pierte, nur einer gelebt hatte, der würdig war, mit dem
großen Romantiker in einem Atem genannt zu werden.
An Selbständigkeit der künstlerischen Weltanschauung,
an Reichtum der Empfindung, an Tiefe der Leidenschaft,
an Energie des Ausdrucks steht Daumier fast gleich-
berechtigt neben Delacroix. An Modernität der Empfin-
dung weist er über ihn hinaus. Delacroix erschöpft sich
in sich selber, seine Schüler sind nur seine Nachahmer,
keine Fortsetzer. Daumiers künstlerisches Kapital da-
gegen erwies sich als so ungeheuer, daß ein Kleinerer,
Millet, aus ihm noch eine fast genial zu nennende Spe-
zialität entwickeln konnte.
Zeit seines Lebens hielt man Daumier für kaum mehr
als einen glänzenden Karikaturisten, allerdings für den
größten, den die Welt bis dahin gesehen hatte und der
mit Goya verwandt schien. Daß diese „Karikatur"
gleichsam nur die Maske vorstellte, hinter der sich so
Chaos wie Kosmos einer neuen künstlerischen An-
schauung verbarg, übersah man. Man mußte es über-
sehen, weil der reinen Erkenntnis und dem interesse-
losen Genuß an dieser Kunst ein gleichfalls neues Ele-
ment hindernd im Wege stand: die Aktualität des
Gegenständlichen.
Daumiers Kunst ist tief verwurzelt in dem Unter-
grunde sozialer Empfindung und sozialen Denkens, ja,
sozialer Tendenz. Seine Erregung entzündet sich nicht
nur oder nur ausschließlich am Sichtbaren dieser Welt,
sondern an der Leidenschaft des Gefühls, das im so-
zialen Denker lebt. Daumier wollte soziale Zustände
schildern, soziale Zustände bessern. Er war ein Stück
Richter und ein Stück Prediger, größer, unsentimen-
taler als Millet, umfassender zugleich und tiefer, die
einzige van Gogh-Natur, die Frankreich hervorgebracht
hat. Daher glaubte man, seine Leistung erschöpfe sich
im Sozialen, zumal er auch äußerlich, durch seine Arbeit
an satirischen Zeitschriften, sich als ein Mann der Propa-
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großen Romantiker in einem Atem genannt zu werden.
An Selbständigkeit der künstlerischen Weltanschauung,
an Reichtum der Empfindung, an Tiefe der Leidenschaft,
an Energie des Ausdrucks steht Daumier fast gleich-
berechtigt neben Delacroix. An Modernität der Empfin-
dung weist er über ihn hinaus. Delacroix erschöpft sich
in sich selber, seine Schüler sind nur seine Nachahmer,
keine Fortsetzer. Daumiers künstlerisches Kapital da-
gegen erwies sich als so ungeheuer, daß ein Kleinerer,
Millet, aus ihm noch eine fast genial zu nennende Spe-
zialität entwickeln konnte.
Zeit seines Lebens hielt man Daumier für kaum mehr
als einen glänzenden Karikaturisten, allerdings für den
größten, den die Welt bis dahin gesehen hatte und der
mit Goya verwandt schien. Daß diese „Karikatur"
gleichsam nur die Maske vorstellte, hinter der sich so
Chaos wie Kosmos einer neuen künstlerischen An-
schauung verbarg, übersah man. Man mußte es über-
sehen, weil der reinen Erkenntnis und dem interesse-
losen Genuß an dieser Kunst ein gleichfalls neues Ele-
ment hindernd im Wege stand: die Aktualität des
Gegenständlichen.
Daumiers Kunst ist tief verwurzelt in dem Unter-
grunde sozialer Empfindung und sozialen Denkens, ja,
sozialer Tendenz. Seine Erregung entzündet sich nicht
nur oder nur ausschließlich am Sichtbaren dieser Welt,
sondern an der Leidenschaft des Gefühls, das im so-
zialen Denker lebt. Daumier wollte soziale Zustände
schildern, soziale Zustände bessern. Er war ein Stück
Richter und ein Stück Prediger, größer, unsentimen-
taler als Millet, umfassender zugleich und tiefer, die
einzige van Gogh-Natur, die Frankreich hervorgebracht
hat. Daher glaubte man, seine Leistung erschöpfe sich
im Sozialen, zumal er auch äußerlich, durch seine Arbeit
an satirischen Zeitschriften, sich als ein Mann der Propa-
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