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Der religiöse Sinn des Gesellschaftsaufbaus

99

Der germanische Glaube
Der religiöse Ginn des Gesellschaftsaufbaus
ie Art, wie sich ein Mensch als Glied einer Gemeinschaft verhält,
hängt von seiner Stellungnahme zu dieser Gemeinschaft ab. wir
stehen vor der Tatsache, daß für das germanische Altertum ein Gegen-
satz der Einzelperson und der Gemeinschaft kaum besteht. Und schon
dies beweist, wie sehr die Verhältnisse in den späteren Zeiten sich ver-
ändert haben. 8ür uns ist der Mensch die Zelle, aus der die Gesell-
schaft sich aufbaut; für den heidnischen Germanen war hingegen die
Gemeinschaft ein einheitlicher «Organismus. Trotzdem war der ein-
zelne in jener Zeit nicht minder eifersüchtig auf seine Freiheit, nicht
weniger dazu geneigt, sich schrankenlos auszuleben. Der Wiking war
eine beträchtlich ungezügeltere, eigenwilligere Gestalt als der heutige, in
Gesetze und Verordnungen eingeschnürte Staatsbürger. Ls war aber
altgermanische Auffassung, daß es für einen Menschen nur verhäng-
nisvoll werden konnte, wenn er sich außerhalb der Gesellschaft stellte
oder gegen sie kämpfte.
Ls ist die Art des Gemeinschaftslebens, die diese so sehr abweichende
Haltung bestimmt. Die Anschauung, der Staat sei zustandegekommen
durch den freiwilligen Zusammenschluß von Linzelpersönlichkeitcn,
deren jede ursprünglich nach eigenen Gesetzen lebte, — sie konnte nur
in dem Gehirn eines Philosophen entstehen, der über die alten Gesell-
schaftsformen schlecht unterrichtet war. Tatsächlich hat der Mensch
sich nur sehr langsam und nach jahrhundertelangem Ringen von den
Bindungen der Gemeinschaft, mit der er zuerst unverbrüchlich zu-
sammengewachsen war, gelöst. Zu Anfang bestand der Mensch nur
in der Gemeinschaft und durch sie. wir sahen, daß die Familie bereits
eine Einheit dieser Art aufweist; das neugeborene Lind wurde durch
eine festbestimmte kultliche Handlung in den Lreis der Blutsver-
wandten ausgenommen, aus welchem selbst der Tod den Menschen
nicht losreißen kann.
So war denn auch das Gemeinschaftsbewußtsein nicht nur ge-
sellschaftlicher Art; vielmehr hatte es eine stark religiös bestimmte



 
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