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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 1.1898

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Heft 3 (März 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6363#0087
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VER SACRUM.

was für verschiedene Sprachen müssen sie sprechen, um
gleichviel zu sagen! Nur die Essenz der Erscheinungen kann
die Kunst geben = Tausende und Tausende von Rosen,
immer mehr muss man zusammenpressen, um den einzigen,
süssesten Tropfen Rosenöl zu gewinnen.

Ein alter Maler, der im Rufe steht, wahnsinnig zu
sein und auch vom praktisch bürgerlichen Standpunkte
aus so genannt werden muss, zeigt Franz die Gemälde, die
er in seiner weltabgeschiedenen Gemüthsversunkenheit
entworfen hat. Darunter ist ein Nacht- und Waldstück:
in eine fast unkenntliche Masse hat das Dunkel Berg und
Thal verschmolzen. Durch diese Nacht zieht ein Pilgrim
mit Stab und Muschelhut, eine von verstohlenem Mond-
schein umzitterte einsame Gestalt. Voll aber ergiesst sich
die Flut des Mondlichts auf ein Crucifix, das vom fernen
Hügel, wo sich die Wolken theilen, herabglänzt. „Seht,"rief
der Alte, „hier habe ich das zeitliche Leben und die über-
irdische, himmlische Hoffnung malen wollen; seht den
Fingerzeig, der uns aus dem finsteren Thal herauf zur
mondglänzenden Anhöhe ruft. Sind wir etwas weiter als
wandernde, verirrte Pilgrime? Kann etwas unseren Weg
erhellen, als das Licht von oben? Vom Kreuze her dringt
mit lieblicher Gewalt der Strahl in die Welt hinein, der
uns belebt, der unsere Kraft aufrecht hält. Hier habe ich
gesucht, die Natur wieder zu verwandeln, und das auf eine
künstlerische Weise zu sagen, was die Natur selber zu uns
redet; ich habe hier nur ein sanftes Räthsel niedergelegt,
das sich nicht jedem entfesselt,
das aber doch leichter zu er-
rathen steht, als jenes erhabene,
das die Natur als Bedeckung um
sich schlägt." Auf Franzens Be-
merkung, man könne dieses
Gemälde ein allegorisches nen-
nen, erwidert der Alte, alle
Kunst sei allegorisch. „Was
kann der Mensch darstellen,
einzig und für sich bestehend,
abgesondert und ewig geschie-
den von der übrigen Welt, wie
wir die Gegenstände vor uns
sehen? Die Kunst soll es auch
nicht.Wir fügen zusammen, wir
suchen dem Einzelnen einen
allgemeinen Sinn anzuheften,
und so entsteht die Allegorie.
Das Wort bezeichnet nichts an-
deres als die wahrhafte Poesie,
die das Hohe und Edle sucht
und nur auf diesem Wege fin-
den kann." Auch an anderen
Stellen des Buches wird aus-
gesprochen, dass das allegori-

sche Gemälde am ehesten erfüllt, was man von der Malerei
wünscht. „Hier ist recht der Ort, wo der Maler seine grosse
Imagination, seinen Sinn für Magie der Kunst offenbaren
kann: hier kann er gleichsam über die Grenzen seiner Kunst
hinausgehen und mit dem Dichter wetteifern." Als ein Bei-
spiel aus der älteren Kunst wird das berühmte Bild des
Orcagna in Pisa angeführt, deswegen, weil es das ganze
menschliche Leben symbolisch darstelle.

In Tiecks Roman malt nicht nur Franz Sternbald,
sondern fast ein jeder, der auftritt, was er auch sei, min-
destens mit der Phantasie, eben um den Malern von Beruf
zu beweisen, wie ungenügend ihre Kunst bisher gewesen
sei. Seht, ruft einer aus, den Tieck zum eigentlichen Helden
des unvollendeten Buches bestimmt zu haben scheint,
wenn ich malen könnte, „dann würde ich einsame, schauer-
liche Gegenden abschildern, morsche, zerbrochene Brücken
über zwei schroffen Felsen, einem Abgrunde hinüber,
durch den sich ein Waldstrom schäumend drängt: verirrte
Wandersieute, deren Gewänder im feuchten Winde flattern,
furchtbare Räubergestalten aus dem Hohlwege heraus,
angefallene und geplünderte Wagen, Kampf mit den
Reisenden. Dann wieder eine Gemsenjagd in einsamen,
furchtbaren Felsenklippen, die kletternden Jäger, die sprin-
genden gejagten Thiere von oben herab, die schwindelnden
Abstürze. Figuren, die oben auf schmalem, überragendem
Steine Schwindel ausdrücken und sich eben in ihren Fall
ergeben wollen, den Freund, der jenen zu Hilfe eilt, in der

Ferne das ruhige Thal. Ein-
zelne Bäume und Gesträuche,
die die Einsamkeit nur noch
besser ausdrücken, auf die Ver-
lassenheit noch aufmerksamer
machen. Oder dann weiter den
Bach und Wassersturz mit dem
Fischer, der angelt, mit der
Mühle, die sich dreht, vom
Monde beschienen. Ein Kahn
auf dem Wasser, ausgeworfene
Netze. Zuweilen kämpft meine
Imagination und ruhtnichtund
gibt sich nicht zufrieden, um
etwas durchaus Unerhörtes zu
ersinnen und zustande zu brin-
gen. Äusserst seltsameGestalten
würde ich dann hinmalen, in
einer verworrenen, fast unver-
ständlichen Verbindung, Figu-
ren, die sich aus allen Thier-
arten zusammenfänden und
unten wieder in Pflanzen endig-
ten: Insecten und Gewürm,
denen ich eine wundersame
Ähnlichkeit^mit menschlichen

Gustav KHmt.
„Gruppenbildnis".
Fragment (1891).

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