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Weber, Gregor [Hrsg.]
Kulturgeschichte des Hellenismus: von Alexander dem Großen bis Kleopatra — Stuttgart: Klett-Cotta, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.45206#0355
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hat sich der Epochenbegriff merkwürdigerweise gehalten; er scheint geradezu
unverwüstlich zu sein. Folglich hat er sich trotz der definitorischen Schwierig-
keiten offensichtlich bewährt, und so könnte man sich eigentlich beruhigen und
auf weitere Reflexionen verzichten. Das wäre jedoch problematisch, und zwar
in zweifacher Hinsicht. Zum einen weckt eine derartige Einheitlichkeit in der
Regel ohnehin den wissenschaftlichen Widerspruchsgeist: Man kämpft gerne
gegen orthodoxies, und das ist alles andere als Spiegelfechterei; denn gerade
einmütige und festgefügte Positionen werden oft wie selbstverständlich über-
nommen und sollten deshalb Anlaß zu kritischer Refragung geben.
Zum anderen fordert der Rezug auf neue Perspektiven der Kulturgeschichte
ein erneutes Nachdenken über den Hellenismus als Epoche: Wie sich noch
zeigen wird, hängt Periodisierung generell von den Sektoren (von »Potenzen«,
wie das Jacob Rurckhardt genannt hat)3 innerhalb des historischen Kontinu-
ums und von ihrer Ralancierung ab. Stellt man also kulturelle Phänomene in
das Zentrum, so führt dies geradezu zwangsläufig zu einer Überprüfung älterer
Periodisierungen, die meist andere Sektoren — das Politische, das Soziale, das
Wirtschaftliche usw. — akzentuierten.
Deshalb sind einige grundsätzliche Vorüberlegungen zur Periodisierung ange-
bracht.4 Vor diesem Hintergrund wird im Hauptteil die hellenistische Epoche als
Problem behandelt. Die bisherigen, kaum noch überschaubaren Erörterungen
zum Phänomen der Epochenbildung haben nicht zu einer auch nur halbwegs
geschlossenen Theorie geführt. Ein erster Eindruck drängt sich allerdings sehr
schell auf: Die verschiedenen Positionen sind durch ein enormes Spannungs-
verhältnis gekennzeichnet. Angesichts des historistischen Postulats, daß jede
Epoche »unmittelbar zu Gott« sei,5 finden sich auf der einen Seite deutliche
Tendenzen zur Essentialisierung. Sie bestehen darin, daß Epochen, ihre Kultur
und ihr »Geist« wie feste Größen erscheinen, die ihre jeweilige Zeit durchgän-
gig prägen. So können Epochenbegriffe auch isoliert und zur Rezeichnung von
Eigenschaften verwendet werden: Es gibt dann den »Renaissancemenschen«,
oder eine Sache, ein Stil, sogar eine Person werden als »barock« bezeichnet.
Auf der anderen Seite herrscht eine gewisse Willkürlichkeit. Schon Droysen
hat hervorgehoben, »daß es in der Geschichte so wenig Epochen gibt wie auf
dem Erdkörper die Linien des Äquators und der Meridiankreise, daß es nur
Reobachtungsformen sind, die der denkende Geist dem empirisch Vorhandenen
gibt, um es desto gewisser zu fassen«.6 Alfred Heuss spricht mit Hinweis auf
diese Formulierung von »reine(m) Nominalismus in wörtlichsten (sic) Sinn«, ja
von »Konvention«.7 Jedenfalls handelt es sich in dieser Optik um eine pragmati-
sche Grenzziehung, die zugleich etwas Experimentelles, ja Spielerisches haben

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DER HELLENISMUS ALS KULTUREPOCHE
 
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