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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Editor]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 1.1898

DOI issue:
Heft 7 (Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6363#0204
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pfinde, von Ihnen nicht als schön empfunden wird. Dann bin
ich nicht der Architekt für Sie und Sie sind nicht mein
Publicum. Jeder Künstler kann nur für das Publicum
schaffen, das ihm conform ist."

Uber das Wort „conform" wurde disputiert. Ein Theo-
retiker sagte: „Wir wollen es so formulieren — der Künstler
kann nur für jene geistige Kategorie schaffen, der er selber
angehört."

„Sagen wir einfach: für die Leute seiner Race!" warf
jemand ein. Da meldete sich sogleich der österreichische
Schwärmer wieder und sagte: „Bitte, recapitulieren wir
einmal! Also es ist gesagt worden, dass der Künstler, ohne
nach dem Publicum zu fragen, nur der Schönheit gehor-
chend, die er bei sich fühlt, schaffen soll. Das Publicum
mag dann sein Werk betrachten und, indem es auf sein
inneres Gefühl hört, beurtheilen, ob dieser Künstler zu ihm
gehört. Es wird sich für jenen Künstler entscheiden, der
dieselben Empfindungen in seinen Werken ausspricht, die
es selbst hat. Wird es sich nicht also für den österreichi-
schen Künstler entscheiden müssen ? Wird nicht der Künst-
ler, der am tiefsten die Art unseres Volkes bei sich spürt
und sie am reinsten auszudrücken weiss, über alle anderen
siegen? Aber dann hätten wir ja den österreichischen Stil,
nach dem ich mich sehne!"

Der Architekt erwiderte: „In dieser Weise können
wir Ihre Forderung gelten lassen. Wir sind Österreicher,
wir empfinden,wie unser Volk empfindet. Indem wir kein
anderes Gesetz als unsere reine Empfindung anerkennen
und trachten, dieser ihren vollkommenen Ausdruck zu
geben, sind wir gewiss, dass wir zu unserem Volk in seiner
Sprache reden werden. Entschliessen sich unsere Künstler
nur, in ihren Werken ganz sie selbst zu sein, niemals nach-
zugeben, nichts zu schaffen, das sie nicht fühlen, so haben
wir von selber, was uns kein Reden und kein Wünschen
geben kann, so haben wir eine österreichische Kunst. Auf
dem Wege zu ihr wollen wir den englischen Stil nicht ab-
weisen. Er mag uns eine Schule sein. Alles, was die anderen
können, sollen wir auch können, aber dann fangen wir erst
an: mit diesem grossen Können der anderen wollen wir uns
dann bemühen, wir selbst zu sein. Die Kunst ist nicht dazu
da, zu zeigen, was wir gelernt haben, sondern wir wollen
lernen, um endlich frei aussprechen zu können, wie es uns
ums Herz ist. Trachte jeder, seine inneren Stimmen zu ver-
nehmen! Trachte jeder, rein seine Schönheit zu äussern,
wie er sie in der Seele trägt! Das sei unser Gesetz. Quälen
wir uns nicht ab, einen Stil zu machen! Wenn wir mit der
Einfalt und Redlichkeit der alten Meister, in reiner Ge-
sinnung, unserem Gefühl gehorchen, dann wird jener öster-
reichische Stil, von dem wir alle träumen, von selber werden.
Wahrheit des Gefühls, Reinheit der Gesinnung, Treue zu
sich selbst — das seien unsere Führer!"

Mit diesen guten Worten des Architekten giengen
die Freunde auseinander. H. BAHR.
 
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