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Am meinem russischen Tagebuch.
Als der hannoversche Gesandte Graf Münster im Jahre 1801 nach
St. Petersburg kam und sich von einem hochgestellten Herrn im Michael-
lalais die näheren Umstände der gräßlichen Ermordung Kaiser Pauls
childern ließ, erhielt er auf den Ausdruck seines Abscheus über das Ver-
zechen von seinem Führer den Bescheid: „Aber, mein Gott, was wollen
Sie, Herr Graf? Unsere Verfassung ist eine durch den Meuchelmord ge-
milderte Despotie."
Auf dem Roten Platz im Kreml von Moskau wurde unter Iwan dem
Grausamen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die originelle Ka-
thedrale des heiligen Basilius erbaut, die mit ihren buntfarbigen Kuppeln
und Türmen, breit und wulstig wie türkische Turbane oder spitz und schlank
wie Zuckerhüte, an einen ungeheuren Vogel aus den Tropen erinnert. Als
der Zar die Kirche einweihte, zeigte er sich aufs höchste befriedigt, umarmte
den Baumeister zärtlich und befahl, damit er ein solches Wunderwerk nicht
zum zweitenmal ausführe, ihm die Augen auszustechen.
Die russischen Sprichwörter spiegeln die Stellung der russischen Weib-
lichkeit mit unverkennbarer Deutlichkeit wider. „Liebe deine Frau wie
deine Seele und klopfe sie wie deinen Pelz!" heißt es da oder: „Schlage
deine Frau des Mittags und zum Abendbrot noch einmal!" oder „Je
mehr du deine Frau prügelst, desto besser schmeckt die Kohlsuppe!" Im
Volkslieds stimmt eine Schwiegermutter folgende Klage an: „Was für ein
Sohn bist du mir, was für ein Hausherr! Schlägst ja nicht dein Weib,
deine junge Frau!"
„Man schlägt den nicht, der am Boden liegt!" lautet ein häufig ge-
brauchtes Sprichwort der Russen. Da schnitten die Kosaken in ihrem Edelmut
unsern schwer Verwundeten Ohren und Nase ab.
Wie überall sucht der Dolkshumor auch in Rußland an besonders ver-
haßten hochstehenden Persönlichkeiten sein Mütchen zu Kühlen. Das geschah
auch an dem verstorbenen Oberprokurator des Heiligen Synods, dem unseligen
Pobjedonoszew, dem Erzieher und Berater Alexanders III. Wenn man an
seinem Namen eine kleine Veränderung vornimmt, bedeutet er im Russischen
so viel wie „Siegträger". Das regte zu einem bösen Wortspiel an, als man
erfuhr, daß seine Frau ihn betrogen und verlassen hatte. Man machte auf
ihn ein Epigramm, das sich etwa so übersetzen läßt:
„Siegträger im Synod warst Du genannt,
Bist Speisenträger an dem Hof des Zaren,
Als Träger alles Bösen für das Land
Trägst Hörner Du zu Haus seit manchen Jahren."
Unter der Kaiserin Elisabeth wurde der Reimkünstler und Sprach-
forscher Tredjakowsky, der sich für den größten russischen Dichter hielt, für
seine kindische Eitelkeit bei Hofe wiederholt mit Ohrfeigen bestraft. Als
er sich über diese Behandlung beschwerte, ließ sein Todfeind Biron, der
allmächtige Günstling der Kaiserin, dem armen Kerl die Kleider vom Leibe
reißen und ihm siebzig Stockschläge auf den bloßen Rücken austeilen.
Napoleon I. hat bekanntlich von den Russen gesagt: „Ioulever 1'6pi-
cierme et vous trouvere? le latare!" Aber bei den Schrecknissen des
jetzigen Weltkrieges kann man auf sie auch anwenden, was Voltaire einmal
von seinen französischen Landsleuten sagte, daß sie Affen seien, die sich ost
in Trger verwandeln.
Eugen Zabel.
 
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