Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 2.1899

DOI Heft:
Heft 2 (Feburar 1899)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8876#0066
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
schimpften sie ihn Schelm,
Gauner und Bösewicht und
man hörte es durcheinander-
rufen: „Jetzt sind wir freilich
im Himmel! Du hast uns zu
Bettlern gemacht! Gieb unser
Geld zurück oder lass die
Welt untergehen!" und da er
mit seiner schwachen Stimme
etwas erwidern wollte, tobten
und fluchten sie noch gräss-
licher, schlugen ihn nieder und
tödteten den wehrlosen Greis
mit einem überflüssigen Auf-
wand von Wuth und Kräften.

Ohne dass jemand wagte
der blutigen Horde in den
Weg zu treten, zogen sie weiter
nach dem Platze wo das gol-
dene Kalb stand, in der Ab-
sicht von den verlorenen Reich-
thümern wieder an sich zu
raffen was jeder vermochte.
So viel sie aber mit ihren Bei-
len auf die Bestie einhieben,
erreichten sie doch nichts
anderes, als dass sie einige
Schrammen und Beulen in
ihren glatten Leib brachten,
weswegen sie ein Feuer an-
zündeten, um den Goldkoloss
zum Schmelzen zu bringen.
Dabei zeigte es sich aber bald,
dass das Idol aus einem Kern
von Blei bestand, der nur mit
einer dünnen Lage von Gold-
blech überzogen war, was denn
wohl als das dürftige Ueber-
bleibsel des gewaltigen Schatzes
zu betrachten war. Da sich
die Enttäuschten an dem Mei-
ster, der sich kurz nach Voll-
endung des Bildes in aller
Ruhe aus der Stadt entfernt
hatte, nicht rächen konnten,
wussten sie in ihrer Furie
keinen anderen Ausweg als
übereinander herzufallen, in-
dem der eine dem andern
den Vorwurf machte ange-
fangen und das Beispiel zu

dem schnöden Geldopfer ge-
geben zu haben. Fast in jeder
Familie hatte es ein Mitglied
gegeben, sei es Mann, Frau
oder Kind, das sich dem Vor-
haben widersetzt hatte, und
so kam es, dass sich jetzt die
Nächstverwandten an der
Gurgel fassten und unter
Triumph- und Rachegeschrei
den Garaus zu machen such-
ten. Wahrscheinlich würden
sie sich alle gegenseitig ums
Leben gebracht haben, wenn
nicht jene besonnenen Männer,
die mit dem Weltuntergang in
keiner Weise etwas zu thun
gehabt hatten, jetzt zu-
sammengetreten wären, eine
neue Regierung gebildet und
die öffentlichen Dinge ge-
schickt und geschwinde ge-
handhabt hätten. Zunächst
wurden die Mörder und Rä-
delsführer in Verwahrsam ge-
bracht, damit sie kein weiteres
Unheil anrichteten, dem Lust-
bold wurde wegen seines un-
passenden Betragens während
der letzten Monate ein ernster
Verweis ertheilt, dem armen
Ermordeten dagegen ein christ-
liches Begräbniss zuerkannt,
welches denn baldigst prunk-
los aber feierlich begangen
wurde. Beinah täglich in der
Abendkühle kann man noch
jetzt den plaudernden Vikus
und die lahme, lächelnde
Vika nach dem Grabe dieser
unschuldigen Seele Hand in
Hand zusammen wandern
sehen. Diejenigen, die bei
der Ermordung des alten
Wolke betheiligt waren, es
waren ihrer neun, darunter
der Pelzkönig und das Duka-
tenmännchen, wurden nach
kurzem Prozess zum Tode
verurtheilt. Es wurde zu die-
sem Zweck das goldene Kalb
 
Annotationen