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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 1.1898

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Heft 2 (Feburar 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6363#0047
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LR SACRUM.

UMMENSCHANZ.

Zeichnungen
v.

Kolo Moser.

Faschingslust! Carneval! Wie der magische Sinn dieser
Worte uns doch jedesmal aufs neue elektrisiert durch
den Glanz und prickelnden Reiz ihres phantastischen
Zaubers! Und nicht mit Unrecht. Sind sie doch im Grunde
kaum etwas anderes als die spärlichen Überreste, die „mo-
dernen" Reminiscenzen jenes berauschenden Bacchoscul-
tus, den das grosse Künstler völkchen der Hellenen zu religiös-
nationaler Bedeutung erhob und in dessen orgiastischem
Opferdienste einige ihrer herrlichsten Kunstschöpfungen
entstanden. Es ist der uralte Cultus des sinnlichen Begei-
sterungsrausches: das Hohelied an die Freude!

Und doch, wie herzlich wenig verräth das jetzige Car-
nevalstreiben von seinem alten künstlerischen Ursprünge
und wie wenig „Freude" blüht einem halbwegs künstlerisch
Empfindenden, wenn er heute auf einen Maskenball geht!
Was sind im allgemeinen unsere grossen Costümfeste denn
anders, als alljährliche Wiederholungen derselben abgedro-

Buchschmuck
fürV. S. gez. v.
J. M. Olbrich.

schenen Themata, kunterbunte Auskehrungen aus der alten
Rumpelkammer der Costümgeschichte, gedankenlose Ab-
schreibereien aus den Sammelwerken über die „Trachten
der Völker" ?

Es sollte endlich auch einmal ein Versuch zur Neube-
lebung des Costümwesens gemacht werden. Bietet doch ge-
rade der heitere, zwanglose Geist carnevalistischer Ausge-
lassenheit einen willkommenen Anlass und reiche Gelegen-
heit zur Entfaltung von Originalität, Geschmack und Witz,
zum freien, ungebundenen Spiel der Phantasie. Weshalb in
allerWelt beschränkt man= ,und Frau' = sich nur darauf, in
„historischen Anspielungen" zu erscheinen und ihren Costü-
men,literarische Bonmots' zugrunde zu legen ? Warum denn
immer wieder Griechen, Römer, Spanier, Merowinger,
,Zopfzeit' oder Biedermeier? immer diese salonfähigen Na-
tionaltrachten, vor allem die unsterblichen Zigeunerinnen!
Wenn es wenigstens echte Zigeunerinnen wären. Nur ein-
mal entsinne ich mich einer rühmlichen Ausnahme. Es war
dieTocher eines bekannten Wiener Künstlers; das schöne
Mädchen hatte Geschmack und Einbildungskraft genug,
sich soweit in eine ähnliche Rolle hineinzuleben, dass sie
ihr Gesicht schwärzte, alte, zerschlissene Fetzen (freilich co-
loristisch höchst fein zusammengestimmte Fetzen!) um-
hieng und wirkliche Opanken statt der üblichen Lackschuhe
trug.Wahrlich: sie brauchte ihrer natürlichen Eitelkeit kei-
nen Zwang anzuthun in dieser Verkleidung! Sie sah ent-
zückend aus. Wenn unsere Damen nur wüssten, wie so etwas
originell Empfundenes gleich packend und interessant ist!

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