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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 2.1899

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Heft 3 (März 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8876#0100
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der sagte, was ich nicht
war. Nun bin ich Staub
im Staube, Licht im Lich-
te; die Stimme, die du
hörst, ist nicht meine
eigene, sondern das Echo
STUDIEN, von aller Zeiten toten
Winden, aller Zeiten toten
Stimmen. Ich lebte...."
Sie verstummte in noch
weiterem Traum, und
nur die Lippen bewegten
sich unbewusst.

„Und du warst glücklich?"

Sie fand die Stimme wieder und schien wun-
dernd ihren eigenen Worten zu lauschen: „Ja,
ich glaube, man nannte es so. Ich starb ja jung.
Ich hoffte und sah vorwärts, und das, dem ich
entgegensah, kam nie heran, denn wenn es da
war, war es schon vorbei und flüsterte hinter
mir. Ich träumte auch oft zurück, wenn die
Dämmerung einfiel, tiefgrün und klar, wie sie
jetzt bald wieder kommen wird, und die Magno-
lienblüten versanken wie tote weisse Schmetter-
linge im Dunkel; alle meine Tage dünkten mir
damals teuer. Alles war schön."

„Und hast du nie gehandelt, lebtest du nie
wirklich?"

„Gehandelt, doch, doch, oft, viel. Etwas trieb
mich, bald hin, bald her, ich nannte es Wille.
Da waren viele Stimmen in meinem Innern, aber
eine war am stärksten und bezwang die anderen,
wie die grosse Woge schwellend die kleinen er-
würgt, aber ob sie mehr als die übrigen mein
war, was weiss ich? Ich fühlte Liebe, ich fühlte
Hass, und ich gebot über viele, und Liebe und
Hass wurden zur That, doch sie glitten aus
meiner Hand wie zerstiebende Blasen, und während
sie brachen, verstand ich sie nicht. Männer wähn-
ten mich zu besitzen, und ich wähnte mich glück-
lich darüber und brannte
in Sehnsucht und Hoff-
nung und lächelte Er-
innerungen zu, während
Dämmerung sich über
roten Mohn senkte. End-
lich hatte ich bloss eine
Sehnsucht, in der alten
Vase hier unter meinen
Füssen zu ruhen, die ich

vor mir hatte, in meines
Gartens Sonne, und an-
sah, bis die Gedanken
erstarrten und ich ein-
schlummerte in dem
Schatten der Arkaden,
von dem Murmeln des
rieselnden Wassers ein-
gewiegt. Einmal ent-
schlummerte ich in
grossem Schmerz und
erwachte und rang mit
dem Schmerz, und er
verschwand in meinen Armen, und ich mit
ihm. Da legte man meinen jungen starren Leib
auf einen Scheiterhaufen, und auch er ward um-
fangen und erhoben von den roten Armen der
Flammen und verschwand, aber dem weissen
Staube, der zurückblieb, bereitete man die Ruhe
dort, wo ich es bestimmt. Da verschlug auch
dies mir nichts, da war auch dies Ersehnte an
mir vorbei, indem es kam. Aber ich hatte einen
Traum. Mir dünkte, dass die drei Frauen dort
mir ihre Hände reichten, um mich in ihrem Tanze
mitzuziehen, ich nahm sie, ich stand wie sie mit
flatterndem Haar und Gewand, aber ich wusste
nicht, ob ich mich bewegte und umherwirbelte,
oder ob ich Stein war wie sie."

Leonzinos Blick hatte während ihrer Worte
dieselbe träumende Tiefe bekommen wie der ihre.
„Diese Frauen," sagte er, „was sind sie, was be-
deutet ihr Tanz. Warum wolltest du in ihrem
Kreise ruhen?"

„Darum, weil sie alles innen umschliessen.
Unsichtbar umtanzen sie uns, unser ganzes Leben
lang, unhörbar schweben ihre Schritte, ihre Ge-
wänder wehen kalt um deine Hände, ihr Haar
streicht flatternd an deiner Wange vorbei. Sie
sind die Hören, sie tanzen den Tanz der Zeit.
Ich konnte lange Stunden liegen und sie sich

regen sehen, wenn ich
die Augen halb schloss,
aber wie ich den Blick
aufschlug, standen sie
still. Und ich grübelte:
die Zeit, die Zeit, was
ist sie? Versinkt sie
hinter uns, oder fliegt sie
vorbei, nachdem sie kalt
auf unseren Mund ge«
 
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