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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 2.1899

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Heft 1 (Januar 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8876#0027
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Gesetz des Ricochetirens, nun nach der
entgegengesetzten Richtung dreht? Hat
man denn wirklich alle Consequenzen
des wissenschaftlichen Nihilismus zu
Ende gedacht oder hat man sich daran
nur fertig gelitten? Und erwachte man
dann eines Morgens aus dumpfem Schlaf
und vernahm im träumerischen Zwit-
schern der Vögel die leise tröstliche
Stimme der Hoffnung, und sagte man
sich, dass man ja doch LEBE und dass
die Welt noch grün und die Sonne
golden? Dass die innere Gewissheit
auch eine Gewissheit und die mensch-
liche Realität die einzige wahre sei? Hat
man für das Denken und Handeln damit
eine neue Grundlage gewonnen oder ist
es nur ein starker Willensentschluss, der
uns die Rückkehr zur Gesundheit und
zum tapferen Muth erzwingt?

Eines und das Andere. Ausserlich
ist nichts geschehen. Aber innerlich
um so mehr. Wir haben in uns neue
Kraftquellen entdeckt. Wir sind tiefer
in uns hinabgestiegen und wir sind
reicher und stärker zurückgekehrt. Wir
haben dabei neue Führer gefunden, die
uns lehrten, die Welt zu nehmen, so
wie sie ist, vor keiner harten Wahrheit
zurückzuscheuen, sondern auf sie allein
von nun an unser Leben zu gründen.
Wenn wir nur wollen, werden wir auch
diesem Leben ein Göttliches abgewinnen
und in ihm eine neue Harmonie ent*
decken. Wir wagen es wieder, von
Glück zu sprechen, nicht als von einem
Ausnahmsfall, sondern als von einer
Pflicht. Der einzelne Mensch hat die
Pflicht, glücklich zu sein. Nietzsche
in seiner schroffen Grösse hat als Erster
uns diese Verpflichtung auferlegt. Nun

thut es ein Anderer, aus einem anderen
Temperament heraus, auf andere Er-
fahrungen hin, milder, liebenswürdiger,
einschmeichelnder, gütiger. Er ent-
schuldigt sich, dass er es thut, dass er
sich mit dem Einzelnen und seinem
Glück befasst. Denn er weiss es, die
Zeiten sind so hart, dass die Mehrzahl
der Menschheit, weit entfernt bei den
inneren Genüssen und den tiefen, aber
schwer erreichten Tröstungen verweilen
zu können, die der befriedigte Denker
werthschätzt, dass die Mehrzahl der
Menschheit nicht einmal die Sicherheit
und die Müsse hat, die Leiden und Ver-
zweiflungen des Lebens bis auf den
Grund auszukosten. Das Nächstliegende
für den Erkennenden wäre es vielleicht
vor allem zu HELFEN, Krankenpfleger,
Almosenspender, Seelenrath der Be-
trübten, Arzt, Arbeiter oder sonst etwas
 
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