DER WEISE UND
DAS SCHICKSAL.
Es sind noch nicht zehn Jahre her,
da tönte aus allen symptomatischen
Büchern der Zeit das Klagelied vom
endgültigen Bankbruch des Lebens. Wo-
zu all dieses Mühen und Plagen, wozu
der ewige Schmerz und selbst die karge
Lust? Wozu und für wen dies sinn-
und planlose Schauspiel des mensch-
lichen Daseins, das der Zufall gedichtet
und dem plötzlich der göttliche Zuschauer
fehlte? Was war es im Grunde, dies
irdische Leben? Wo sein Zweck? Was
sein Ziel? Es kam der Morgen, da tödtete
es der blinde Hödur und seine Lichtspur
war vom Himmel hinweggelöscht. Und
war es denn wirklich? Was war über-
haupt? Kant und Helmholtz, der Philo-
soph und der Physiker, beide hatten
das grosse Fragezeichen über alle mensch-
liche Erfahrung gesetzt. Die tiefste
Wissenschaft des Denkers und des Ge-
lehrten erklärten die Welt, die wir sahen,
für eine Hallucination unseres Hirnes.
Was stand überhaupt noch? Selbst
innerhalb der menschlichen Phantas-
magorie, die uns umschloss? Die Kritik
hatte Gott getödtet und der Moral ihre
Grundfesten entzogen; das Leben war
von heute auf morgen, ein wirres Durch-
einanderlaufen von Bewegungslinien,
die wir für nothwendig halten mussten,
da wir sie sinnlos fanden. Alles ein
Chaos, in dem wir nichts mehr begriffen...
Eine ungeheuere Muthlosigkeit hatte
das ganze jüngere Geschlecht ergriffen.
Der beste Ausdruck dafür war die drama-
tische Scene eines Dichters. Er stellt
die Menschheit im Bild einer Schar von
Blinden dar, die sich in einem grossen
dunklen Wald verloren. Ihr Führer,
ein uralter Priester, hat sie verlassen;
nun wissen sie nicht Weg noch Ziel.
Einzeln, frierend, schaudernd, sitzen sie
unter den hohen Bäumen, einander nah
und doch nur der Stimme erreichbar,
die von dem Einen zum Anderen Bot-
schaft bringt von der rathlosen Angst
und der inneren Einsamkeit. . . Diese
Angst, Lebensangst, die Dunkelfurcht,
Gespensterfurcht, das Gefühl des Ver-
loren- und Verlassenseins gab einer
ganzen Epoche ihre geistige und künst-
lerische Sondermarke. Und nun steht
die Welt vor einer neuen Wende.
Was hat sich begeben? Ist es nur
die natürliche Bewegung des abge-
schnurrten Kreisels, der sich, nach dem
DAS SCHICKSAL.
Es sind noch nicht zehn Jahre her,
da tönte aus allen symptomatischen
Büchern der Zeit das Klagelied vom
endgültigen Bankbruch des Lebens. Wo-
zu all dieses Mühen und Plagen, wozu
der ewige Schmerz und selbst die karge
Lust? Wozu und für wen dies sinn-
und planlose Schauspiel des mensch-
lichen Daseins, das der Zufall gedichtet
und dem plötzlich der göttliche Zuschauer
fehlte? Was war es im Grunde, dies
irdische Leben? Wo sein Zweck? Was
sein Ziel? Es kam der Morgen, da tödtete
es der blinde Hödur und seine Lichtspur
war vom Himmel hinweggelöscht. Und
war es denn wirklich? Was war über-
haupt? Kant und Helmholtz, der Philo-
soph und der Physiker, beide hatten
das grosse Fragezeichen über alle mensch-
liche Erfahrung gesetzt. Die tiefste
Wissenschaft des Denkers und des Ge-
lehrten erklärten die Welt, die wir sahen,
für eine Hallucination unseres Hirnes.
Was stand überhaupt noch? Selbst
innerhalb der menschlichen Phantas-
magorie, die uns umschloss? Die Kritik
hatte Gott getödtet und der Moral ihre
Grundfesten entzogen; das Leben war
von heute auf morgen, ein wirres Durch-
einanderlaufen von Bewegungslinien,
die wir für nothwendig halten mussten,
da wir sie sinnlos fanden. Alles ein
Chaos, in dem wir nichts mehr begriffen...
Eine ungeheuere Muthlosigkeit hatte
das ganze jüngere Geschlecht ergriffen.
Der beste Ausdruck dafür war die drama-
tische Scene eines Dichters. Er stellt
die Menschheit im Bild einer Schar von
Blinden dar, die sich in einem grossen
dunklen Wald verloren. Ihr Führer,
ein uralter Priester, hat sie verlassen;
nun wissen sie nicht Weg noch Ziel.
Einzeln, frierend, schaudernd, sitzen sie
unter den hohen Bäumen, einander nah
und doch nur der Stimme erreichbar,
die von dem Einen zum Anderen Bot-
schaft bringt von der rathlosen Angst
und der inneren Einsamkeit. . . Diese
Angst, Lebensangst, die Dunkelfurcht,
Gespensterfurcht, das Gefühl des Ver-
loren- und Verlassenseins gab einer
ganzen Epoche ihre geistige und künst-
lerische Sondermarke. Und nun steht
die Welt vor einer neuen Wende.
Was hat sich begeben? Ist es nur
die natürliche Bewegung des abge-
schnurrten Kreisels, der sich, nach dem