WIENER- —-
= GESCHMACKLOSIGKEITEN.
Dies klingt sehr unverständlich, ja, für den Localpatrio-
tismus, der bei uns gepflegt wird, sogar beleidigend.
Der Wiener setzt gerne selbst so manches an sich aus,
aber er thut es in einer zärtlich bewundernden Weise, wie
eine Mutter, wenn sie eine lustige Unart ihres Kleinen rügt.
Ernsthafte Kritik lässt er nicht gerne an sich üben.
Und doch ist es nothwendig und gewiss auch fördernd,
wenn in sachlicher und objectiver Art die mannigfachen
Misstände gerügt werden, welche seit langen Jahren die
Entwicklungsfreudigkeit Wiens hemmen.
Unsere Stadt ist schön = lieblich die Natur, welche
sie umgibt, = und anmuthig die Frauen, die in ihr wan-
deln. Ein leicht erregbarer Sinn, ein heissblütiges, lebhaftes
Empfinden und eine willige Lenkbarkeit sind charakteristi-
sche Eigenschaften des Wiener Volkes. Wenn Anmuth und
Schönheit vorhanden sind = und Sinne, die sie wahrnehmen,
lieben, in sich aufsaugen können = da müsste doch Herr-
liches entstehen!!! So könnte man denken. Alle Äusse-
rungen des Lebens sollten unter solchen Bedingungen die
heitere Würde, den logischen Ernst, die ruhige Grazie des
Harmonischen an sich tragen. In Sitten und Gebräuchen,
im Wesen der Architektur, der Kunst und des so nah ver-
wandten Kunstgewerbes, müsste ein kräftig individualisti-
sches Empfinden herrschen.
Aber nein: trotz aller natürlichen Anlagen, trotzdem
Fähigkeiten und Talent vorhanden sind, hat Wien sein
Schönheitsgefühl verloren. = Wer hätte es je für möglich
gehalten, dass Berlin uns selbst in dieser Hinsicht über-
flügeln werde! Dort lebt ein Volk ohne künstlerische In-
stincte. Ein Volk mit zersetzender, nutzenabwägender Ver-
standesart, fremd dem heiteren Zug der Phantasie. Es muss
sich förmlich zum Schönen zwingen = muss sich mit eiserner
Energie durchringen, um eine Empfindungsfähigkeit zu
erlangen, welche der Wiener dank seiner Veranlagung von
Haus aus besitzt. Aber diese Leute haben an sich gear-
beitet. Sie haben mit Macht alles Fremde an sich gerissen,
um zu sehen und zu lernen. So hat Verstandesarbeit bessere
Resultate ergeben als Talent.
Talent allein genügt eben nicht, es muss in einem
festen Boden wurzeln und der Wiener neigt zur Oberfläch-
lichkeit, zur Seichtheit, ihm genügt leicht das Äussere, der
Schein; Ernst und Tiefe muss ihm anerzogen werden, ge-
waltsam, und dagegen sträubt er sich. Er ist weichmäulig,
wie man es bei Pferden nennt; er wäre leicht lenkbar, wenn
man ihn richtig behandeln, wenn man ihn liebevoll er-
ziehen würde. Aber an Erziehern fehlt es. Wie sehen bei
uns die Männer aus, welchen Beruf und Stellung die er-
zieherische Thätigkeit ermöglichen würde, deren Pflicht
dieselbe wäre! Gebt uns Lehrer, gebt uns einen Lichtwark,
der als Galleriedirector in HamburgWunder thut, dann wäre
Wien in kürzester Zeit Kunststadt.
Wo ist bei uns die Vornehmheit hingekommen, wel-
che in früheren Zeiten all' die kleinen herrlichen Paläste,
die reizvollen Bürgerhäuser schuf? Man sehe doch nur, wie
in Berlin die reichen Leute wohnen. Ein Villenviertel haben
sie hingezaubert in herrlichem Grün, durchzogen von
Wasserstrassen, die künstlerische Blicke geben. = Was
haben wir dem BerlinerThiergarten entgegenzustellen ? Das
Ideal unserer vornehmen Gesellschaft ist und bleibt ein
= GESCHMACKLOSIGKEITEN.
Dies klingt sehr unverständlich, ja, für den Localpatrio-
tismus, der bei uns gepflegt wird, sogar beleidigend.
Der Wiener setzt gerne selbst so manches an sich aus,
aber er thut es in einer zärtlich bewundernden Weise, wie
eine Mutter, wenn sie eine lustige Unart ihres Kleinen rügt.
Ernsthafte Kritik lässt er nicht gerne an sich üben.
Und doch ist es nothwendig und gewiss auch fördernd,
wenn in sachlicher und objectiver Art die mannigfachen
Misstände gerügt werden, welche seit langen Jahren die
Entwicklungsfreudigkeit Wiens hemmen.
Unsere Stadt ist schön = lieblich die Natur, welche
sie umgibt, = und anmuthig die Frauen, die in ihr wan-
deln. Ein leicht erregbarer Sinn, ein heissblütiges, lebhaftes
Empfinden und eine willige Lenkbarkeit sind charakteristi-
sche Eigenschaften des Wiener Volkes. Wenn Anmuth und
Schönheit vorhanden sind = und Sinne, die sie wahrnehmen,
lieben, in sich aufsaugen können = da müsste doch Herr-
liches entstehen!!! So könnte man denken. Alle Äusse-
rungen des Lebens sollten unter solchen Bedingungen die
heitere Würde, den logischen Ernst, die ruhige Grazie des
Harmonischen an sich tragen. In Sitten und Gebräuchen,
im Wesen der Architektur, der Kunst und des so nah ver-
wandten Kunstgewerbes, müsste ein kräftig individualisti-
sches Empfinden herrschen.
Aber nein: trotz aller natürlichen Anlagen, trotzdem
Fähigkeiten und Talent vorhanden sind, hat Wien sein
Schönheitsgefühl verloren. = Wer hätte es je für möglich
gehalten, dass Berlin uns selbst in dieser Hinsicht über-
flügeln werde! Dort lebt ein Volk ohne künstlerische In-
stincte. Ein Volk mit zersetzender, nutzenabwägender Ver-
standesart, fremd dem heiteren Zug der Phantasie. Es muss
sich förmlich zum Schönen zwingen = muss sich mit eiserner
Energie durchringen, um eine Empfindungsfähigkeit zu
erlangen, welche der Wiener dank seiner Veranlagung von
Haus aus besitzt. Aber diese Leute haben an sich gear-
beitet. Sie haben mit Macht alles Fremde an sich gerissen,
um zu sehen und zu lernen. So hat Verstandesarbeit bessere
Resultate ergeben als Talent.
Talent allein genügt eben nicht, es muss in einem
festen Boden wurzeln und der Wiener neigt zur Oberfläch-
lichkeit, zur Seichtheit, ihm genügt leicht das Äussere, der
Schein; Ernst und Tiefe muss ihm anerzogen werden, ge-
waltsam, und dagegen sträubt er sich. Er ist weichmäulig,
wie man es bei Pferden nennt; er wäre leicht lenkbar, wenn
man ihn richtig behandeln, wenn man ihn liebevoll er-
ziehen würde. Aber an Erziehern fehlt es. Wie sehen bei
uns die Männer aus, welchen Beruf und Stellung die er-
zieherische Thätigkeit ermöglichen würde, deren Pflicht
dieselbe wäre! Gebt uns Lehrer, gebt uns einen Lichtwark,
der als Galleriedirector in HamburgWunder thut, dann wäre
Wien in kürzester Zeit Kunststadt.
Wo ist bei uns die Vornehmheit hingekommen, wel-
che in früheren Zeiten all' die kleinen herrlichen Paläste,
die reizvollen Bürgerhäuser schuf? Man sehe doch nur, wie
in Berlin die reichen Leute wohnen. Ein Villenviertel haben
sie hingezaubert in herrlichem Grün, durchzogen von
Wasserstrassen, die künstlerische Blicke geben. = Was
haben wir dem BerlinerThiergarten entgegenzustellen ? Das
Ideal unserer vornehmen Gesellschaft ist und bleibt ein