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Diesem Gutachten ward einstimmig beigetreten; die Alte billigte es auch, wie sie's erfuhr;
vor Kunegunde ward's verheimlicht. Mit etlichen Dukaten war das Projekt ausgesührt,
und man hatte die Freude, einen Jesuiten zu überlisten und einen ahnenstolzen Gauch zu
bestrasen.
Verheiratet mit seiner Trauten, umgeben vom Philosophen Panglos und Philosophen
Martin, vom klugen Kakambo und der weisen Alten und überdies im Besitz so vieler
Diamanten, die er aus dem Vaterlande der alten Inkas mitgebracht, hätte man glauben
sollen, daß Kandide das wonnigste Leben von der Welt sühren müßte. Gewaltig geirrt!
Die Juden hatten ihn so vielfältig geprellt, daß er weiter nichts übrig behielt, als sein
Vorwerkchen; seine Frau ward täglich häßlicher und zugleich zänkisch und unleidlich;
die Alte kränkelte in einem sort und war noch üblerer Laune wie Kunegunde; Kakambo,
der im Garten arbeitete und die Hülsensrüchte nach Konstantinopel hinein zum Ver-
laus trug, arbeitete und plagte sich ganz ab und vermaledeite sein Schicksal. Panglos
war voll des bittersten Unmuts, daß er nicht als Prosessor aus irgendeiner Universität
seines lieben Vaterlands glänzen konnte. Martin nahm alles, was ihn tras, gelassen
dahin.
Kandide, Martin und Panglos disputierten sich manchmal über Sätze aus der Meta-
physik und Moralphilosophie.
Martin nahm einst Anlaß zu bemerken, der Mensch sei dazu geboren, sein Leben ent-
weder im beständigen, krampfartigen Regen und Bewegen zuzubringen oder in der un-
tätigsten, schlarafsenhastesten Langeweile.
Kandide war ganz anderer Meinung, die er aber nicht äußerte. Panglos räumte zwar
ein, er habe stets das gräßlichste Elend erduldet; verfocht aber demungeachtet sein einmal
angenommenes System: Diese Welt ist doch die beste, auss eisrigste, ohne im geringsten
daran zu glauben.
Jetzt ereignete sich ein Vorfall, der Martin völlig in seinen verdammlichen Grundsätzen
besestigte, Kandide schwankender machte denn je, und Panglos nicht wenig in die Klemme
trieb. Eines Tages kam nämlich Gertrud mit dem Bruder Viola in ihren Hos gewandert.
Die dreitausend Piaster hatten sie Hals über Kops durch die Gurgel gejagt, sich daraus
getrennt, wieder ausgesöhnt, von neuem überworsen, im Gesängnis gesessen, sich daraus
geflüchtet, und endlich war Bruder Viola Türke geworden.
„Haha! sagte Panglos zu Gertrud. So sührt dich doch der Himmel wieder zu uns,
herziges Kind. Weißt du wohl, daß du mich um die halbe Vase, um ein Auge und
ein Ohr gebracht hast..."
Sie hatten in der Vachbarschast einen weit berühmten Derwisch, der sür den besten Philo-
sophen gehalten wurde; zu dem gingen sie eines Tages. Panglos war Sprecher. „Wir
kommen zu dir, Meister, um von dir zu ersahren, wozu das sonderbare Geschöps, Mensch
genannt, ist geschaffen worden?"

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