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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 2.1899

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Heft 1 (Januar 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8876#0014
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VEBER KVNST.

Wenn ich die Kunst als eine
Lebensanschauung bezeichne,
meine ich damit nichts Ersonnenes.
Lebensanschauung will hier aufge-
fasst sein in dem Sinne: Art zu sein.
Also keinSich-Beherrschen und-Be-
schränken um bestimmter Zwecke
willen, sondern ein sorgloses Sich-
Loslassen, im Vertrauen auf ein
sicheres Ziel. Keine Vorsicht, son-
dern eine weise Blindheit, die ohne
Furcht einem geliebtenFührer folgt.
Kein Erwerben eines stillen, lang-
sam wachsenden Besitzes, sondern
ein fortwährendes Vergeuden aller
wandelbarenWerthe. Man erkennt:
diese Art zu sein hat etwas Naives
und Unwillkürliches und ähnelt
jener Zeit des Unbewussten an,
deren bestes Merkmal ein freudiges
Vertrauen ist: der Kindheit- Die
Kindheit ist das Reich der grossen
Gerechtigkeit und der tiefen Liebe.
Kein Ding ist wichtiger als ein
anderes in den Händen des Kindes.
Es spielt mit einer goldenen Brosche
oder mit einer weissen Wiesen-
blume. Es wird in der Ermüdung
beide gleich achtlos fallen lassen
und vergessen, wie beide ihm gleich

glänzend schienen in dem Lichte
seiner Freude. Es hat nicht die
Angst des Verlustes. Die Welt ist
ihm noch die schöne Schale, darin
nichts verloren geht. Und es em-
pfindet als sein Eigenthum Alles,
was es einmal gesehen, gefühlt
oder gehört hat. Alles, was ihm
einmal begegnet ist. Es zwingt
die Dinge nicht, sich anzusiedeln.
Eine Schaar dunkler Nomaden
wandern sie durch seine heiligen
Hände wie durch ein Triumph-
thor. Werden eine Weile licht in
seiner Liebe und verdämmern wie-
der dahinter; aber sie müssen Alle
durch diese Liebe durch. Und was
einmal in der Liebe aufleuchtete,
das bleibt darin im Bilde und lässt
sich nie mehr verlieren. Und das
 
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