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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Editor]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 2.1899

DOI issue:
Heft 1 (Januar 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8876#0019
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Wer sich wochenlang in Galerien
umhertreibt, sieht mehr als gerade
nur Bilder. Und wenn er sich im
Allgemeinen über das „kunstliebende"
Publicum ärgert: hier und da lernt er
auch eine kleine Wahrheit von ihm.

Ich sah während des letzten Winters
im Luxembourg einen jungen Menschen
mehrmals vor Bildern stehen, die mir
lieb sind. Als ich ihn eines Morgens
bei dem schönen Manet fand (ich weiss
nicht, wie er benannt ist: die liegende
nackte Frau mit dem fragenden Kinder-
gesicht und dem merkwürdig aufge-
sträubten Kater am Fussende des Lagers),
sprach ich ihn an:

„Das gefällt Ihnen?"
Wie er sich nach mir umsah, halb
entschuldigend, halb verlegen, wusste
ich gleich, wen ich vor mir hatte.
„Das ist wohl jetzt die Richtung?"

Er wollte das ironisch sagen, machte
aber ein so unglückseliges Gesicht dazu,
dass er mir leid that. Ich liess mich
mit ihm ein und fand alle Eigenschaften
des „Kunst-Enthusiaten" von heute so
typisch ausgebildet, dass ich mir über
das Wesen dieser Leute eigentlich zum
erstenmal klar wurde und auch man-
cherlei zur Heilung dachte.

Der junge Mann nannte sich Fabri-
kantenssohn. Sein Grossvater war noch
Handwerker gewesen. Der Vater hatte
das Geschäft zur Fabrik gemacht und
nach jeder Richtung mustergiltig für
moderne Verhältnisse eingerichtet. Dem
Sohne war nichts mehr zu thun übrig
geblieben, als die sicheren Einnahmen
vernünftig zu verzehren. Aber da war er
in das gewöhnliche Schicksal aller Em-
porkömmlinge und ihrer Erben gerathen:
er hatte die „Mittel" zum Genuss, aber

J
 
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