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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 2.1899

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Heft 2 (Feburar 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8876#0045
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DER WELTUNTERGANG.

Pass am f3. Juli \599 die. Welt ein plötzliches
Ende nehmen, nämlich untergehen würde,
schien durch einen Komet oder Schweifstern,
welcher in der Nacht des genannten Tages auf-
treten und seiner unregelmässigen Natur zufolge
blindlings zwischen die friedliche Ordnung der
übrigen Himmelskörper fahren sollte, allerdings klar
bewiesen, so dass ich, der Mathematik und Astro-
nomie Professor, bewandert und erprobt in diesbezüg-
lichen Untersuchungen, wohl befugt war, meine und
and erer Gelehrten Wahrnehmung dem Pastor Wolke,
meinem Freunde, mitzutheilen, was ich um so un-
bedenklicher that, als ich selber dem bevorstehen-
den Ereignisse mit dem Gleichmuth des guten Ge-
wissens entgegensah. Ich hätte freilich wissen
können, dass dieser heilige Mann, welchen der
feurige Geist Gottes erfüllte und wie einen Irr-
wisch umtrieb, damit er den Menschen als War-
nungszeichen diene und sie nicht im Moraste ihrer
Sünden versinken und verfaulen lasse, einen so
wichtigen Vorfall nicht ungenützt würde hingehen
lassen, wenn ich auch nicht voraussehen konnte,
was für eine Lawine sich aus meinem Mundvoll
vertraulicher Worte zusammenrollen sollte.

Ein herzlicher, unschuldiger und aufrichtiger
Mann war Pastor Wolke, auch fröhlich, dem die
leichtsinnige Jugend den Namen Jammerbold nur
deswegen gegeben hatte, weil er in seinen Predigten
und auch sonst die Ueppigkeit und allgemeine
Gottlosigkeit der Menschen zu bejammern pflegte,
die er sich nicht aus missgünstiger Bitterkeit oder

sauertöpfischer Gesinnung, sondern aus richtiger
Erkenntniss Gottes und Mitleid mit der verteu-
felten Welt zu Herzen nahm. Obgleich sich in
der Regel diejenigen verhasst machen, die den
Epikuräer aus seinem Sinnenrausche wecken, ge-
noss doch Wolke unbegrenzte Verehrung und
seine Kirche war nicht nur immer voll, sondern
wurde auch von den reichsten und vornehmsten
Familien besucht. Diese, unter denen Herr Müm-
melke, der Pelzkönig, und der Färbereibesitzer
Schwämmle, genannt das Dukatenmännchen, weil
er sich gern mit goldenen Ketten und Schau-
münzen recht sichtbar behängte, die gewaltigsten
waren, hielten sich zwar nicht an die Vorschrift
der Wolkeschen Predigten, bekundeten aber ihre
christliche Tüchtigkeit durch fleissiges Anhören
derselben. Ein viel weniger prächtiges Publikum
hatte der Lustbold, der so recht im Gegensatze
zum Pastor Wolke zu einem frohen Genüsse des
Lebens aufforderte, was er mit viel Scharfsinn aus
Bibelstellen und Aussagen frommer Personen und
Kirchenväter als durchaus christlich, ja gottgefällig
hinzustellen wusste. Die Anhänger Wolkes be-
trachteten dies Treiben mit Missfallen, während
es andrerseits den Freunden des Lustbolds zum
Aergerniss diente, dass Wolkes Frau eine Wirth-
schaft führte, die mit seinen Grundsätzen nicht in
Einklang zu bringen war; denn sie, eine stattliche
Dame aus angesehener Kaufmannsfamilie, trieb
auf eigene Hand ein grosses Prunken und Ver-
schwenden, kleidete sich in Pelz und Sammet und
 
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