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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Editor]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 2.1899

DOI issue:
Heft 3 (März 1899)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.8876#0088
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und die Seelenstimmung seiner Bewohner aus- „Bizarrerien" keinen Anstoss mehr nehmen; der

drückt. So gehört beinahe für jeden Wohnungs- wird entdecken, dass das meiste von dem, was ihm

inhaber ein eigener Künstler. Jedenfalls kann es anfänglich bizarr erschienen, die glückliche Wieder-

nicht genug künstlerischer Individualitäten geben gäbe eines subjektiven Momentes ist. Aber die

und diesen nicht Freiheit genug zu ihrer Ent- falsche Lehre vom ewig Gültigen und von den

faltung gegönnt werden. Schönheitsregeln hat uns allerdings so sehr daran

Wie beschränkt auch eine Begabung sein mag, gewöhnt, das rein Subjektive, das bloss Zufällige
sie wird doch noch zu ihrem Rechte kommen; und Bedingte in der Kunst gar nicht anzuerkennen,
wie wunderlich ihre Sprünge sein mögen, sie dass es eben darum vielen sehr schwer fällt, sich
werden doch irgend wohin passen. Zu diesen in die Berechtigung einer rein subjektiven Auf-
oder jenen Möbeln und Tapeten, in diesen einen fassung und Darstellung hineinzufinden: sie möch-
Winkel, für diesen einen Beschauer passt nur ein ten jeden Fall gleich für typisch nehmen. Wie
einziges Bild — vermutlich wird sich der Künstler oft, wenn einer z. B. eine neue Farbenwirkung
finden, der es zu malen versteht; und dieser oder versuchte, ein Spiel des Lichtes mit dem Pinsel
jener Maler hat nur eine einzige Farbe, einen ein- festzuhalten bemüht war, hört man die Leute
zigen Ton — wahrscheinlich werden sich manche schreien: „Um Gottes Willen! Der möchte uns
finden, die in ihm sich selber entdecken. So ent- weiss machen, dass die Bäume blau sind" oder:
spricht die moderne Freiheit in der Kunst dem „Ja, müssen denn die nackten "Weiber wirklich
so überaus mannigfaltigen Subjektivismus des mo- alle grün sein?" und dergleichen mehr. Aber dem
dernen Lebens; so wird die moderne Kunst in den Künstler fiel es ja gar nicht ein, die Bäume blau
Stand gesetzt, alle Schätze des Lebens aus der oder alle Weiber grün zu machen. Einmal hatte
Tiefe zu heben und jene Schönheit, von der die er einen bläulichen Schimmer auf einer Anzahl
Welt voll ist, allerorten aufleuchten zu lassen, von Bäumen wahrgenommen und war ergriffen
Statt eines einzigen, grossen Lichtes eine tausend- ven dieser eigentümlichen Schönheit; einmal
fältige Strahlenbrechung! Ist jemand, der sich hatte er grüne Lichter auf einem Frauenleibe
dieses Farbenspieles nicht freuen wollte? Kann spielen gesehen und war gebannt von dem An-
jemand dem farbigen Strahl zum Vorwurfe machen, blick. Das hat er nun zum Bilde werden lassen,
dass er nicht alle Farben in sich vereinigt und Morgen wird er wieder andere Bilder malen und
verschmilzt gleichwie der Strahl des Sonnenlichtes? von niemand fordert er, dass man seine Art und

Und ist es nicht die Sonne selbst, die eigent- Weise nachahmen müsse. Es kann nicht oft ge-

lich nur leuchtet, damit ihre Strahlen sich brechen nug betont werden: es giebt keine Schablone in

und so immer neue Farben und Formen entstehen? der modernen Kunst, auch keine Schablone „der

Wer die modernen Erscheinungen aufmerksam Bizarrerie und des Unvermögens",
beobachtet, der wird bald genug an den modernen

BLEISTIFT-
STUDIE.

MAX MOROLD.
 
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