen Bade-
gelegenheiten. Bootz, sowie das Freibad hatten
wie immer an solchen Sonntagen Massenbesuch
zu verzeichnen. Die Turner-Wasserfahrer haben
zum Teil ihre Zelte auf dem Neckarvorland ab-
geschlagen und die Weiterreise zu Wasser und zu
Land angetreten. Auch für den Landwirt wirkt
sich die heiße Witterung segensreich aus, da die
Ernte an vielen Orten noch im Gange ist. Eben-
so begrüßen die Winzer das schöne Wetter, das
für den Rsbenstand von großem Vorteil ist. So
darf mit Freuden festgestellt werden, daß bei der
allgemeinen Besserung der wirtschaftlichen Not-
lage auch die Natur nicht beiseite stehen und
ihren Teil an dem Wiederaufbau beitragen will.
Fackelzug der RG Heidelberg. Am Samstag,
dem Vorabend des 60. Geburtstages ihres ersten
Vorsitzenden Ludwig Reisig, veranstaltete die
REH einen Fackelzug. Den Aufmarsch hatte SS-
Standartenführer Konrad Zahn in seiner Ei-
genschaft als Sportkommissar und REH-Mitglied
mustergültig durchgeführt. Vom Sammelplatz am
Kornmarkt nahm der Zug seinen Weg durch die
Hauptstraße bis zur Wohnung des Jubilars in
der Fahrtgasse. Bei helleuchtendem Fackelschein
überbrachte Hauptlehrer Schwarz die Glückwünsche
der NEH. Ludwig Reisig dankte sichtlich bewegt.
Mit dem Deutschland« und Horst-Wessel-Lied war
der erste Teil beendet. Der Weitermarsch er-
folgte durch die Sofienstraße, Bergheimerstraße
zum Bootshaus. Daselbst blieben die Mitglie-
der und Gäste bis in das Morgengrauen zusam-
men. Ausführlicher Bericht hierüber folgt in der
morgigen Ausgabe.
Die heutige Bürgsrausschußsitzuna, deren um-
fangreiche Tagesordnung wir bererts veröffent-
lichten, beginnt um 16 Uhr.
Umsiedlung von Erwerbslosen aus das Land.
Bewerber, die an der Umsiedlung Jnieresse ha-
ben, verweisen wir auf die heutige Bekannt-
machung im Inseratenteil.
Die Stelle eines hauptamtlichen Stadtarztes
ist jetzt, wie aus dem heutigen Inseratenteil er-
sichtlich ist, zur Bewerbung ausgeschrieben.
Vom Einzelhandel. Der langjährige Ge-
schäftsführer des llnterbadischen Verbandes des
Einzelhandels, Julius Ueberle, hat diesen Po-
sten verlassen, um einer Berufung in den Vor-
stand der Landesbank für Haus- und Grundbesitz
in Karlsruhe Folge zu leisten.
LmleLrarM
Schon von den frühesten Tagen der Mensch-
heitsgeschichte an- war die Ernte, deren schick-
salhafte Bedeutung der ackerbautreibende Mensch
erkannte, mit mancherlei Sitten, religiösen Bräu-
chen, mit Tanz und Spiel verbunden. Vor dem
ersten Kornschnitt wurden im alten Germanien
die Götter angerufen, die ersten Garben werden
ihnen geweiht. Die Ernte begann möglichst an
einem Freitag zu Ehren der Göttin Freia, die
,a die Göttin nicht blos der Liebe, sondern auch
des Gedeihens und Wachstums war. Ihr zu Eh-
ren wurden bei Erntebeginn die drei ersten Meh-
ren geschnitten und auf den Acker gelegt.
Manche derartige alte Sitten der Vorzeit haben
sich auf den heutigen Tag erhalten. So läßt der
Bauer beim Ernten einige Bündel stehen. Oder
auch man bindet die letzten Aehren des Feldes zu
sammen und schmückt diesen Bündel mit Korn-
blumen. Diese Bündel werden umtanzt und um-
süngen. Auch bannt man da und dort noch heute
die bösen Korngeister, so namentlich den Wilwis.
Darunter verstand man früher ein Gespenst, das
dadurch großen Schaden anrichten kann, daß es
mit einer Sichel an den Füßen durch das Korn-
feld schreitet. Um diesen Kobold bei guter Laune
zu erhalten, wird ihm die erste Garbe gespendet.
Später hat das Christentum auch hier einen
grundlegenden Wandel gebracht. Schutzheilige der
Einte waren in Bayern u. a. St. Kilian, von
dem das Wort geht: „St. Kilian — Stellt den
Schnitter an", in Böhmen St. Margareth: „St.
Margareth führt die Schnitter ins Korn", in
Dänemark St. Knud. Wenn das Getreide bereits
gereift war, begann man allgemein mit der Ern-
te am St. Jakobstag, also am 25. Juli. Die ei-
gentlichen Ernteheiligen sind aber Laurentius

Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß der
Wissenschaft der deutschen Volkskunde im neuen
Staat ganz besondere Bedeutung zukommt, ist sie
doch, wie Wilhelm Heinrich Riehl sagt, die natio-
nalste aller Wissenschaften, weil sie zur Art des
eigenen Volkes führt.
Mit anderen Wissenschaften verglichen, ist die
Volkskunde eine verhältnismäßig junge Wissen-
schaft. Herders Gedanken waren wegbereitend für
sie, die Brüder Grimm waren ihre großen An-
reger und Förderer, Wilhelm Heinrich Riehl hat
sie durch seinen berühmten Vortrag aus dem
Jahr 1858: „Die Volkskunde als Wissenschaft"
zu einem eigenen Forschungsfach, zur Wissen-
schaft erhoben.
Aus der Folgezeit leuchten die Namen Karl
Weinhold, Eugen Mogk, Albrecht Dieterich, Edu-
ard Hoffmann-Krayer, Eugen Fehrle, besonders
hervor. Jahrelang hat sich gerade Fehrle bei
uns in Baden für die Anerkennung und den Aus-
bau der volkskundlichen Wissenschaft eingesetzt.
Daß er heute im badischen Unterrichstwesen und
Geistesleben an hervorragender Stelle steht, er-
füllt alle, die ihn kennen, einerseits mit Freude,
weil Fehrle jetzt die ihm gebührende Stelle ein-
nimmt, andrerseits mit Schmerz, weil er seinem
Heidelberger Wirkungskreis dadurch in weit-
gehendem Maß entzogen wird. Wir Heidelberger
hoffen, daß wir Fehrle nicht für immer entbeh-
ren müssen.
Wraum wir gerade heute von Fehrle und der
Volkskunde sprechen, geschieht deshalb, weil am
heutigen Montag Eugen Fehrle das 53. Lebens-
jahr erreicht und damit seinen ersten Geburtstag
im neuen Reich feiert, für dessen Werden er sich
nicht nur politisch, sondern besonders auch durch
seine wissenschaftlichen Werke, eingesetzt hat. Diese
werden am schönsten gekennzeichnet durch die enge
Verbindung von Wissenschaft und Leben, die aus
ihnen spricht. Die Bücher Fehrle's wollten den
in den letzten Jahren so zahlreich gewordenen
volksfremden Menschen Führer und Wegweiser
sein zurück zum deutschen Volkstum und zur
deutschen Heimat, mit der Fehrle von Jugend auf
verbunden geblieben ist. Wenn er es auch selten
aussprach, so stand doch vor all seiner Arbeit als
Ziel die Stärkung unseres Volkstums und der
Wiederaufstieg unseres Volkes. Nicht vom grü-
nen Tisch oder nur von der Studierstube aus
suchte Fehrle diese Aufgabe zu lösen, sondern in
engster Verbundenheit mit dem Volk durch die
Wissenschaft vom Volk. Alle seine Arbeiten hat-
ten das Ziel, die von der Volkskunde gewon-
nenen Ergebnisse nutzbar zu machen für das
Volksleben, für die Zukunft zu arbeiten und den
Mutterboden zu bereiten, in dem all unsere Kul-
tur und unser Leben wurzeln muß. Daß wir auf
dem Weg dazu sind, das zu werden, was Fehrle
als Letztes immer wollte, nämlich ein Volk, das
mag Fehrle heute an seinem Ehrenlag, an dem
wir ihm unsere besten Wüusche daroringen, mit
besonderer Freude erfüllen.
Wenn wir nun von einigen Fragen der Volks-
kunde sprechen, so wissen wir, daß wir damit im
Sinne Fehrle's handeln, der nie seine Person in
den Vordergrund gestellt wissen will. (Uebri-
gens ist Fehrle's Gesamtschaffen vor nicht allzu-
langer Zeit, am 1. April 1933, durch einen Auf-
satz von Hanns Schmiedel ausführlich gewürdigt
worden.). Wir meinen, Eugen Fehrle am mei-
sten dadurch Freude zu machen, daß wir für sein
Werk werben und immer und immer wieder auf
die Wissenschaft der Volkskunde Hinweisen, da-
mit die Kunde von ihr und die daraus sicher er-
wachsende Liebe zu ihr in weiteste Kreise un-
seres Volkes dringt.
Fragen wir nach dem Wesen, nach dem Gegen-
stand dieser Wissenschaft, so gibt uns das Wort
Volkskunde selbst nur oberflächliche Auskunft.
Volkskunde bedeutet ganz allgemein Kunde vom
Volk. Daß diese Begriffsbestimmung zu einfach
oder besser zu unbegrenzt ist, ist klar. Fragen wir
deshalb weiter, was die einzelnen Volkskundler

am 10. und 24. August. Von Laurentius, der in
der einen Hand den Regen und in der anderen
das Feuer hält, heißt es, daß er das Wetter
machen kann, wie er will. Am Bartholomäus-
tag glaubt das Landvolk, daß der Heilige über
die Felder schreitet, weshalb viele Landleute an
diesem Tage nicht aufs Feld gehen, um ihn nicht
zu verscheuchen. In Spanien dagegen werden zu
Ehren St. Bartholomä großartige Flurprozes-
sionen abgehalten. Das größte christliche Ernte-
fest ist das Erntedankfest am Schlüsse der Ernte,
an dem Gott, dem Herrn, Dank und Lob gesagt
wird für das Gedeihen und Einbringen des täg-
lichen Brotes.

darunter verstehen, so finden wir, daß die Ant-
wort, die Eugen Mogk 1907 auf diese Frage gab,
im großen und ganzen heute noch anerkannt wird.
Darnach sind die geistigen Aeußerungen eines
Volkes, die durch psychische Assoziation entstanden,
bezw. fortgepslanzt oder verändert worden sind,
Gegenstand der volkskundlichen Forschung. Was
bedeutet das gelehrte Wort „psychische Assozia-
tion"? Assoziation kommt vom lat. associare und
heißt Aneinanderreihung. Psychisch ist nicht leicht
zu verdeutschen, es kommt vom Griechischen und
bedeutet dort Seele, seelisch. Als durch psychische
Assoziation entstandene Vorstellungen wären solche
Vorstellungen zu bezeichnen, bei deren Ent-
stehung der Verstand keine oder nur eine geringe
Rolle spielt, die nicht den Denkgesetzen gemäß
entstanden sind, sondern die vielmehr aus sich an-
einanderreihenden Empfindungen und Erlebnis-
sen entstehen und so wirken, wie sie an uns
herankommen. Je unmittelbarer sie herankom-
men, desto stärker ist ihre Einwirkungskraft und
desto stärker rufen sie die Erinnerung an ähn-
lich geartete Erlebnisse wach.
Wir verdeutlichen das Gesagte durch ein Bei-
spiel: Keiner begegnet gern einem Leichenzug.
Der Dnrchschnittsphilister ist am wenigsten dafür
empfindlich, aber jeder andere hat kein ange«
nchmes Gefühl bei einer solchen Begegnung. Der
Verstand sagt uns zwar, daß die Begegnung nichts
mit unserem Schicksal zu tun hat, in unserer
Empfindung dagegen reiht sich an die Vor.
stellnng des Todes, die durch den Leichenzug
gegeben ist, die Vorstellung Von Tod und Un-
heil für uns selbst. Begegnung mit einem Lei-
chenzug bringt also nach dem Glauben des
„Volkes" Unglück.
Wir wählten das Beispiel aus dem Gebiet
des Volksglaubens. Seine Erforschung gehört
mit zu dem Schönsten und Lohnendsten in der
Volkskunde. Andere sehr anziehende Gebiete
betreffen die Welt der Märchen und Sagen,
Sitte und Brauch, Volkslied und Volkskunst
u. a. m. Aus der Einbeziehung dieses letzteren
Gebietes der Volkskunst, wozu wir Schmuckge-
genstände, Arbeitsgeräte und Tracksten, unter
Umständen auch das Bauernhaus rechnen können,
ergeben sich gelegentlich Meinungsverschiedenhei-
ten innerhalb der volkskundlichen Wissenschaft.
Manche meinen, die Sachgüter hätten aus der
Volkskunde auszuscheiden, weil sie psycholo-
gischer Betrachtung nicht zugänglich sind? Wem
einmal die Übereinstimmung von Landschaft,
Mensch, Sprache, Tracht und Hans einer bestimm-
ten Gegend aufgegangen ist, wird erkannt ha-
ben, wie sehr sich gerade ans der Tracht, um bei
diesem Beispiel zu bleiben, Rückschlüsse auf die
Geistigket des Trägers der Tracht aufstellen las-
sen.
Eine andere wichtige Frage ist die, was die
Volkskunde eigentlich unter „Volk" versteht. Die
Tatsache, daß es die Volkskunde auf weite Strei-
ken mit der Erforschung des Bauerntums zu tun
hat, hat den früheren bildungsstolzen Zeitgeist
vielfach zur Ablehnung der Volkskunde geführt.
Wenn auch Volkskunde am besten am Bauern-
tum zu betreiben ist, so ist die Gleichsetzung
Volkskunde—Bauernkunde doch falsch. Bäuerliche
Lebensformen und -Aeußerungen werden nur
deshalb studiert, weil beim Bauern der Zusam-
menhang mit der Natur, die Natürlichkeit des
Fühlens, Denkens und Handelns ungleich größer
ist als beim Stadtmenschen. Freilich ist auch das
Stadtvolk Gegenstand der Volkskunde, soweit
ihm noch „jene naturhafte, noch nicht oder nur
unvollkommen intellektualisierte Geisteshaltung
eigen ist, sei es offen oder verdrängt, ständig
oder zeitweise, wesensbestimmend oder beiläufig."
Volk bedeutet also nicht Bauernstand, auch nicht
soziale Unterschicht, auch nicht die politisch-staat-
liche Einheit einer Gruppe von Menschen. Volk
im Sinn der Volkskunde umfaßt vielmehr in der
Hauptsache diejenigen Menschen, deren Geistes-
haltung durch Erfahrung und Beobachtung des
Alltagslebens wesentlich gefühlsmäßig und trieb-
haft bestimmt ist. Die Aeußerungen all dieser
Menschen erforscht die Volkskunde.
Im letzten Jahrzehnt spielt die herkunfts-
mäßige Scheidung aller volkstümlichen Gebilde
eine große Rolle. Hans Naumann will die ge-
samte Stoffmasse nach ihrer Herkunft trennen in
primitives Eemeinschaftsgut und gesunkenes Kul-
turgut. Für Einzelfälle sind diese Ausdrücke am
Platz, will man sie verallgemeinern, so entsteht
zweifellos ein falsches Bild- Zwei Beispiele: Ein
Märchen, ein Volkslied wird sicher nicht von
einer Gemeinschaft gedichtet oder verfaßt; sie
mag anregend auf die Gestaltung wirken, die
Gestaltung selbst aber wird immer durch einen
einzelnen vollzogen. Und das andere: Man hat
die Volkstracht oft als abgetragene Ware der
Städte bezeichnen wollen. Die Trachtenforschung
hat jedoch gezeigt, daß die Trachten einst eine
allgemeine deutsche Mode waren, daß sie später

mit der Zunahme des Reichtum» in den Städten
nur noch von den Bauern getragen wurden, daß
sie aber dabei im Laufe langer Zeit oft so voll-
ständig umgestaltet worden find, daß etwas völ-
lig Neues entstand. Und gerade das Neuentstan-
dene bekundet oft den schöpferischen und stilvollen
Geschmack des Bauernvolkes in so weitgehendem
Maß, daß keiner mehr von „Sinken" und
„primitiv" reden kann.
Das Wichtigste an der Volkskunde ist viel-
leicht dies: Sie will nicht reine, sondern auch
angewandte Wissenschaft sein, wie es Jahn
Meier ähnlich formuliert hat. Im eigenen Volk
sieht sie ihren Stoff und sie kann nach seiner
wissenschaftlichen Verarbeitung durch ihn wieder
unmittelbar auf das Wesen und die Entwicklung
des Volkes einwirken. Daß möglichst viele sich
dieser Arbeit tätig Hingaben oder sie mindestens
wohlwollend beachten, ist eine dringende Forde-
rung des Tage weil auch auf diesem Weg Volks-
gemeinschaft werden kann.
Karl Schwab.

Gartenpflege und ArveitsöejKaMm
Geht man heute als Fachmann durch die
Gartenstratzen unserer Städte, vorbei an den al-
ten Verggärten, so kommt einen ost das Grauen
an, über die schon mehr als romantische Ver-
wahrlosung, die hier herrscht. Wenn auch eine
gewisse Einschränkung gegenüber früheren besse-
ren Zeiten gegeben sein dürste, so doch nicht in
dem Maße, daß einstmals gut gepflegte Garten
— doch auch ein Kulturausdruck einer Zeit —
in Wildnis oder Verödung untergehen. Beson-
ders zu bedauern aber ist diese Erscheinung vom
Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Arbeits-
beschaffung. Der Garten als Grundstück ist doch
ein Stück Wert- oder schlechthin Kapitalanlage,
der in ideeller oder materieller Form einen Er-
trag abwerfen soll. Dies kann er aber nur in
gepflegter Form. Im einen Fall soll er
durch Blumenschmuck das Auge erfreuen, durch
Rasenflächen, Laubgänge, behagliche Sihfplätze
als Ort der Entspannung und des Ausruhens
dienen; zum anderen soll er für den Haushalt
Früchte, Gemüse und Kräuter erzeugen. In
beiden Fällen ist aber ein« liebevolle und vor
allem sachverständige Pflege die Grundbedin-
gung für einen Erfolg.
Dazur gehören zunächst einmal die Kennt-
nisse der Lebens- und Kulturbedingungen feder
einzelnen Pflanzenart, und dann das handwerk-
liche Können der daraus notwendig werdenden
Arbeiten. Es sei gerne zugegeben, daß es eine
Anzahl Laien gibt, denen das Gefühl für Pflan-
zenzucht und -pflege angeboren ist, und die sich
auch über die fortschreitenden Erfahrungen auf
dem Laufenden halten. Sie werden aber stets
nur vereinzelt anzutreffen sein. Die große
Mehrzahl der Gartenbesitzer aber hat nicht die
nötigen Kenntnisse der Kultur und Pflege der
Gartenpflanzen. Sie fordern von der Pflanze
Fähigkeiten, wie man von totem Baumaterial,
etwa einem Backstein oder eisernen Träger, zu
fordern gewohnt ist. Ferner glauben sie, mit
dem einmal vorgenommenen Setzen der Pflan-
zen sei alles Notwendige zum Besitze eines
schönen, bzw. nützlichen Gartens getan.
Nein! Wie ich schon erwähnte, ist die Pflanze
ein lebendiger Organismus, der durch sein gan-
zes Leben hindurch gepflegt und behütet sein
will. Dieselbe Sorgfalt, die uns bei der Heran-
bildung des jungen Menschen oder beispielsweise
auch bei der Aufzucht unserer Haustiere seit
langem eine Selbstverständlichkeit geworden ist,
ist auch für den erfolgreichen Pflanzenbau nötig.
Und genau so wenig, wie sich etwa ein Schlosser
als Pferdezüchter eignen dürfte, kann ein Hand-
werksmeister, Kaufmann oder Gelehrter — mit
wenig Ausnahmen — die Erfahrungen und
Kenntnisse eines Verufsgärtners haben. Es Zoll
hier auch einmal gesagt sein, daß wohl wenig
Berufe ein derartig vielseitiges, praktisches und
theoretisches Wissens- und Erfahrungsgebiet um-
fassen, wie gerade der des wirklichen Gärt-
ners.
Deshalb ist es auch falsch, sich bei der Nfleae
des Gartens ungelernter Hilfskräfte zu bedienen,
die vielleicht ein paar Pfennige weniger berech-
nen, aber nur neue Enttäuschung bringen.
Zum Schluß noch ein Wort an diejenigen
Volksgenossen, die aus Furcht, als reich oder ver-
schwenderisch verschrieen zu werden, trotz vor-
handener oder aufbringbarer Mittel, nicht wa-
gen, in ihrem Garten arbeiten zu lassen. Ab-
gesehen davon, daß diese Furcht unbegründet
ist; schafft die Feststellung, daß allenthalben
wieder gearbeitet wird, schon günstige psy-
chologische Voraussetzungen für den Neuaufbau
unserer ganzen Volkswirtschaft. Und weiter: wie
in jedem Organismus, so ist auch im Organis-
mus eines Volkes die Gesundheit des Ganzen
abhängig von der Lebensfähigkeit jedes klein-
sten Teils desselben. Deshalb muß jeder deutsche
Volksgenosse, der — wenn auch nur in beschei-
denem Maße — in der Lage ist, einen anderen
Volksgenossen Arbeit zu geben und damit zu
einer Existenz zu verhelfen, der Aufforderung
unseres Führers Folge leisten und — Arbeit
schaffen! Und wenn es beim Einzelnen auch
wenig ist: viele Wenig geben doch ein Viel!
Darum gebt Arbeit auch dem in großer Not
befindlichen deutschen Gärtner!
W. Theilacker, Pg.

8. LEWS SdM 8.3S M ill SZU 81MM MKL WWMN'MÄL MMWiM
 
Annotationen