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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 2.1899

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Heft 9 (September 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8876#0334
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NACH EINER auf eine Kunststimmung schliessen

ORIGINAL- liessen, ähnlich der unseres Mittel-

RADIERUNG alters, fehlt dem Japaner gerade die

VON stärkste Seite dieses Zeitalters, die

EMIL ORLIK tiefe architektonische Begabung.

Dafür überragt der Japaner un-
sere Miniatoren wieder gewaltig
durch sein früh entwickeltes, offenes
Auge für die Einzelheiten der Pflan-
zen- und Thierwelt und die Reize
der Landschaft, durch die er ja be-
sonders gefangen nimmt.

Wenn man das Recht hat, wie
ich es an anderem Orte einmal ver-
suchte, die Künstlernaturen in zwei
Hauptgruppen zu scheiden, in sol-
che, die mehr dem inneren Triebe,
dem formal-architektonischen folgen,
und solche, die sich mehr bestre-
ben, das durch die Sinne von Aussen empfan-
gene Bild einheitlich auszugestalten, so gehören
die Japaner jedenfalls vorherrschend zur letzt-

genannten Gruppe, und es drängt
sich uns eigentlich das Empfinden
auf, dass sie sich in einer Zeit, die
unserem feudalen Mittelalter auch
in äusserer Geschichte einigermassen
entsprach, unter dem überwältigen-
den Einfluss des chinesischen Vor-
bildes und anderer Beschränkungen
nicht ganz ihrer Begabung gemäss
ausleben konnten. Dieses so leicht
empfängliche und aufnahmsfähige
Volk wird wohl nie einen Dürer
oder Michelangelo hervorbringen;
dazu fehlt ihm anscheinend die
Tiefe des Gemüths und das gigan-
tische Empfinden; aber vielleicht
hätte es selbst einen Hals oder
Velasquez gezeitigt, zum mindesten
Meister wie die modern-französischen
— natürlich mit japanischer Klangfarbe — wenn
es bis jetzt eine Zeit der freien Entwicklung, des
weiten Blickes durchgemacht hätte. Ob diese Zeit

NACH EINER

ORIGINAL-
RADIERUNG

VON
EMIL ORLIK
 
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