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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 1.1898

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Heft 2 (Feburar 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6363#0046
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VER SACRUM. 0SM

überladen. Gerade dieses Material, das wie Luft, wie Wasser, wie
Welle ist, kann wie kein anderes der flüchtigen Phantasie entgegen-
kommen. Der Geist eines Tiffany, Köpping, eines Gallet hat bewiesen,
dass man dies Unfassbare festhalten kann. Wer kümmert sich aber
bei uns darum ?

Vor 25 Jahren noch hat mancher Zweig der Wiener Industrie
= Porzellan, Glas, Ledera? beit = eine Rolle gespielt; individuell war
sie auch damals nicht, aber typisch vornehm und elegant. Aber jetzt
arbeiten alle Firmen mit stolzem Ignorieren ihre bewährten Muster
und die anderen liefern == Slovakenware.

Werden denn nicht meist charakterlose, plumpe, vulgäre Gegen-
stände produciert? Wie sehen unsere Beleuchtungsgegenstände aus?
Sie haben trotz der Wandlung, welche sie durch die Einführung des
elektrischen Lichtes durchmachen mussten, zumeist ihren früheren
Charakter, ihre hässlichen, linealischen, langweiligen, von Zieraten
erdrückten Formen behalten. Wir müssen uns mit schlecht imitierten
oder echten, theuren, englischen Modellen begnügen.

Von Kunst und Kunstgewerbe greift der allgemeine Mangel an
Geschmack auf viele andere Äusserungen des Lebens über. Unsere
Frauen, die anmuthigsten der Welt, wissen sich nicht mehr zu kleiden.
Individuell verwechseln sie mit excentrisch und haben eine gewisse
uniforme Elegance angenommen, die vielleicht sehr correct, aber sehr
langweilig ist. Correct und langweilig ist auch die Art, wie sich das
Wiener Gesellschaftsleben abspielt. Gibt es einen Wiener Salon, das
heisst einen Vereinigungsort aller geistigen Regungen, einen Sammel-
punkt für alle modern Denkenden und Strebenden ? Einen neu-
tralen Boden, wo jede Meinung respectiert und doch mit Poesie und
mit Grazie discutiert wird? Keineswegs. Ein leerer Foimalismus ist
unsere Geselligkeit. Einige Soireen, bei welchen im Jänner Trauben
und zu jeder Saison möglichst viele Excellenzen serviert werden, das
ist zumeist die banale Erledigung gesellschaftlicher Pflichten. Welch
ein Unterschied im Vergleich zu einzelnen Wiener Salons der ersten
Hällte dieses Jahrhunderts!

a-^e-g Heute wohnt der Geist des Spiessbürgers in uns, der
alle fremden Erscheinungen feindlich betrachtet, alle neuen
Gedanken verlacht und verhöhnt, Engherzigkeit und in-
stinctive Abneigung gegen das Schöne in sich trägt, und nur
das Bestreben hat, sich möglichst wenig zu unterscheiden
vom Nachbarn rechts und vom Nachbarn links. ^-j>^^>^s

Dieses Philisteithum zu zerstören, das jede künstlerische Ent-
wickelung hemmt, wäre die Aufgabe aller, die durch Stellung, Macht,
Reichthum und hohen Bildungsgrad hervorragen aus der Menge. EE
DIESE dann zu lehren, zu führen, zu erheben, wäre ein Leichtes.

Wir sagen mit Uberzeugung: „ein Leichtes", weil vermittelnde,
gut veranlagte Elemente noch zwischen den Geistern und dem typi-
schen Wiener Philister vorhanden sind. Energie ist das Ferment, wel-
ches uns fehlt. Die Wiener sind Naturschwärmer, sie sind sprichwört-
lich musikalisch, wir können uns keine bildungsfähigere Masse denken.

Wien muss der Kunst erobert werden, es wird ihr wieder ge-
hören. Wien muss wieder die Stätte edler Anregung, anmuthiger
Lebensführung und ernster Schönheit werden. Es liegt nur an uns:
wir brauchen es nur zu wollen.

B. ZUCKERKANDL.

Für V. S. gez. v.
Friedrich König.

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