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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 1.1898

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Heft 4 (April 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6363#0112
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VER SACRUM.

Studie v.Max
Liebermann.

kern der Psyche über das Kommen und Gehen der handeln- Wert haben und sich fortwährend im Wechsel der Zeiten
den Geister, über das Steigen und Sinken ganzer Entwicke- sehr wesentlich verändern, zu dieser Einsicht sind die meisten
lungsepochen der Menschheit entscheidet. Da die Kunst unserer Kunstschriftsteller noch nicht durchgedrungen,
kein definitiv abgestecktes Ziel und einheitliches Ideal, oder sie machen keinen Gebrauch davon,
sondern ein steter Werdeprocess ist, bei dem es weniger auf Heute stehen nun die Dinge insofern besser, als man
ein gut oder nicht gut, „hässlich oder schön" ankommt, beobachten kann, dass die zur Einsicht Durchgedrungenen
sondern vielmehr auf ein auf und nieder, stärker oder von solcher ihrer Einsicht doch auch hin und wieder Ge-
schwächer, so ist die willkürliche Anwendung abstracter brauch machen! Die geachtete Stellung, welche hervor-
Geschmacksurtheile eine kunstgeschichtliche Thorheit.Vor ragende Vertreter dieser Anschauung, Kunstgelehrte wie
25 Jahren sagte schon Thausing in seiner Antrittsrede an Liebhaber, heute einnehmen, lässt von ihrem wachsenden
der Wiener Universität: er könne sich die beste Kunstge- Einflüsse für die Zukunft das Beste hoffen,
schichte denken, in der das Wort „schön" gar nicht vor- Wir können vom heutigen Standpunkte individua-
käme! Dann fügte er hinzu: Man gefällt sich noch immer listischer Kunstauffassung nicht oft und energisch genug
in einer directen Anknüpfung an ganz allgemeine, mehr dem Irrthum entgegentreten, dass Werke der bildenden
oder minder ungeklärteBegriffe, an einen beiläufigen Schön- Kunst, ob alte oder moderne, nach den äusserlichen Kenn-
heitscanon, den man, eingestanden oder unbewusst, von zeichen der jeweiligen „Schulen" allein zu classificieren
der Antike, später von Rafael entlehnt hat. Zur Einsicht, sind. Es ist ein unkünstlerisches Verfahren, jedem Bilde
dass derartige Geschmacksurtheile nur äusserst relativen die Actennummer des kunsthistorischen Repositoriums zu-

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