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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (September bis Dezember)

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Nr. 221 - Nr. 230 (21. September - 3. Oktober)
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Volkszeitung

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Heidelberg, Montag, den 2. Oktober 1922

Nr. 229

Tages-Mung sU die umMtige Bevölkerung ver Amtsbezirke öeidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Winsen, Cberbach, Mosbach, Bachen, Melsbeim, BNberg, TanberbWolsheim n. Wertheim
4. Jahrgang

Die gärende Wissenschaft.
Vsn der Mnfzigjahrfeicr des Vereins für
Sozialpolitik.
Von Max Q u a r ck - Frankfurt a. Main.
Wie alles in Deutschland und der Welt, so ist
l>'. unseren Tagen auch dis Wissenschaft und vor al-
lein die national-ökonomische und staatswirtschaft-
liche Wissenschaft von einer tiefgehenden Gärung
«ergriffen. Wie mächtig diese innere Bewegung
Mm, das offenbarte die nunmehr beendete Fürff-
Kigtahrfeier des Deutschen Vereins fiir Sozialpoli-
tik. Aus einer Jubelfeier wurde sie zu einer höchst
bemerkenswerten Auseinandersetzung zwi-
schen stark entgegengesetzten Stimmungen, die diese
«lte Vereinigung akademischer und praktischer So-
zialpolitiker beeinflussen und uW Geltung in ihr
Nrnpfen. Zwar hat sich der Verein fiir Sozialpoli-
tik auch in der Vergangenheit niemals allzu einjei-
tig und auffällig festgelegt und daran festgehalten,
das; in ihm jede sachlich begründete Anschauung
vorgstragen und propagiert werden konnte, die ra-
dikalste wie die konservativste. Der Schöpfer des
„Hohenzollernstndenten", der ganz preussische Pro-
zessor Schmoll er, hat dort mit dem sozial links-
stehenden Bücher-Leipzig und dem freihändleri-
sche!« Vorkämpfer der englischen Gewerkvereins al-
ler Richtung, mit Lujo Brentano ebenso zusam-
MenWarheitet,. wie diese mit dem unerbittlichen
tlnd unbestechlichen Agrarhistortker Knapp-Strass-
burg. und diese vorbehaltlose Mischung war
und heute noch die Stärke des Vereins. Aber
sie setzte bisher doch ein Gemeinsames vor-
aus: -aß niemand in ihm wirke, der Gegner der
Sozialpolitik sei.
De« Verein für Sozialpolitik ist für Deutschland
und darüber hinaus bisher der maßvolle, aber
Mnndsätzlich auf der Seite der Schwachen und Be-
drückten stehende wissenschaftliche Vorkämpfer der
Sozialpolitik gewesen. Er hat gegen die liberal-
kapitalistischs Manchesterschule Stellung genommen
und die Berlepsch -- Refor kN e n der ersten SOer
Vähre herbeiführen Helsen. Durch seine Untersu-
chungen über Hausindustrie, Handwerk und Grotz-
Uhdustue lieferte er der Gewerkschafts- und der po-
litischen Bewegung wertvolle Unterlagen
lür ihre sozialresormatorischen Bestrebungen. Und
unvergessen mutz ihm bleiben, wie « aus seiner
Frankfurter Tagung vor mehr als 30 Jahren dem
Ansturm der koalitionsfeindlichen Schwerindustrie
Mndhielt und das Koalitivnsrecht mannhaft ver-
trat. Daneben gab es aber auch schwächere Teile
^seiner Tätigkeit. AVer den Spottnamen „Kathe-
dsrsozialisten", den die nationalliberale
Dresse dem Verein anheftete, Haven sich seine matz-
«ebenden Mitglieder ehrlich und im Ernst verdient.
Er wurde ein Ruhmestitel für sie.
Und um diesen Kernpunkt seines bisherigen We-
nns und Tuns kreiste denn auch die Gärungsbewe-
tzung, die sich auf der jetzigen Jubelfeier in Eisenach
äußerte. Professor Stein-Frankfurt a. M. war
der Wortführer einer Strömung, die zum erstenmal
, r gewerkschaftlichen und sozialistischen Bewegung
im Deutschland sich grundsätzlich entgegenstellen
wollte. Das Losungswort war: Gegen die Zwangs-
wirtschaft der Verbände, und gemeint waren un-
ausgesprochen die Träger der Staatsumwälzuug,
, , ötotzen Arbeiter- und Angestelltenverbände,
nicht so sehr die preistreibenden und reaktionären
llnternehmerverbände. Die älteren Elemente
^Eius fiip Sozialpolitik waren eben auch be-
troffen von der völligen Umstellung der Einkom-
meWverhaltnisse und der Staatswirtschaft, die sich
m Deutschlaird vollzieht. Der Rückgang der staat-
...e,') Aufwendungen für alle höheren Kulturwerte
Müllt sie mit Schmerz und Erbitterung.
Ker Staat werde „verzehrt vom Materialisinus
Verbände». Gegen diesen käme die
mrnne Stimme der Wissenschaft nicht mehr aus. So
E) der Korreferent Steins, de« Berliner
Herkner, der bekannte Verfasser der
^Aiveiterfrage«, die so viele Gebildete schon in die
^r Wissenschaft deshalb so „dünn" sei,
"ltere, unpolitische Erziehung der Wifseu-
dlese so einflußlos' gemacht habe, wurde
tein und Alfred Weber zugestanden,
w« Erlöse" Haltung und ihre Vertreter hät-
d e gemacht. Hinein in die Parteien,
die Parole*! "^n°N' dte Versammlungen, lautet jetzt
nritN'M^" meuter an den Verhandlungen und un-
itteibarer^ Beobachter darf ich feflstellen, das; der
täum" vorläufig und auf der Juvi-
des Vereins für Sozialpolitik
den gewünschten Widerhall gesunden hat.
lime ml.« /'Etsch ansgedrückt: der volkspartei-
,'nitzglückt. Natürlich liegen die
S ein de?im "ar. Auch Professor
zua anc/ar ""^? '>hwort den augenfälligsten Rück-
bon das Gegenteil da-
was sein Referat gefordert hatte will
die Sozialpolitik nicht still stellen. Mer srwollie
se mit der Formulierung, datz die beste Wtrtschafts-
» biik immer auch die wirkungsvollste Sozialpolitik
»cn^ ""d wre Fortentwicklung zu
,1!'°ir^"scher und gemeinwirtschaftlicher Selbst-
'erwaltung, zur Wirtschaftsdemokratie, aufhalten.
w in Wirklichkeit auch hier, in der gärenden
KM de« Wissenschaft, um die beiden Gegensätze

gerungen: Großkapitalisnku s und verstärk-
te Herrschaft und Geltung des neuen Reichtums,
oder Arbeiterdemokratie im weitesten
Sinne, Demokratie auch der geistigen Arbeiter. Und
die Mehrheit namentlich der jüngeren Sozial-
politiken und Wissenschaftler im Verein entschied sich
für das letztere, also für den Anschluß an die große
soziale Bewegungswelle, die jetzt durch die Welt
geht. Das Referat von Georg Bernhard-Ber-
lin Wer die Stellung von Journalisten im heutigen
Daseinskämpfe schlug nicht zuM wenigsten mit nach
dieser Richtung durch. Es zeigte in packend-reali-
stischer Darstellungsweise, wie sich der Redakteur und
Journalist auch als geistige« Arbeite« zum Tarif-
wesen und zum gewerkschaftlichen Kampf habe
durchringen Müssen, so sehr die geistige Arbeit zur
Individualisierung und Eigenbrötelei neigt und
deshalb besonders schwer organisierbar ist. Die
Feststellung schlug durch, datz sich nur mit Organi-
sationsmitteln die Sicherung des Existenzminimums
unter den neuen Verhältnissen erreichen lätzt, die
den übrigen Arten der geistigen Arbeit tatsächlich
noch fehlt. Unmittelbar an die Tagungen des Ver-
eins für Sozialpolitik schließen sich Verhandlungen
namentlich der akademischen Wirtschaftslehre« und
der jüngeren Professoren, die denselben Weg be-
schreiten wollen, wie die Journalisten. Von der
Professorenzunft zur Gewerkschaft der Wissenschaft-
ler! Auf die Utopie des „geistigen Generalstreiks",
die der praktisch anscheinend ganz unerfahrene So-
zialpolitiken Leopold von Wiese für alle Lehrer,

Merzte, Rechtsanwälte usw. zu« Erzwingung besse-
rer Honorierung andeuten zu dürfen glaubte, wird
diese junge Gewerkschaftsbewegung der Akademiker
sich nicht einlassen, dessen kann man ziemlich sicher
fein, wenn man ihre praktischen Köpfe kennt. Hof-
fentlich erschöpft sie sich ebensowenig im Lohnkampf,
wie die Arbeiter, Beamten und Angestellten dies
auf die Dauer tun dürfen. Vielleicht bahnt sich hier
vielmehr endlich eine gründliche Politisierung der
geistige« Arbeiter von unten herauf an und damit
auch de« langersehnte Bund zwischen geistiger und
körperlich^ Arbeit gegen den gemeinschaftlichen
wirtschaftlichen und sozialen Gegner . -. .
Einstweilen ist freilich auch in diesen Schichten,
die voraussetzungsloses Erkennen und Erklären der
wirtschaftlichen Entwicklung als ihre Berufstätigkeit
betreiben und deshalb die am besten Unterrichteten
fein sollten, noch alles in voller Gärung.
Auch die Wissenschaft ist eben nur Menschen-
werk, das allen Entwicklungs-- und Fehlergesetzen
menschliche« Einrichtungen und Eigenschaften un-
terliegt. Slber die deutsche Wissenschaft kann, wenn
sie endlich der Forschung und ihren Ergebnissen die
mutige Tat hinzuzufügen lernt. Großes für die
Klärung leisten, die der Gärung folgen soll. Möge
ihr im Gegensatz zu früher dieser MutzumHan-
deln durch die Not gegeben werden — dann wird
sie eine mächtige Helferin beim Wiederaufbau
Deutschlands werden können und sich der kapitalisti-
schen Unfreiheit entringen, deren sie sich bewußt zu
werden anfängt.

Ernste Situation im Orient.
Wie es die Italiener und Franzosen getan haben,

Die Lage im Orient wird immer ernster. In
London hegt man, einer Meldung der „Telegr.
Union" zufolge, bereits wenig HoffnMg, datz durch
die Zusammenkunft zwischen Mnstapya Kemal
und General Harrington ein Konflikt vermie-
den werde. Die Pariser Presse betrachtet mit viel
Besorgnis die Entwicklung der Dinge An Orient
und der „Petit Parisien" schreibt, daß unter
den gegenwärtigen Umständen nur «W einziges
wirksames Mittel übrig bleibe, nämlich dasjenige,
von den Türken zu erreichen, daß sie ihr« Truppen
in eine vernünftige Entfernung zurückziehen
und datz anderseits England sich entschließen müsse,
Tscyarmk zu räumen und auf das nördliche DaK>a-
nellenuser zurückzulehren. Das Blatt betont, daß
ein derartiger Vergleich die britische Eigenliebe
nicht verletzen könnte und daß auch die Türkei sich
ihm sehr gut unterwerfen könnte. Von türkischer
Seite würde eine hartnäckige Haltung um so un-
vernünftiger sein, als die Türkei Wahlschein-,
lich im Vergleichsfalle von England das Recht er-
halten würde, Tmppönabteilungen nach Thrazien
und aus die andere Seite des Marmaramecrcs zu
transportieren. Im gegenteiligen Falle werde es
zum Konflikt kommen und dann würde das
ganze britische Reich sich um London scharen und
der Türkei eine scharfe Lehre erteilen.
London, 30. Sept. Sir Ewald Greg g, der
erste Sekretär Lloyd Georges empfing gestern abend
Pressevertreter, um ihnen den Ernst der Lage
zu schildern und ihnen mitzuteilsn, welche Aufträge
General Harrington übersandt worden sind.
Auf die Frage eines Journalisten, ob man die neue
Note Harringtons an Kemal als Ultimatum
betrachten könne, erwiderte Gregg: Neunen Sie
dies, wie Sie wollen. General Harrington habe
das Recht, das Ultimatum an Kemal, und von
einem solchen müsse zweifellos gesprochen werden,
in derjenigen Form zu redigieren, die ihm selbst
gut scheine, sowie den kemalistischen! Truppen soviel
Zeit zum Rückzug zu gewähren, wie er sie für ge-
eignet halte. EI sei keine Rede davon, datz die
französische Regierung aufgefordert wurde, sich an
etwaigen Maßnahmen gegen die Türkst zu beteili-
gen, aber, falls es zu kriegerischen Matznahmeir
komme, würde das französische Kabinett auch nicht
vorher befragt, sondern die Tatsachen würden
ihm einfach mitgeteilt werden.
Kemals Antwort auf Harringtons
Ultimatum.
Paris, 30. Sept.
Die Antwort Kemals auf das Ultimatum
des Generals Harrington, das die Zurückziehung
der kemalistischen Truppen von der neutralen Zone
verlangte, lautet solgöndermaßen:
„Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres
Telegramms vom 27. September zu bestätigen. Sie
können sich denken, in welchem Matze wir von den
Grausamkeiten, die in Thrazien an-
dauern, berührt werden. Wir verlangen die Ga-
rantie, daß man der griechischen Flotte,
die jetzt von Konstantinopel entfernt wurde, nicht
mehr erlauben wird, dorthin zurückzukehren. Weiter
hoffen wir, das; die B e f atz ung struP V e n nicht
weiter sortfahren werden, Zwangs matz-
rege ln gegen die Einwohner von Konstan-
tinopel zit ergreifen. Endlich geben wir dem Wun-
sche Ausdruck, datz man allen Schiffen wieder
erlauben möge, die Häfen Anatoliens' anzu-
laufen.
Was die beabsichtigte Z erstö rungsaktion
in Konstantinopel bis nach Tschanak hin
anbetrifft, so ist es in jeder Hinsicht ungesetz-
lich, Privateigentum zu zerstören. Man
darf nicht vergessen, datz die Waffen und Munition
uns gehören. Trotz de« einseitigen Entscheidungen
die ohne unser Wissen gefällt worden sind, haben
wir unseren kommandierenden Offizieren in Tscha-
nak Auftrag gegeben, die Truppen M den Orten zn
belassen, wo sie sich jetzt befinden und jegliche
Zwischenfälle zu vermeide n. Wenn Sie be-
reit sind, Ihre Kräfte, die sich gegenwärtig auf
dem asiatischen User befinden, rurück « rh m e ist

dann sind wir bereit unseren an den Dardanellen
befindlichen Truppen Befehl zn geben, sich etwas
zurück zuztesten und sich damit zu begnügen,
dis Zivilverwaltung und die Polizei auszuttben.
Obwohl ich nach Angora zurückköhren werde, um
mit der Nationalversammlung Fühlung
zu nehmen, bin ich bereit, die erste Gelegenheit zu
ergreifen, um mit Ihnen zusummenzutref-
fe n. Mustap h a Kemal Pasch a.
London, 30, Sept. Nach Konstantinopeler
Meldungen hat Mustapha Kemal Pascha auf
HD zweits Note des englischen OberlommMrs sieh
bereit erklärt, seine Truppe« aus der neutralen Zone
zurückzuzieyen, wenn auch die englischen Truppen
von dem asiatischen Ufer der Dardanellen entfernt
werden würden. Mustapha Kemal würde sich da-
mit begnügen, die neutrale Zone unter Zivilver-
waltung zu stellen. Sollte England diese Bedingun-
gen annehmen, dann wäre er bereit, mit General
Harrington W Unterhandlungen einzutretE
London, 30. Sept. Die Antwort Mustapha
Kemals auf die Note des General Harringtons wird
von der englischen Regierung als ungenügend be-
trachtet. Der englische Ministerrat, der gestern eine
zweistündige Sitzung abhielt, machte dem englische«
Overkommissar in Konstantinopel Sir Rumbold so-
wie dem General Harrington die Mitteilung, daß
sie die volle Unterstützung der Regie-
rung hätten, wenn sie den sofortigen Rück-
zug der kemalistischen Truppen aus der
neutralen Zone forderten. Die von Harrington
ursprünglich gestellten Forderungen sind wiederholt
und von den verantwortlichen Stellen zu ihrer
Durchführung geprüft worden.
Die ersten Kämpfe in Thrazien.
London, 30. Sept. Aus Achen wird gemel-
det: Gestern absnd ist ein Telegramm des Ober-
kommandievenden der griechischen Armee in Thra-
zien eingelaufen, das besagt, daß türkische Abtei-
lungen die neutrale Zone Sei Safalalan überschrit-
ten und 11 Soldaten getötet hätten. Ein Gegen-
angriff Vertrieb Die Türken, die 1 Offizier und 25
Mann Verloren. Die griechischen Verluste betrugen
1 Toten nnd 1 Verwundeten.
Die Lage in der neutralen Zone.
Haag, 1. Okt. „Dail Chronicle" gibt
folgendes Bild von der mililärischen Lage in der
neutralen Zone: Die britischen Truppen bei
Tschanak sind ganz von den Türken e i n g e s ch las-
sen. Diese haben sich an verschiedenen Stellen
den Drahtverhauen genähert. Türkische Patrouil-
len befinden sich auch am Ufer des ägäischen und
des Marmarameeres. Englische Flieger haben be-
richtet, Datz sich hinter den türkischen PatwuMen
starke Artilleried etachements besinden. Auch bei
Jsmed nähern sich die Türken immer mehr dem
Marmarameere. Bei Jsmed stehen aber noch nicht
so viele Truppen wie in Non südlich gegorenen Be-
zMen.
Allgemeine kriegerische Vorbereitungen.
Pari s, 30. Sept. Man meldet aus L N u v on,
datz Die Vorvcrciiungou zur Verteidigung von
Tschanak mit äußerste« Anstrengung fortgesetzt wer-
den. Täglich landen in Tschanak englische Trup-
pen. Die Zahl der englischen Zerstörer,
Ne sich Anfang nächster Woche in den türkischen
Gewässern befinden werden, wird 50 überschreiten.
Die hauptsächlichste Ma'Mestalion wird für den
Kriegsfall Moudras sein.
Paris, 30. Sept. Man meldet aus Newyork,
daß 12 amerikanische Zerstörer diese Nacht
Newyork verlassen werden, um sich nach Konstan-
ldnopel zn begeben. Außer der Besatzung führt
jeder dieser Zerstörer 25 Mann mit sich, die bestimmt
sind, bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu helfen.
Papis, 30. Sept. Das „Petit Journal" mel-
det aus London, das; dort Nachrichten aus Moskau
eingetroffen feien, nach denen Sowjet t r u ppen
an der rumänischen Grenze konzentriert sind.

Optimistischere Beurteilung in Paris.
Paris, 1. Okt. (Letzte telegraph. Meldung.)
Poincare hat gestern zu später Stunde van
Franklin Bouillon aus Angora ein Telegramm
erhalten, in welchem dieser ihm über die Bespre-
chungen, die er in Smyrna mit Mustapha Kenias
hatte, Bericht erstattete. Wie verlautet, soll dieses
Telegramm einen äußerst günstigen Ein-
druck hervorgerufen haben. Poincare hat Nh
Botschaft sofort Den Kabinetten von London und
Rom übermittelt. Man erwartet in offiziellen
Kreisen mit Ungeduld den Entschluß Der National^
Versammlung von Angora, glaubt jedoch nicht, datz
der Beschluß vor Montag abend bekannt sein wird.
Australien auf Englands Seite.
London, 30. Sept. Man meldet aus Mel-
bourne, daß Ministerpräsident Hughes gestern
in der Kammer folgende Erklärung abgab: Im
Verlaufe des großen Krieges hat Australien
eine größere Armes ins Feld gebracht, als die Tür-
ken aufvringen können. Wir sind dazu Wieck
der bereit, wenn es notwendig ist.
Die Zweite Internationale fordert
den Frieden.
Das ständige Bureau der Zweiten Inter-
nationale, das laus den englischen Genossen
besteht, die in Loudon ihren dauernden Wohnsitz
haben, hat, wie wir bereits kurz mitteMen, nach-
stehende Erklärung Wer Ne Lage im Ortens
und Wer die kommende Konferenz des nahm Ostens
erlassen.
„Das Bureau der Zweiten Internationale hat
die gefährliche Lage im nahen Osten eingehend ge-
prüft, die einen großen TM Europas in «'inen neue«
Krieg zu verwickeln droht.
Es würde ein
unverzeihliches Verbrechen
gegen Ne Menschheit fein, wenn «ML FeinDse'lig-
keilen beginnen sollten und die englische Regierung
würde bet weitem den grötzlen Anteil an Verant-
wortung Dafür übernehmen.
Der Kongreß der Zweiten Internationale i«
Luzern im August 1919 hatte Ne unvermeid-
lichen Folgen der griechischen Okkupation in Klein-
asien vorausgesehen und folgende Erklärung
erlassen:
„Die Konferenz protestiert gegen die Politik
der Entente in Kleinasien und insbesondere ge-
gen die militärische Besetzung durch Truppen de«
griechischen Regierung im Solde der Entente,
Der Stadt u. des WWajets Von S m y « u a, deren
türkische Bevölkerung fünf -mal stärker ist als
die griechische. Die Besetzung Durch bewaffnet^
Macht unter Bedingungen, Die Dem Völkerrecht
zuwiderlausen und nach Dem Abschluß des Waf-
fenstillstandes ist geeignet, höchst bedauc r-
liche Folgen in der gesamten mohammedani-
schen Welt Hervorzuvufen, sowie kriegerische Lei-,
denschasten und Revanch-sgeist in ganz Anatolien
zu erwecken. Es ist dies Der erste Akt eines all-
gemeinen Planes, den Die Mer Der imperialisti-
schen Alliierten ausgeheckt hat, um Kleinasien zu
zerstückeln, und gegen den wir im Namen der
Internationale Protest erheben."
Jene Politik, Ne unzweifelhaft türki-
sche Gebiete in Kleinasien Griechenland ;ner-
kannt hat, im Gegensatz zu Don Behauptungm, wo-
nach de« Weltkrieg geführt wurde ohne jede Ab-
sicht, das Territorium der Allierten auf Kosten de«
Türkei zu vergrößern, sie ist es, die Die Schuld an
der gegenwärtigen schweren Krise trägt.
Jetzt, wo eine schwere Gefahr noch immer be-
steht, fordern wir die Einleitung eines schiedsge-
richtlichen Verfahrens durch den Völkerbund, in dem
die Türkei, Rußland und Deutschland einen freien
und gleichen Einfluß haben müßten, wie die übrige«
Länder.
Sollte es unmöglich sein, in der gegenwärtigen
Situation von dem Völkerbund Gebrauch zu ma-
chen, so müßte jede einzuberufenDe Konsevenz
Vertreter Rußlands, Bulgariens und
Deutschlands außer den in der Note der Al-
liierten Bereits Bemannte« Länder einschließen.
Rußland und Bulgarien werden nämlich durch jedG
territoriale Entscheidung und durch die Regelung
der Frage der Freiheit der Meerengen in ihren Le-
bensmteressen berührt. Deutschlands wirtschaftliche
Interessen im nahen Osten geben ihm ein Recht,
sich an den Tisch der Unterhändler zu fetzen.
Wir fordern, daß
Versöhnung an Stelle der Gewalt
trete und datz das Recht eines Volkes, unter de«
Regierung zu leben, die es selbst bestimmt,
der maßgebende Grundsatz bei einer jedweden Re-
gelung werde.
Wir ersuchen sämtliche Ms angeschlosseneu Par-
teien in ihrem eigenen Lande jede denkbare
Anstrengung zu unternehmen, um zu verhindern,
datz Fehler, Unfähigkeit und imperialistische Politik
uns in einen neuen Krieg hineinstttrzen.
W ir rufe» sie alle aus, sowie alle Ar-
beiter- und sozialistischen Organisationen, uns iN
der Forderung nach einer versöhnlichen Lösung
durch Vertreter aller unmittelbar interessierten Län-
der beiznsteyen.
Wir dücken die Hoffnung aus, daß alle Par-
teien ausnahmslos einen jeden Bruchteil ihrer po-
litischen und gewerkichaftlichen Kraft dazu verwen-
den werden, einem Krieg vorznbeugcn.
Unser Programm muß klar und bestimmt sein
Wir ,missen nut aller Entschiedenheit erklären daß
wir uns nicht in einen neuen blutigen Kampf
hinetnreißen lassen,"
Gez. Arthur Henderson (Wovsitzender).
Tom Shaw (Sekretär). I. H. Thomas.
Harry Gotzli u g. I. Ramsay M a c d o n a l d.
An diese« Kundgebung, die Die englischen Mill
glieds« des ExekutivMUitees der Zweiton W!M
 
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