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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 2.1899

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Heft 4 (April 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8876#0124
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ENTWURF FÜR
WEBEREI. VIERFARBIG.
„DIE SCHWARZEN
TULPEN."

weichen vor dieser Auf-
lösung alles Bestehenden
und muss doch endlich
kapitulieren. Denn was
den Zauber dieser Kunst
ausmacht, das ist die
absolute Sicherheit. Wir
streben nach Einheit —
hier ist die Einheit.

Der innerste Grund
dieser überraschenden
Wirkung; liegt in dem
Organischen. Ich weiss
nicht, wie es kommt,
aber seit ich die japani-
schen Künstler kenne,
muss ich immer mit
Schmerz fühlen, wie wir
alle entwurzelt sind. Es
scheint mir immer, als
wären wir irgendwie von
der geraden Entwicke-
lung abgewichen und
irrten nun ratlos hin und
her, einen verlorenen
Weg suchend. Und es
will mich oft bedünken,
als hätte der GEDANKE
uns zu sehr gemeistert
und unsere Instinkte,
unsere Triebe, das, wo-
mit wir uns verbunden
fühlen mit dem dunkel-
sten Grunde des Seins,
das wäre verkümmert.

Es will mir scheinen,
als sässen die Japaner
am nächsten dem wir-
kenden Geiste. Denn
wenn wir auch auf unsere

sogenannte „grosse
Kunst" weisen und sehen,
wie sich Künstler bei uns
mit Weltproblemen ab-
mühen — ist diese Kraft-
anwendung nicht eine
vergebliche? Bedeutet es
nicht eine Verkennung
der Aufeinanderfolge des
Geschaffenen, wenn ich

©

DENKE? War ich nicht
Stoff, war ich nicht
Chaos, ehe ich mir klar
wurde? Und kehre ich
nicht dahin wieder zu-
rück, wenn ich schaffend
in die Tiefen steige.
Man sieht bei uns eine
Gedankenkunst. Aber
es ist eine furchtbare
Tragik, dass, je näher
ein Gedanke seiner Voll-
endung reift, er an Le-
benswucht und - Tiefe
verliert — und verlieren
muss, soll das Leben ein
Drang sein und kein
Exempel.

Wenn ich an die wun-
derbaren Formen all der
tausend Gerätschaften
denke, die die Japaner
geschmückt, wenn ich
an ihre eigenartigen reiz-
vollen Farbenkomposi-
tionen mich erinnere,
dann ist es mir, als wäre
das alles nur ein Symbol,
als hätten diese Künstler
viel tiefer gesehen. Sie
hätten es sicher nicht
sagen können, was sie
erreicht, sie hätten ihre
Wirkungen nicht defi-
nieren können.— es wäre
ihnen auch sehr gleich-
gültig gewesen.

Und darum meine ich,
diese Kunst ist wie jede
eigentliche Kunst — soll
sie nicht von anderen
Kräften borgen oder von
ihrem Pfade abweichen
— eine weisende, hin-
deutende Kunst. Wohin?
Wer sagt es?! Ist nicht
alles Ahnung, Insichver-
sunkensein, Tasten,
Zurückweichen, Auf-
lösung?! Nur so tritt
 
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